Dostojewski im Drehschwindel

von Maximilian Sippenauer

München, 14. Dezember 2018. Dostojewskijs "Der Spieler" wirkt wie gemacht für unsere Zeit. Erzählt die Geschichte einer russischen Gesellschaft, die im deutschen Roulettenburg noch den letzten Rubel verzockt, doch von der zerstörerischen Gier nach Geld. Illustriert einfach wie klar an der Hybris des Roulette-Spiels. Ist das nicht Europa im Endstadium seiner eigenen Dekadenz? Dazu dieser gehässig tratschige Hauslehrer, dieser wandelnde Minderwertigkeitskomplex, der so gerne mit denen oben mal mitmischte, dem es aber nie so recht gelingen will. Riecht das nicht verdächtig nach einem dieser Oberstudienräte mit AfD-Parteibuch, die sich bei aller Systemkritik am Ende doch nur mit dumpfem Nationalismen behelfen, über den verlogenen Franzmann, den kratzfüßigen Polen, den geizigen Juden schimpfen? Das alles steckt sicher drin im Stoff des "Spielers". Das alles will uns Andreas Kriegenburg in seiner Inszenierung zeigen. Und trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen.

Am Bühnenbild liegt es sicher nicht. Das Roulettenburg, das Harald Thor und Kriegenburg entwickelt haben, ist beeindruckend. Ein permanent rotierendes Glücksrad auf der Drehbühne des Residenztheaters. Über einer Müllhalde aus leeren Champusflaschen und Tüten aus Edel-Boutiquen ragt es als ein rostiges Metallgerüst, von dessen Mitte verbretterte Stege an den äußersten Rand zu kleinen Vorbühnen führen. Im Zentrum trohnt unter einem Kristalllüster ein Roulettetisch, an dem ständig gespielt wird: der Spielsaal, Dreh- und Angelpunkt Roulettenburgs. Die sechs kleinen Vorbühnen, die sich abwechselnd zum Zuschauer hin und dann vom ihm wieder weg drehen, sind Hinterzimmer und Balkon dieses Kurortes. Darauf verteilt ein paar Sessels, Canapés, ein Bett, eine etwas erhöhte Aussichtsplattform mit durchgerostetem Geländer.

Werktreue gegen Form

Zwischen diesen Spielstätten springen die Schauspieler hin und her, wie Roulettekugeln. Sie haben immer nur Minuten der Ruhe an einem Ort, bevor sie über die Bretterstege zurück zur Mitte und von dort auf die nächste Bühne hasten müssen. Man spürt die Flieh- und Zugkräfte des Spiels, die im Nebel der Stochastik verborgene Gravitation des Geldes, die die Schauspieler über die Bühne treiben, nie rasten und keinen klaren Gedanken fassen lässt.

Spieler2 560 MatthiasHorn uDie Spielgesellschaft © Matthias Horn

Durch diese Welt hüpft also Alexej. Hauslehrer bei einem pensionierten General und dessen Entourage. Er ist heillos verliebt in Polina, Nichte des Generals, und tief verstrickt in das Intrigenspiel dieser Kurgesellschaft. Der General will auf seine alten Tage noch einmal heiraten: Mademoiselle Blanche. Deren Bekannter Marquis des Grieux und ein wohlhabender Engländer, Mr. Astley, haben es wiederum auf Polina abgesehen. Nur, die vermeintlich reichen Russen haben längst alles verspielt und warten sehnsüchtig auf Nachricht aus Moskau. Auf den Tod ihrer stinkreichen Tante und deren Erbe. Diese Baboulenka will ihren Verwandten aber diesen Gefallen nicht tun, sondern reist nach Roulettenburg, nur um auch selbst das Spielen zu beginnen.

Der erste Teil des "Spielers" ist eine Soap, in der sich Skandal an Skandal reiht, der zweite eine Tragödie, in dem das Spiel sukzessive zum moralischen wie materiellen Verfall der Spielenden führt. Im Roman erzählt Dostojewskij aus der Sicht Alexejs, und zwar mehr in der Form eines inneren Monologs denn szenisch. Von hier aus erklärt sich vielleicht das Problem in Kriegenburgs Adaption: Werktreue und Form zerreiben einander.

Prinzip Isolation

Das Stück beginnt rasant. Neben der Bühne wird vom Ensemble ein Acapella-Mash-Up geträllert. Melodien, die so trashig und schief wie aus einem angeranzten Spielautomaten in Werbelyrik verkünden, wie froh und sexy Geld doch mache. Dazu rotiert über die Vorbühnen Alexej, gespielt von Thomas Lettow, und führt in die Geschichte ein. Es folgen ein paar Szenen, etwa wenn der spielsüchtige General seinem Hauslehrer vom Roulette abrät, oder ein sadomasochistischer Flirt mit Polina. Stellen, die wunderbar funktionieren. Thomas Loibel gibt sehr komisch den abgehalfterten General, der selbst aus einem abgefieseltem Chickenwing noch einen Fingerzeig macht, und Lilith Häßle setzt den abstoßenden Reiz der Polina toll in Szene. Nur, zu echten Szenen kommt es im ersten Teil viel zu selten, auch da der unermüdliche Thomas Lettow in den endlosen Monologen aus dem Urtext vor lauter Deklamieren kaum Raum zum Spielen bekommt. Die Bühnenform isoliert zudem die Darsteller – was erst eine sehr kluge Idee ist, wenn man diese aber einmal durchschaut hat, doch recht zäh wird.

Spieler3 560 MatthiasHorn uHanna Scheibe, Lilith Häßle, Thomas Lettow © Matthias Horn

Die Isolation, die die monadischen Folgen der einzelnen Zahlen im Rouletterad verbildlicht, unterschlägt den seifenopernhaften Ton, der den "Spieler" eben auch so reizvoll macht. Erst mit dem Beginn des Dramas, markiert durch die Ankunft der Baboulenka, mit rauchiger Damenhaftigkeit von Charlotte Schwab gespielt, wird das besser. Das Bühnenrad dreht sich erst schneller, steht dann still. Plötzlich passen Form und Szene nicht nur konzeptuell, sondern auch inhaltlich zueinander. Wenn auch die Baboulenka dem Roulette-Wahn verfällt, Haus und Hof verspielt. Wenn der ewig verhärmte Alexej über Nacht zum Millionär wird, nur um doch nicht in der Welt akzeptiert zu werden, in die er immer wollte – dann erst verliert der "Spieler" seinen süffisant persiflierenden Ton, wird aus der Karikatur einer spielsüchtigen Kurgesellschaft eine protokapitalistische Gesellschaftskritik, die frappierende Ähnlichkeit zum Heute aufweist. Hinsichtlich der Aufmerksamkeitsökonomie der Zuschauer ist da jedoch schon einiges an Kapital verspielt.

Der Spieler
von Fjodor M. Dostojewskij, aus dem Russischen von Alexander Nitzberg
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Licht: Tobias Löffler Dramaturgie: Angela Obst.
Mit: Thomas Lettow, Thomas Loibl, Lilith Häßle, Hanna Scheibe, Charlotte Schwab, Philip Dechamps, Thomas Grässl, Arnulf Schumacher.
Premiere am 14. Dezember 2018
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.residenztheater.de

 

Kritikenrundschau

"Ein fiebrig glänzender, schwindelerregend rasanter, tragikomisch mitreißender Theaterrausch aus Präzision, Timing und Detailreichtum" – so die Beschreibung der Kritikerin Teresa Grenzmann von der FAZ (17.12.2018). "Doch der schöne Charme dieser Inszenierung ist auch Verhängnis. Das Publikum wird als Zuschauer verwöhnt und als Zuhörer gefordert. Sein Einsatz: große Konzentration. Sein Gewinn: große Unterhaltung. Sein Problem: Wie geht das bei diesem Tempo zusammen?" In der zweiten Hälfte ernüchtere die Inszenierung und mit ihr das Publikum. "Das liegt in der Natur des Spiels. Aber der schnelle Gewinn schmilzt schnell dahin."

"Viel Bühne, viel Text, Betonung von Nationalismen und Rassismen ('wie ein Jude', 'der Franzmann') und am Ende: viel behauptete Dramatik. Dafür sehr viel weniger Exzess", so beschreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (17.12.2018) den Abend. "Das ist keine Inszenierung aus einem Guss, in einem Fluss." Die Schauspieler kämen nicht zur Ruhe und auch schwerlich in den Dialog. "Was zur Folge hat, dass auch der Zuschauer keine Gelegenheit hat, ihnen nahezukommen. Ihnen mal wirklich zuzuhören. Sie zu verstehen." Und weiter: "Sind im ersten Teil Farce-Elemente und Seifenopernhaftigkeit angesagt, stürzt der zweite jäh ins psychologische Drama. Plötzlich wird zwischen den Figuren eine Beziehungstragik behauptet (und breit ausgespielt), die vorher nicht aufgebaut wurde."

Kommentar schreiben