Unkultur leisten

von Andrea Heinz

19. Dezember 2018. So schnell kann es gehen. Anfang November machte die Meldung die Runde, die Stadt Linz wolle den Theatervertrag mit dem Land Oberösterreich einseitig aufkündigen und damit de facto die Förderung des Landestheater Linz einstellen. Am 6. Dezember wurde der Austritt bei einer Gemeinderatssitzung mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ beschlossen, ÖVP, Grüne, Neos und KPÖ stimmten dagegen. Auch die mehr als 21.000 Stimmen, die vom Linzer Landestheater gegen die Kündigung gesammelt wurden, konnten daran nichts ändern. Die Aufregung ist nun groß. Landestheater-Intendant Hermann Schneider ließ gleich nach dem Gemeinderatsbeschluss verlauten, er sei "von diesem Moment an nicht mehr geschäftsfähig im Hinblick auf die Spielzeit 2019/20". Zwar gab tags darauf Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) im ORF bekannt, das Land werde die fehlenden Subventionen der Stadt übernehmen, was aber prompt Befürchtungen in der Freien Szene weckte, sie müssten am Ende für diese Geldumschichtung bezahlen.

Um ihre Ängste zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen. Letztes Jahr um diese Zeit lief in Oberösterreich noch die von der Kulturplattform OÖ organisierte Initiative "Rettet das Kulturland Oberösterreich", die sich "gegen die enormen Kürzungen im oberösterreichischen Kulturbudget unter einer schwarz-blauen Landesregierung“ wandte. Sie konnte kleinere Verbesserungen erkämpfen, ihr Fazit lautete dennoch: "Eine Wende in der Kulturpolitik hat sich in Gang gesetzt und wird uns hart treffen - auch über das Jahr 2018 hinaus." Dazu stellten sie ein Zitat des ehemaligen Landeshauptmanns Josef Pühringer auf ihre Homepage: "Die Frage ist nicht, ob wir uns die Kultur leisten können, sondern ob wir uns die Unkultur leisten wollen."

Prestigeprojekt Neues Musiktheater

Die Erweiterung des Linzer Landestheater um ein Opernhaus, das sogenannte Neue Musiktheater, das 2013 eröffnet wurde, fiel noch in die Amtszeit Pühringers. Ein Prestigeprojekt. 2011 sagte er über den Bau des Neuen Musiktheaters: "Dann werden wir in einer anderen Liga spielen, und es wird keine Differenzierung zwischen Salzburg, Wien und Linz mehr geben." Die FPÖ indes wollte gar nicht in einer Liga mit Wien und Salzburg sein und lehnte das neue Theater vehement ab. Sie organisierte im Jahr 2000 eine landesweite Volksbefragung, bei der von 50,05 Prozent Wahlberechtigten 59,69 Prozent mit "Nein" stimmten. Erst nach Änderungen, etwa des Standorts, und einem Grundsatzbeschluss der oberösterreichischen Landesregierung konnte der Bau starten. Zwar hatte die Stadt nun zwei Theaterhäuser. Nur arbeitete das Landestheater deshalb noch lange nicht mit doppelter Personalstärke. Sieht man sich den Geschäftsbericht 2013 bis 2018 an, so ist die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Saison 2017/18 sogar geringer als noch in der Saison 2012/13. Das Musiktheater wurde im April 2013 eröffnet.

Schauplätze und Schlachtfelder der Handlung

Linz

Blick über Linz von der Franz Josefs Warte 560 Thomas Ledl wikipediaLinz an der Donau. Der großdeutsche Führer wollte hier seinen Ruhesitz mit SuperPrachtMuseum errichten, wurde nichts draus, aber die Hermann-Göring-Werke produzierten Stahl für die Rüstung, später verstaatlicht hießen sie VOEST und ihre Arbeiter begründeten die jahrzehntelange Vormachtstellung der SPÖ in der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Seit Stahl und Chemie nicht mehr die zentrale Rolle spielen, versucht sich Linz an einer Image-Änderung, von der Industrie- zur Kulturstadt, Höhepunkt dieser Entwicklung war 2009 das Jahr als Europäische Kulturhauptstadt (gemeinsam mit Vilnius) © Thomas Ledl via wikipedia, CC BY-SA 4.0

Nach wir vor arbeiten am Landestheater um die 1000 Personen, in den künstlerischen Genres, der Verwaltung, Bühnentechnik, Reinigung, was es eben so braucht, damit abends der Vorhang aufgehen kann. In der Technik gibt es an den beiden Häusern nicht mehr Angestellte als es vorher an einem Haus waren. Es ist unter dieser Voraussetzung durchaus glaubhaft, wenn das Landestheater argumentiert, Kürzungen könnten nicht mehr einfach geschluckt werden, müssten Vorstellungs- oder gleich Produktionsausfälle nach sich ziehen. Was sich freilich auf die Beschäftigten genauso wie auf das Publikum auswirkt.

Schwer zu durchschauende Finanzbeziehungen

Damit ist man zurück beim Linzer Theatervertrag, einem höchst komplexen Gebilde aus wechselseitigen Finanzströmen. Auf der Homepage der Linzer KPÖ (die den Ausstieg nicht befürwortete) findet sich dazu Folgendes: "Laut dem 1977 abgeschlossenen Theatervertrag zahlt die Stadt Linz aktuell rund 14 Mio. Euro an das Land zur Finanzierung von Landestheater, Musiktheater und Brucknerorchester, erhält im Gegenzug zur Finanzierung von Brucknerhaus, Posthof und Stadion rund sieben Mio. Euro und weitere 1,2 Mio. Euro für das AEC. Diese Kulturfinanzierung muss freilich vor dem Hintergrund der noch wesentlich größeren Transferzahlungen der Stadt an das Land im Vergleich von Landesumlage (27,89 Mio. Euro), Spitalsfinanzierungsbeitrag (61,80 Mio. Euro) sowie weiteren Abgaben und den Rückflüssen als Bedarfszuweisungen gesehen werden. Laut Voranschlag 2019 muss die Stadt bei den Transferzahlungen netto 101,71 Mio. Euro an das Land zahlen."

Bemerkenswert ist dabei vor allem eines: Der Vertrag existiert seit über 40 Jahren. Im Dezember 2018 äußert sich der Linzer Gemeinderat Stefan Giegler (SPÖ) in einer Presseaussendung dann so: "Die komplizierten, intransparenten, ungerechten und teuren Finanzbeziehungen sind schwer zu durchschauen." Im Folgenden hält er dem Land vor, ohnehin verpflichtet zu sein, den Betrieb in "seinem" Landestheater und "seinem" Orchester sicherzustellen, diese Verpflichtung aber nicht ernst genug genommen zu haben. Die Finanzierungszusage nun als "großzügige Geste" zu verkaufen sei nur "Politschauspiel". Intendant und Ensemble seien auf unzumutbare Weise instrumentalisiert worden. In einer früheren Aussendung sieht Giegler das Theater noch nicht als das Opfer. Ihm sei zugetragen worden, dort werde Stimmung gegen Stadt und Bürgermeister gemacht, sogar bei Veranstaltungen für Kinder. Das sei "ungeheuerlich und der Kultur in Oberösterreich nicht würdig. (...) Die Behauptungen, aufgrund des Ausstiegs der Stadt könnten Sanierungen nicht realisiert werden und könnte das Personal nicht entlohnt werden, sind einfach unwahr".

Linzer Stadtaffären

Es wird also mal wieder die Verantwortung herumgeschoben. Dabei scheint die Stadt bisweilen Dinge zu vermischen: Der plötzlich als ungerecht empfundene Vertrag ist eine Sache. Die Art und Weise, wie er aufgekündigt wurde, ist eine andere. Und hauptsächlich die sorgt gerade für Ärger und Angst. Dazu kommt erschwerend, dass in der Linzer Stadtregierung selbst einiges faul ist. Die Stadt hat mehr als eine Milliarde Euro Schulden. Wegen der Zinswette eines ehemaligen Finanzdirektors befindet sie sich derzeit im Rechtsstreit mit der viertgrößten österreichischen Bank Bawag. Es geht um 417 Millionen Euro, plus Zinsen. Der Ausgang des Prozesses gilt als völlig unklar

Dramatis Personae

Hermann Schneider

HermannSchneider 560 ReinhardWinkler uDer Intendant am Landestheater Linz, Hermann Schneider. Der 56 Jahre alte Kölner wurde 2001 Chef der Opernschule der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Von 2004 bis 2015 war er Intendant des Mainfranken-Theaters in Würzburg. Nebenbei schreibt er Opernlibretti. Über die Kommunikationsleistungen der Verwaltung in Sachen Theatervertrag sagt er: "Es ist zu keinem Zeitpunkt mit dem Theater oder der Theaterleitung geredet worden."  © Reinhard Winkler

Daneben gibt es neue Aufregung in der sogenannten Linzer Aktenaffäre. Bereits 2017 kam heraus, dass fast 2000 Strafanzeigen verjährt waren, weil die zuständige Abteilung im Rathaus nicht tätig geworden war. Man könnte auch sagen: geschlampt hat. Nun kommen neue Vorwürfe von der Finanzpolizei und Kritik vom Finanzminister aus Wien, der eine "Missachtung des Rechtsstaates" sieht. "So seien in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht weniger als 1171 Urgenzschreiben seitens der Finanzpolizei an den Linzer Magistrat ergangen – in Papierform. Diese Urgenzen betrafen 400 Verfahren, die laut Finanzpolizei nicht verjährt waren, die die Stadt aber selbst nach Auffliegen der Affäre liegen gelassen habe. Laut Finanzpolizei waren darunter auch ganz neue Fälle", heißt es in den Oberösterreichischen Nachrichten. Allein im Fall einer Linzer Baufirma, die wegen Beschäftigung illegaler Arbeiter angezeigt worden war, wäre es um einen Strafrahmen von 100.000 Euro gegangen. Wer will, kann leicht den Eindruck bekommen: Die Stadt wirft Geld beim Fenster hinaus, lässt es auf der Straße liegen – und zieht es dann dem Theater aus der Tasche.

Vernünftige Lösungsmöglichkeiten

In jedem Fall kommt man kaum umhin, hier eine gewisse Schieflage zu sehen. Zumal, wenn Landestheater-Intendant Hermann Schneider auf Nachfrage klarstellt: "Es ist zu keinem Zeitpunkt mit dem Theater oder der Theaterleitung geredet worden. Die Stadt verfügt auch über einen Sitz im Aufsichtsrat der TOG (OÖ Theater und Orchester GmbH). Auch hier wurde das zu keinem Zeitpunkt thematisiert. Laut Bürgermeister Luger bestand der Plan zum Ausstieg aus dem Vertrag seit November 2017." Klaus Luger (SPÖ) stand für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung, sein Büro verwies auf "terminliche Verpflichtungen" und ältere Presseaussendungen. Dabei hätte man gerne gewusst, ob es nicht eine andere Lösung für den Theatervertrag gegeben hätte. Eine, die nicht gleich an Erpressung denken lässt. Die statt auf Konfrontation auf Gespräche setzt. Fragt man Hermann Schneider, wie er sich einen besseren Weg vorgestellt hätte, sagt er: "Es wäre vernünftig gewesen, wenn die Stadt das Thema offen benannt hätte. Man hätte nach einer gemeinsamen politisch vertretbaren Lösung suchen und auch eine von den Kulturschaffenden selbst ausgestaltete Vertragsform erarbeiten können, die pragmatisch und identitätsstiftend wäre."

Schon jetzt gibt es Befürchtungen, die Entscheidung des Gemeinderates schade dem Ansehen der Stadt. Immerhin hat das Landestheater einen exzellenten Ruf, der weit über die Grenzen der Stadt hinausstrahlt. So werden im Geschäftsbericht 2013 bis 2018 allein über 100.000 Besucher*innen aus Deutschland gezählt, mehr als 2000 (!) aus Korea oder über 800 aus Tschechien. Alle diese Menschen gehen nicht nur ins Theater, sie buchen ein Hotelzimmer, gehen Essen und kaufen Mozartkugeln und Sachertorte für die Daheimgebliebenen. Und auch Österreicher*innen aus allen neun Bundesländern besuchen das Theater. In den sozialen Medien gibt es bereits erste Aufrufe, beim nächsten Besuch des Landestheaters kein Geld mehr in der Stadt auszugeben.

Wie soll es nun also weitergehen mit dem Landestheater Linz? Hermann Schneider fände es "wichtig und gut, wenn die Stadt weiterhin im Boot wäre. Das Zeichen, dass sich eine Stadt (die vor nicht mal 10 Jahren Kulturhauptstadt war) gänzlich aus der größten und erfolgreichsten Kultureinrichtung zurückzieht, ist (kultur-)politisch fatal. Wir sind und wollen auch das Theater in und für diese Stadt sein. Ich würde mir wünschen, dass es hier eine neue Form der Verabredung gäbe, die die Stadt Linz und die TOG neu bindet." Landeshauptmann Stelzer verweist auf die Finanzierungsvereinbarung, "darauf können sich die 1.000 Mitarbeiter*innen verlassen. Das Budget 2020 wird im nächsten Herbst verhandelt, die Details dazu dann auch zeitgerecht präsentiert". Das heißt im Klartext: Wie es 2020 mit dem Linzer Landestheater weitergeht, ist noch völlig offen. Landeshauptmann Stelzer und Bürgermeister Luger wollen sich Mitte Januar zusammensetzen und einen Nachfolgevertrag aushandeln. Klingt hoffnungsvoll, aber wie es ausgehen wird, ist unklar – auf beiden Seiten hat die FPÖ mitzureden, die bekanntlich kein großer Fan des Landestheaters ist. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.

 

heinz kleinAndrea Heinz, geboren 1985 in Bad Reichenhall, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte und Schwedisch in Passau und Wien. Sie veröffentlichte u.a. in Der Standard, Die Zeit, An.schläge. Das feministische Magazin und Theater der Zeit und ist Doktorandin am Institut für Germanistik in Wien.

 

 

mehr debatten