Crash Park - das Leben einer Insel
Abenteuerurlaub mit Familie Crusoe
von Esther Slevogt
Berlin, 19. Dezember 2018. Der französische Theatermacher Philippe Quesne ist vielleicht so etwas wie der Walt Disney des freien Theaters. Auch wenn er natürlich nie die hochgerüsteten Illusionsmaschinerien auffährt, mit denen der Disney-Konzern seine Welten baut. Die hinreißenden Theaterwelten von Philippe Quesne sind nicht weniger illusionär und verzaubernd, kommen aber mit viel weniger Mitteln aus: ein paar komischen Perücken, krude zusammengezimmerten Kulissen aus Pappmaschee, viel Musik und seltsam somnambul durch die Welt stapfenden Individuen, die immer ein bisschen zu trashig aussehen, um noch als echt durchzugehen. Und doch sehen sie meist aus wie Du und ich.
Das ist auch diesmal so, im Berliner Hebbel am Ufer, wo Quesnes neues Werk "Crash Park" seine deutsche Premiere feierte: In engen Sitzreihen zusammengepfercht sitzen sie in einem Flugzeug, Billigtouristen unserer Tage mit komischen Outfits, die täppische Lebenslust und seltsames Individualitätsgetue verströmen und natürlich trotzdem nichts als lauter tragisch austauschbare Masken und Verkleidungen unserer Konsumgesellschaft sind: hier ein alter Hippie, der gierig an einem Zigarettenstummel saugt, da ein junger Mann im lächerlichen Hawaii-Shirt, ein junges Mädchen, das versunken unter riesigen Kopfhörern wippt, ein Geschäftsmann, der geschäftig mit einem Mobiltelefon hantiert.
Aus dem Wrack ins Theater gestiegen
Liebevoll streift die Kamera durch die Sitzreihen – noch findet das Geschehen auf zwei großen Monitoren rechts und links neben der Bühne statt, während die Bühne vor uns im Dunkeln liegt. Und so verfolgt man eine Weile das behutsam ins Schrullige zugespitzte Treiben an Bord des Flugzeugs, das da stumm vor unseren Augen sich abspielt, nur von den Klängen eines von Geisterhand angetriebenen Klaviers begleitet: wie diese temporäre Schicksalsgemeinschaft in ihren spärlichen Bordmenüs stochert, ein junger Steward und eine alte Stewardess (in Gestalt der erprobten Quesne-Vergeblichkeitsdarsteller*innen Isabelle Angotti und Gaetan Vourc'h) Getränke in die Reihen reichen, weiteres Bordpersonal im Servicebereich des Fliegers kichernd Wodkashots kippt. Und wir wissen natürlich: Wir beobachten Totgeweihte, die ahnungslos ihrem Ende entgegen fliegen.
"Crash Park" ist das Stück schließlich überschrieben und das Wrack des Flugzeugs im Halbdunkel der Bühne schemenhaft schon zu erkennen: eine malerische Pappinsel mit rauchspeiendem Vulkan und ein paar Papppalmen – die ein bisschen der Pixar-Produktion "Lava" abgeschaut ist. Rundherum eine bemalte Plastikfolie mit Wolken. Im Wasser liegt besagtes Flugzeugwrack, dem bald eine Handvoll Überlebende entsteigt. Die dann auf der Insel tun, was Menschen eben so tun, wenn sie auf Neuland treffen: Sie erkunden, kolonisieren, zivilisieren – als sei die Welt ein Vergnügungspark, dessen Ressourcen zu ruinieren im Eintrittspreis inbegriffen ist. Irgendwann fangen sie mit Kulturproduktion an, und schon haben sie sich eingerichtet in der neuen Welt, auf der sie sich benehmen wie die Minions - also kichern, quacken und Freude am skurilen Tun entfalten.
Zerstörerische Unschuld
Dies alles ist in gewohnter Liebe zum Detail vorgeführt: szenisch und auch sonst orientiert an den technisch hochgerüsteten virtuell animierten Welten von Pixar- oder Disney-Produktionen, was in dieser analog-reduzierten Pappmasche-Version eine ganz eigene Poesie entwickelt: zum Beispiel im komischen Wasserballett der in Palmblätter gekleideten Überlebenden, oder beim Kampf gegen die Riesenkrake (Davy Jones aus "Fluch der Karibik" lässt grüßen), die den längst zur Partyhöhle umfunktionierten Vulkan heimsucht, um die dort somnambul zu wummernden Bässen wippenden Menschlein zu erwürgen.
Natürlich spielt die Geschichte auch mit Reminiszenzen und Vorstellungen utopischer Gesellschaftsentwürfe, von Thomas Morus ("Utopia") bis Daniel Defoe ("Robinson Crusoe"): als Kolonisierung noch ein unhinterfragtes westliches Zivilisationsideal war. Und eine Weile rühren sie fast an, diese Menschlein, wie sie hier in ihrer so augenscheinlichen Beschränktheit langsam das vorgefundene Inselparadies zerstören.
Aber so recht kommt der Abend nicht auf den Punkt. Er greift Motive und Themen früherer Arbeiten wie Big Bang auf, ohne sie wesentlich weiterzuentwickeln. Besonders der Auftritt der Riesenmaulwürfe (aus dem tollen Abend "Die Nacht der Maulwürfe" im Vorjahr), die sich nach dem Crash mit monumentaler Urtümlichkeit zunächst als Ureinwohner des Eilands in Szene setzen, bevor die Menschen kommen, bleibt ein Versprechen, das der Abend nicht einlösen kann. Denn sie kehren nicht wieder in dieses unvollendet gebliebene Stück zurück.
Crash Park – Das Leben einer Insel
von Philippe Quesne
Konzept, Regie, Bühnenbild: Philippe Quesne, Tierkostüme: Corine Petitpierre, Originalmusik: Pierre Desprats, Film: César Vayssié.
Mit: Isabelle Angotti, Jean-Charles Dumay, Léo Gobin, Yuika Hokama, Sébastien Jacobs, Thérèse Songue, Thomas Suire, Gaetan Vourc'h, Statistierie Film: Rodolphe Auté, Marc Chevillon, Yvan Clédat, Cyril Gomez-Mathieu, Erwan Ha Kyoon Larcher, Pauline Jakobiak, Thomas Laigle, Nicole Mersey, Mickael Nodin, Sandra Orain, Perle Palombe, Martine Servain, Emilien Tessier, Carole Zacharewicz.
Deutsche Premiere: 19. Dezember 2018
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.nanterre-amandiers.com
www.hebbel-am-ufer.de
"Wie zugewandt und freundlich sie zueinander sind! Und mit welch unerschöpflicher Langmut sie vermeintliches Ungemach hinnehmen", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (21.12.2018) über Quesnes Figurenvolk. "Irgendwann kippt die paradiesische Utopie ins Zivilisatorische, (...) was aber jetzt nicht heißt, dass die Stimmung darunter leiden und die Freundlichkeit gegeneinander abnehmen würde. So dass man mit der Frage nach Hause geht, warum man nicht einfach so, auch ohne Flugzeugabsturz Glück miteinander haben kann."
"Wirklich sehr schön – und von geradezu enervierender Harmlosigkeit", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (22.12.2018). "'Wie wäre es, wenn man den Crash einmal nicht als unausweichlichen und schicksalhaften Schlusspunkt der von der Menschheit eingeschlagenen Richtung ansieht, sondern als einen Anfang?', bringt der Programmzettel die Abendfrage auf den Punkt. Quesne beantwortet sie mit durchschlagender Nettigkeit. Wenn das keine ernst zu nehmende Drohung ist."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 17. April 2024 Autor und Regisseur René Pollesch in Berlin beigesetzt
- 17. April 2024 London: Die Sieger der Olivier Awards 2024
- 17. April 2024 Dresden: Mäzen Bernhard von Loeffelholz verstorben
- 15. April 2024 Würzburg: Intendant Markus Trabusch geht
- 15. April 2024 Französischer Kulturorden für Elfriede Jelinek
- 13. April 2024 Braunschweig: LOT-Theater stellt Betrieb ein
- 13. April 2024 Theater Hagen: Neuer Intendant ernannt
- 12. April 2024 Landesbühnentage 2024 erstmals dezentral
neueste kommentare >
-
Wasserschäden durch Brandschutz Rechnung
-
Medienschau Dt-Defizit Mitarbeiterrücken
-
ja nichts ist ok, Berlin Danke, Fabian!
-
Medienschau Hallervorden Stereotyp und einseitig
-
Olivier Awards 2024 Wunsch
-
Wasserschäden durch Brandschutz Es dauert
-
Wasserschäden durch Brandschutz Fragen eines lesenden Laien
-
TheatreIST-Festival Türkei Toller Bericht
-
Rücktritt Würzburg Nachtrag
-
Leser*innenkritik Anne-Marie die Schönheit, Berlin
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Das vermag zunächst zu überzeugen in seiner Liebe zur Albernheit, zur gutgelaunt spielerischen Übertreibung, zum Ausufern der Fantasie auf zunächst von automatischem Klavier (das unter anderem das Titelthema aus Titanic spielt), später von überbordend pathetischer Filmmusik gewebtem Klangteppich. Und ist doch schnell auserzählt. So wird das Spiel bald zum Selbstzweck, wiederholt es sich, um sich gleich darauf zu überbieten, mit noch einer fantasievoll albernen Aktion, etwa einer herrlichen Schaumfontäne aus dem Flugzeugwrack oder feuerwerksartiger Vulkaneruptionen. Es ist schwer, den Bildern, die Philippe Quesne malt, nicht gern zuszusehen, aber unmöglich, die Augen davor zu verschließen, dass ein Großteil dieser fast zwei Stunden selbstzweck ist, selbstverliebtes Brimborium, liebevoll absurdes Theater ohne tieferen Sinn. So sehrm das bald die satirische Intention aus dem Blick gerät, der Zuschauer sich so sehr in diese sieben (?) Zwerge, diese possierlichen Menschheitsextrakte verliebt, dass das, was da erzählt wird, irgendwann weitgehend vergessen ist. Das ist so nett, so harmlos, so wunderlich wie ein Märchenspiel oder eine Zirklusvorstellung (die musikalisch im Übrigen mehrfach zitiert wird). Und so beliebig, so egal, so traumschön leer. Vielleicht ist Philippe Quesne am Ende doch kein Lyriker und Weltenerfinder, sondern sein Theater ein außergewühnlich einfallsreicher Kindergeburtstag, eine besonders fantasievolle Variante des Topfschlagens. Und die sind bekanntlich nie allzu lang auszuhalten.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/12/21/topfschlagen-mit-oktopus/