Miriam Maertens: Verschieben wir es auf morgen - Die Schauspielerin erzählt, wie sie eine lebensbedrohliche chronische Krankheit und das Theater unter einen Hut bekam
Der imperfekte Körper
von Georg Kasch
4. Januar 2019. Es gibt nicht viele autobiografische Bücher, bei denen man Richtung Showdown mitfiebert und über die Seiten rast, auch wenn das Ende bekannt ist: Miriam Maertens, Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich, hat ihre Lungentransplantation überlebt, klar, andernfalls hätte sie "Verschieben wir es auf morgen" nicht schreiben können.
Trotzdem kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, wenn Maertens schildert, wie ihr zunehmend die Luft wegbleibt, vor allem bei den Proben zu und den Aufführungen von Faust 1-3 im stickigen Keller. Die kaputte Lunge ist ein Resultat ihrer Mukoviszidose. Die Krankheit lässt lebenswichtige Sekrete zähflüssig werden, auch in der Lunge, ist nicht heilbar, endet tödlich. Wenn die Lunge – trotz Sport, Inhalationen, Kuren – nicht mehr funktioniert, braucht man eine neue. Oder stirbt.
Eine berühmte Theaterfamilie
Entsprechend trägt Maertens Buch den Untertitel: "Wie ich dem Tod ein Schnippchen schlug". Es erzählt auf 250 Seiten, wie die Krankheit sie ihr Leben lang begleitet und es prägt. Der Kampf mit den Begleiterscheinungen, gegen die Symptome ist von Anfang an Teil ihres Lebens. Dennoch ist ihr schnell klar: "Ich wollte kein Opfer meiner Krankheit werden." Sondern Schauspielerin. Hundebesitzerin. Mutter.
Auf den ersten Blick ist das Buch eine Mischung aus Schauspieler- und Schicksalsbiografie. Einerseits enthält es Geschichten über die berühmte Theaterfamilie – Großvater Willy war in Hamburg Thalia-Intendant, Großmutter Charlotte Kramm stand dort wie ihr Vater Peter auf der Bühne, ihre Brüder Kai und Michael (prägend an der Wiener Burg) sind auch durch Film und Fernsehen populär geworden.
Aufs Funktionieren ausgerichtet
Andererseits dominiert der aufhaltsame Weg mit dieser zähen, dauerpräsenten Krankheit, mit der sie nur fertig wird, weil sie aus einem so stabilen, engagierten Umfeld kommt, immer ihren Willen durchzusetzen weiß, genau auf ihren Körper hört, sich auch mal gegen die Meinungen der Anderen durchsetzt. Maertens schreibt luftig, manchmal naiv; durch die nicht so wahnsinnig interessanten Kindheitstage liest man sich eher mit Mühe. Von ihren Theaterarbeiten mit Regisseuren wie Matthias Hartmann, René Pollesch und Dušan David Pařízek erfährt man allenfalls Anekdotisches.
Was diese Krankheits-Autobiografie für Theaterinteressierte auf den zweiten Blick dennoch wichtig macht, ist der Umstand, dass das deutschsprachige Stadttheatersystem ein extrem leistungsfordernder, man könnte sagen: neoliberaler Apparat ist. Wer da nicht mithalten kann, wird erst gar nicht aufgenommen. Was bedeutet es für einen Betrieb, in der alles aufs Funktionieren ausgerichtet ist, wenn jemand regelmäßig Auszeiten braucht? Wenn er auf der Bühne keine sportlichen Höchstleistungen erbringen kann? Wenn er von heute auf morgen für unbestimmte Zeit ausfällt?
Das Doppelleben als Strategie
Das macht Maertens Weg, die ja, von ihrer Mukoviszidose abgesehen, beste Voraussetzungen für eine Theaterkarriere mitbringt – früheste Bühnenerfahrungen, Kontakte, Talent, eine Erscheinung, der man die Krankheit nicht ansieht – so spannend. Ihre körperliche Einschränkung ist massiv: Für ihr Überleben muss sie mehrmals am Tag inhalieren und Medikamente nehmen. Ihre körperliche Kondition ist weit schwächer und angreifbarer als bei den meisten anderen Menschen. Jede Erkältung kann zur Lungenentzündung werden. Ihre Strategie ist ein Doppelleben: Kaum jemand am Theater darf von ihrer Krankheit erfahren, also ist sie immer besser, disziplinierter, vorbereiteter als alle anderen.
Erste Hürde: die Schauspielschule. Dass sie an keiner staatlichen Schule genommen wird, sondern an jener privaten landet, an der ihr Vater unterrichtet, begreift sie später als Glück, weil sie das erforderliche Pensum an einer staatlichen Schule kaum geschafft hätte: "All den Anstrengungen wie Fechten, Turnen, Singen, Rollenarbeit und Improvisation wäre ich auf Dauer körperlich einfach nicht gewachsen gewesen."
Zweite Hürde: der Theateralltag, zumal als alleinerziehende Mutter. Maertens’ Doppelleben bedeutet genaues Timing, um Beruf, Sohn und Therapieplan unter einen Hut zu bekommen, Krankenhausaufenthalte einzutakten und zu verheimlichen, auf alle äußeren Hilfsmittel zu verzichten: "Die Liebe zu diesem Beruf ließen mich immer wieder ans Theater zurückkehren und Dinge tun, die gesundheitlich eigentlich unverantwortlich waren." Zum Beispiel viel Zeit auf staubigen, sauerstoffarmen Probebühnen zu verbringen, um sich hinterher mühsam wieder hochzupäppeln.
Kämpfen!
So kann dieses Buch den Blick dafür schärfen, was Menschen mit chronischen Krankheiten und (unsichtbaren) Behinderungen leisten, wo sie im Stadttheatersystem an Grenzen stoßen, wo sie Unterstützung brauchen – gerade damit ein Doppelleben wie das von Maertens nicht mehr nötig ist. Zugleich macht es Mut, für seinen Theatertraum zu kämpfen, auch wenn die Umstände nicht dafür sprechen. Vor allem zeigt es, das imperfekte Körper einen nicht daran hindern müssen, Künstler*in zu sein. Wäre nur schön, der Theaterbetrieb sähe das ähnlich.
Verschieben wir es auf morgen. Wie ich dem Tod ein Schnippchen schlug
von Miriam Maertens
Ullstein Leben, 250 Seiten, 18 Euro
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