Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt verstummt inmitten des Debattengetöses
Meinungstand, abgebrannt
von Esther Slevogt
8. Januar 2019.Ich habe wieder meine Allergie. Meine Meinungsallergie. Das ohrenbetäubende Gemeine auf allen Kanälen hat mich an den Rand des Verstummens gebracht.
Dabei ist das Jahr noch jung, "ein frohes Neues!" tönt es mir überall entgegen. Doch es tut mir leid, aber ich kann das Neue nicht erkennen. Alles sieht, im Gegenteil, furchtbar alt und traurig aus. Das fängt schon auf meiner Straße an, wo jetzt überall die armen Tannenbäume herumliegen, neben Hundehaufen und anderem Unrat zur Abholung durch die Müllabfuhr bereit. Sie sind meist länger gewachsen, als manche Meinung heutzutage. Dann wurden sie abgeholzt, mit albernem Schmuck behangen. Kurz darauf sind sie ein wertloser Entsorgungsfall.
So ähnlich kommt's mir mit den Meinungen vor. Überall brüllt, tobt und meint es rund um die Uhr. Alle wollen gehört sein, Rechthaber, Linkshaber und wer nicht sonst noch alles. Und weil es immer mehr Meinungen werden, brüllen alle immer lauter. Manchmal ist die Lautstärke das Einzige, was an einer Meinung überhaupt noch auffällt. Vor lauter Meinung aber kann man die Phänomene oft gar nicht mehr erkennen, denen all diese Meinungen gelten.
Sind sie dahinter erstickt? Was haben sie eigentlich getan, dass mit Meinungen derart auf sie eingeschlagen wird? Existieren sie am Ende überhaupt? Hören sich all die Meinungen gegenseitig überhaupt zu? Aber das ist ja eh egal, denn die Meinungen brennen immer nur kurz. Wie die armen Weihnachtsbäume. Und dann liegen sie als Müll auf der Straße. Deswegen fällt meine Kolumne heute aus.
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zuletzt schrieb Esther Slevogt über "Die Erklärung der Vielen", eine Bewegung in bewegten Zeiten.
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Und wenn ich dann die Antwort von Samuel Schwarz lese, die ich nicht verstehe betr.des Franzosen, die aber gleich wieder auf die Stadttheater eindrischt....DAS ist bestimmt kein Neuer Weg!!!