Baumeister Roarks Träume

von Michael Laages

Giessen, 13. Januar 2019. Mittlerweile treibt ja einige alteuropäische Geister das Bemühen um, diesen Kern amerikanischen Gedankenguts zu verstehen: "The Fountainhead", den 1943 erschienenen Roman der russischen Emigrantin Ayn Rand, die 1905 als Alissa Semjonowna Rosenbaum in Sankt Petersburg zur Welt gekommen und mit 21 Jahren ausgewandert war in die USA. 1982 starb sie. Die Erfahrungen der Kollektivierung und ideologischen Gleichschaltung in der jungen Sowjetunion hatten sie nie losgelassen. In Romanen und Erzählungen verordnete sie den amerikanischen Exil-Gastgebern ein radikales Kontrastprogramm – Individualismus pur, Egoismus und Gier als Allheilmittel, inklusive der Verachtung sozialer Verantwortung und des Staates, der Regierung selbst.

Bevor im vergangenen Jahr der niederländische Autor Koen Tachelet das Heldenmärchen um einen kompromisslosen Architekten für den Regisseur Johan Simons und das Thalia Theater in Hamburg dramatisierte, hatten sich schon 2011 der Regisseur Tom Kühnel und der umtriebige Publizist und Theater-Sonderling Jürgen Kuttner mit Ayn Rand beschäftigt. Der Zugriff dieser beiden gibt sich im Titel eher als Pop-Comic: "Capitalista, Baby!" Bald acht Jahre nach der Uraufführung in Berlin setzt nun das Stadttheater in Gießen auf diesen Stoff.

Hymne auf den Egoismus

All die Pappkameraden und Abziehbilder sind versammelt, wie sie sich die Alte Welt nur in der Neuen vorstellen kann: in Strudel und Trubel des "amerikanischen Traums", wo einstmals bekanntlich der Tellerwäscher flott zum Millionär mutieren konnte. So einer steht tatsächlich mit im Zentrum von Roman und Dramatisierung: Gail Wynand heißt er und übertrifft als Medienmogul umstandslos alles an Erfolg und Zynismus, was etwa das gemütliche Deutschland unter Axel Cäsar Springer erdulden lernte.

Der Medienmogul amerikanischer Machart macht Karrieren und zerstört sie wieder, und mit allen Mitteln der Macht misst sich das Imperium dieses exemplarischen Widerlings an Ayn Rands literarischer Hymne auf Einzelgängertum und Egoismus am Künstler und Architekten Howard Roark. Der ist als Original-Genie konzipiert, gilt als unausbildbar auf üblichem Wege und macht darum nie wirklich Karriere als Baumeister – außer, wenn ein Solitär wie er selbst ihm einen Auftrag verschafft.

 capitalista1 560 Rolf K Wegst uTempel oder sozialer Wohnungsbau? Michael Böhlers Bühnenbild in "Capitalista, Baby!" © Rolf K. Wegst

Mehrere von Roarks himmelsstürmerischen Entwürfen scheitern: erst eine Art Tempel, der von Wynands Presse fundamental bis zur Zerstörung bekämpft wird; später ein Projekt des sozialen Wohnungsbaus, das der Architekt selber wieder in die Luft sprengt, weil ihm Kompromisse zugemutet wurden. Im Prozess um diese Bombenlegerei verkündet Roark zum Schluss das eigene Credo – nie jemandem oder irgendetwas anderem verpflichtet zu sein als sich selber, nur dem eigenen Ich als künstlerischer, politischer und gesellschaftlicher Idee. Nach dem Freispruch vor Gericht wird Roark für Wynand bauen.

Gehen, stehen, reden

Auch in der Bearbeitung von Kühnel und Kuttner (wie mittlerweile auch in der von Tachelet) gibt Ayn Rands Material kaum sehr viel mehr her als eine Diskurs-Plattform. Auf der Bühne erschöpft das Material sich und das Publikum fast automatisch in dauerndem Gerede, in unendlichen Windungen und Wendungen ebenso forcierten wie pointierten Palavers. Das ist jetzt am neuerdings sehr ambitionierten Stadttheater in Gießen nicht anders.

Für die Inszenierung von Katharina Ramser (einer Schweizer Regisseurin, die bislang zum Beispiel am Deutschen Theater in Göttingen auffiel), hat Michael Böhler eine Art offener Pyramide entworfen, bühnenfüllend weiß und an den Rändern von Gängen hinauf und hinab gesäumt. Wo der Bau massivere Wände hat, bietet er auch Platz für Projektionen – von Architekturzeichnungen etwa. Fleißig dreht sich nun die Konstruktion – aber leider bleibt letztlich nur sie beweglich.

 capitalista3 560 Rolf K Wegst uAlles ist beweglich, Ideologien, Politik, Gesellschaft, nur der Mensch darin starr nach vorne blickend. © Rolf K. Wegst 

Der Rest ist nicht viel mehr als Steh- und Geh-Theater, wie es viel zu oft den unerfreulichen Grundton altertümlicher Operninszenierungen charakterisiert. Beträchtliche Mengen an Text werden aus fixen Positionen am Rande der Pyramide abgeliefert, das Ensemble postiert sich viel zu oft wie festgeschraubt. Gedanken wandern hier, die denkenden Wesen tun nur so und handeln viel zu wenig. Nur in wenigen erstaunlichen Momenten lässt Ramser das zentrale Paar (der Architekten und die ihn hemmungs- und rückgratlos liebende Frau) plötzlich hinüberwechseln in eine Art film still voll falschem Pathos und seelenloser Erregung. Sogar eine Art virtuellen Orgasmus stöhnt sich die Lady herbei in der Begegnung mit dem unerreichbaren Helden. Das ist nicht viel.

Als Inferno gedacht

Und diese latente Leblosigkeit bleibt – so scheint es auch in Gießen wieder – das zentrale Problem in den Bemühungen um die bei Ayn Rand allgegenwärtige Vision und Ikonographie des anti-gesellschaftlichen Diskurses. Solange nicht irgendjemand diesen zutiefst und vollkommen durchschaubar ideologischen, vor Ressentiment gegenüber jeder Form gesellschaftlicher Verantwortung des Einzelnen nur so triefenden Text tatsächlich mal als schmierige Telenovela oder als rasant-rabiate Gangsterballade erzählt, als freche Wiedergängerei von Bonnie und Clyde, wird wohl nichts draus.

Und auch Kühnel und Kuttner haben ja nicht wirklich Brechts Arturo Ui entdeckt im erzliberalen und ultrakonservativen Gegeifer von Ayn Rand – vielleicht nur so jedoch (und mit viel abgründigeren Schärfen im Spiel) bekäme das Theater den lebendigen Schrecken in den Griff, der an beinahe jeder Stelle lauert auf diesem amerika-typischen Ego-Trip kapitalistischer Vorzeige-Babies. In Gießen jedenfalls war von diesem immer bloß denk-, aber eben nicht erlebbaren Inferno nichts zu spüren. Was schade ist und ein bisschen enttäuschend.

 

Capitalista, Baby!
von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel nach "The Fountainhead", dem Roman von Ayn Rand
Regie: Katharina Ramser, Bühne und Kostüme: Michael Böhler, Zeichnungen Christoph N. Fuhrer, Video: Tom Bernhard, Licht: Jan Bregenzer, Dramaturgie Harald Wolff.
Mit: Lukas Goldbach, Stephan Hirschpointner, Roman Kurtz, Anne-Elise Minetti, Pascal Thomas, Tom Wild.
Premiere am 13. Januar 2019
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.stadttheater-giessen.de

 

Kritikenrundschau

"Trotz all des theoretischen Unterbaus und der durchaus ambitionierten Spieldauer von rund 160 Minuten ist 'Capitalista, Baby' kein anstrengend moralinsaures Stück, sondern unterhält bestens. Daran hat neben Ramsers facettenreicher Inszenierung und dem bestens aufgelegten Ensemble auch das Bühnenbild von Michael Böhler großen Anteil", schreibt Karola Schepp in der Gießener Allgemeinen (14.1.2019). "Lucas Goldbach gelingt das Kunststück, den Widerling Howard Roark als charismatischen Verführer glaubhaft zu machen."

'Capitalista, Baby!' erweise sich als stringentes, temporeiches Schauspiel, das weitgehend ohne Längen auskomme und gleichzeitig einen aktuellen Kommentar zur Entwicklung der Gesellschaften in der westlichen Welt liefere, schreibt Björn Gauges im Gießener Anzeiger (15.1.2019). "Lohnend wird das in Gießen gezeigte Stück vor allem deshalb, weil sich irgendwann innerhalb dieser zweieinhalb Stunden Spielzeit jeder einzelne Zuschauer entscheiden muss, an welcher gedanklichen Wendung er Roarks Pfad verlassen will. Im Zweifel ist es immer eine Wendung zu spät."

Kommentare  
Capitalista, Baby!, Gießen: Bildunterschrift
Eine Kritik zu schreiben, in der die Autoren nicht oft genug genannt werden können, erfreut mich sehr. Bei aller Liebe zur multiplen Namensnennung wäre durchaus Platz für die Erwähnung des einen oder anderen Schauspielers, oder der einen oder anderen Schauspielerin möglich gewesen. Auch als Bildunterschrift. Wer ist das denn auf dem Foto?
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