Kampf mit der Vagina Dentata

von Kornelius Friz

Dresden, 19. Januar 2019. "Ich will nicht zur Frau werden", sagt sie und schwingt an einem erhängten Ziegenbock durch die Luft. Shari Asha Crosson spielt die Teenagerin Valeria, die sich weigert, vollends in das Patriarchat hineinzuwachsen, das sich ihr mit aller Gewalt aufdrängt, spätestens seit sie Brüste hat. Ihre Mutter Eva, die sich nicht mehr gegen das eigene Frausein wehren kann, hat ähnlich ambitionierte und weitaus radikalere Pläne, um der Männerherrschaft den Garaus zu machen: In ihrem Forschungsinstitut stellt sie aus menschlichen Stammzellen Sperma her, schwängert damit zu Testzwecken ihre Freundin und will so mittelfristig das Ypsilon-Chromosom endgültig ausrotten.

MitFreundlichen1 560 SebastianHoppe uRundumschlag gegen eigentlich alles: Birte Leest, Fanny Staffa in "Mit freundlichen Grüßen..."
 © Sebastian Hoppe

Für das Staatsschauspiel Dresden hat Laura Naumann "Mit freundlichen Grüßen Eure Pandora", eine Textfläche für eine weiblich identifizierte Besetzung geschrieben. Babett Grube fährt in ihrer Uraufführung am Kleinen Haus alles auf, was das postdramatische Theater ihr bietet. Die fünf Darstellerinnen liefern sich eine trashige Materialschlacht in Pelzmänteln, golden knisternder Rettungsfolie und Lycra-Catsuits: Unter einem riesigen Neonkreuz beschmieren sie sich mit Kunst-(Perioden?)-Blut, jagen Ballons und Bällen nach, die als Neugeborene vom Bühnenhimmel fallen, schreien ins Mikro und tanzen ironisch sexualisiert zu Rihannas Bitch Better Have My Money. Wem das noch nicht genug ist, kann sich weit nach vorne setzen, um sich anfassen, anmachen oder gleich besteigen zu lassen. Wieviel Übergriffigkeit ist erlaubt, um Übergriffe zu kritisieren? In Reihe eins sitzt ein alter weißer Mann, der bereits eingeschlafen ist.

Dem Furor geht die Luft aus

Nicht nur die Inszenierung mit den zahllosen Plastikrequisiten, auch Naumanns Text ist ein Rundumschlag. Er bleibt auf einer rationalen Ebene mit großen politischen Ambitionen, anstatt psychologisch fundierte Frauenfiguren zu entwerfen. Wenn ganz schnöde Listen von sexistischen Begebenheiten herunter gerattert werden, von denen wohl jede Zuschauerin mindestens eine wiedererkennt, entstehen die tiefen, weil bedrückend einenden Momente des Abends. Allerdings gerät das Stück an vielen Stellen zu einer wütenden, destruktiven Kritik an eigentlich allem.

Gewiss, jede Wut, jede Kritik ist allemal berechtigt, egal ob es Mutterschaft, die Institution Ehe, Scham, sexualisierte Gewalt oder ungleiche Bezahlung trifft. Auch sämtliche Literatur von Männern über Frauen wird fairerweise kurzerhand entsorgt; zu lange haben Freud und seine Kumpanen die Frau zu ihrem Objekt des Interesses gemacht und dabei Mythen wie den der Vagina Dentata geprägt.

Mitfreundlichen2 560 SebastianHoppe uAuf der Bühne v.l.n.r. Ursula Schucht, Birte Leest, Gina Calinoiu, Shari Asha Crosson, Fanny Staffa
© Sebastian Hoppe

Wie die berechtigte Wut und die angemessen harsche Abrechnung vorgebracht werden, wirken sie allerdings eher zahnlos, denn auf diese Weise war die Kritik schon oft zu hören: Hier ein bisschen Simone de Beauvoir, dort ein wenig Beyoncé und Liv Strömquist, die Haltung dabei immer schnoddrig wie Margarete Stokowski. Endlose popfeministische Bezüge – unterfüttert mit mythologischen Motiven – mögen im Programmheft interessant sein, führen sich aber im Text und in der Requisite fort, ohne darüber hinauszuweisen. So geht dem Furor gegen das Patriarchat auf halber Strecke die Luft aus. "Männer geplant aussterben zu lassen", ob das wirklich eine gute Idee ist? "Und was ist eigentlich mit allem zwischen Mann und Frau?", fragt Gina Calinoiu als Salome, bevor sie erklärt, keine Gebärmutter, keine Eierstöcke zu haben.

Utopien für den Nachhauseweg

Nach allem Monieren und Mäkeln entwerfen die fünf Frauen zum Ende hin Utopien, damit niemand auf dem Nachhauseweg an der Beschissenheit der didaktisch aufgezeigten Realitäten zugrunde geht: "Ich will eine Frau sein in einer Welt, die nicht behauptet, dass ich ein mysteriöses, mythisches Wesen bin, das kein Mensch versteht oder auch kein Schwein", wünscht sich die herausragend trocken spielende Ursula Schucht alias Baubo. Selbst Valeria hat mittlerweile die Unvermeidbarkeit ihrer Frauwerdung hingenommen, nicht aber den Zustand der Welt: "Ich will eine Frau sein in einer Welt, in der ich mich dann auch Mal mit etwas anderem beschäftigen kann."

Bis dahin, dass Feminismus kein Thema mehr sein muss, ist es noch weit und bis es so weit ist, schreiben Männer wie ich über Werke von Frauen, in denen Männer kritisiert werden, die genau das tun: über Frauen schreiben. Ich will ein Mann sein in einer Welt, in der ich Theaterstücke kritisieren kann, ohne mich fragen zu müssen, ob ich aufgrund meiner Identität überhaupt in der Position bin, Kritik zu üben.

Bling-Bling, Brimborium und Patriarchat

Neue Perspektiven auf den Widerstand der Frau eröffnen sich an diesem Abend kaum. Bei allem Bling-Bling und Brimborium bleibt die Frage offen, wie frau das mit dem Patriarchat denn nun angehen könnte. Zum Applaus stehen zehn Frauen* und ein männlich gelesener Beteiligter auf der zugemüllten Bühne. Vielleicht ist hiermit schon der erste Schritt getan, indem Gegenstrukturen geschaffen werden. Und der erste ist bekanntermaßen immer der schwerste.

Mit freundlichen Grüßen Eure Pandora
von Laura Naumann
Regie: Babett Grube, Choreografie: Salome Schneebeli, Bühne: Jan Alexander Schroeder, Kostüme: Hanne Lenze-Lauch, Lea Walloschke, Licht: Rolf Pazek, Dramaturgie: Katrin Breschke
Mit: Birte Leest, Shari Asha Crosson, Gina Calinoiu, Fanny Staffa, Ursula Schucht.
Premiere am 20. Januar 2019, Staatsschauspiel Dresden
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

"Mehr noch als im Kampfmodus befinden sich diese fünf hochagilen Frauen eher humorvoll auf der Suche nach sich selbst und nach dem Eigentlichen", schreibt Michael Bartsch in den Dresdner Neuesten Nachrichten (21.1.2019). "Vielleicht ein Durchgangsstadium, das eine spätere Teilakzeptanz des Männlichen nicht ausschließt." Sie spielten "in und vor treffenden wie auch missglückten Bildern". Und wenn sie ihre Visionen einer selbstbestimmten Weiblichkeit äußerten, müsse man sie einfach "bewundern, ja lieb haben".

"Fünf Schauspielerinnen agieren unter der Regie von Babett Grube voll Leidenschaft, Kraft, Lust und Zorn als Töchter der mythischen Pandora", schreibt Lilli Vostry in der Dresdner Morgenpost (21.1.2019). Es sei "ein Abend voll weiblicher Power und viel Stoff zum Nachdenken für Männer und Frauen".

"Eine revueartige Patchwork-Botschaft aus dem Reich des Mythos, die gewitzt mit Jahrtausenden Patriarchat abrechnet", sah Tobias Prüwer für die Freie Presse (21.1.2019). "Das Zusammenspiel von klugem Text und fünf großartigen Spielerinnen schafft dichte 90 Minuten, in denen von Liebe bis Hass, Wut- und Freudentränen alles dabei ist."

 

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