Wie? Ach!

von Andreas Wilink

24. Januar 2019. Eine kleine, vielleicht unwesentliche Akzentverschiebung, aber doch wohl bezeichnend. In seiner Vita und desgleichen bei seiner Vorstellung am heutigen Donnerstag im Kölner Rathaus las und hörte man von dem designierten Schauspielhaus-Intendanten (ab Sommer 2021) etwas über seine Zeit als Intendant der Schauspielbühnen Stuttgart. Wie, ach? Ein gewisses Erstaunen. Aber es ist eben nicht das Staatsschauspiel Stuttgart gemeint, sondern eigener Aussage nach "das Sprechtheater mit dem höchsten Publikumszuspruch in Baden-Württemberg". Nun, ein Schelm usw.

Was veranlasst die Stadt Köln, mit Carl Philip von Maldeghem jemanden zu küren, dem nichts Böses mit der Behauptung nachgesagt wird, dass er nicht an oberen Rängen der deutschsprachigen Theaterrepublik regiert? Selbst wenn die Namen Gerard Mortier und Peter Stein, denen er half und assistierte, in seine künstlerische Biografie einiges an Glanz bringen.

Köln zählt sein Schauspiel zur Spitze

Bislang erschien es selbstverständlich – und für Köln in seinem keineswegs geringen Selbstverständnis unzweifelhaft –, dass sein Theater zur Spitze der an zwei Händen abzuzählenden wesentlichen deutschsprachigen Sprechtheater gehört respektive zu gehören habe. Jürgen Flimm und Karin Beier an dieser Stelle zu nennen, erübrigt sich beinahe. Stefan Bachmann mit Stationen unter anderem in Hamburg, Basel und Wien brauchte sich ebenfalls nicht zu genieren.

Carl Philip von Maldeghem 560 Ute Boeters uVon Salzburg nach Köln: Neu-Intendant Carl Philip von Maldeghem © Ute Boeters

Auf der Kölner Bühne kann, darf, muss ein Intendant, zumal ein regieführender wie der 1969 am Chiemsee geborene von Maldeghem, etwas wagen. Was überhaupt nicht heißt – auch dafür stehen die beiden Genannten: Beier, die sich etwa mit ihrer Revolte gegen die verwässerte Verantwortlichkeit nach dem Einsturz des Stadtarchivs in die Stadtchronik eingeschrieben hat, und Flimm –, dies könne nicht auch populär sein. In jedem Kölner lauert ein Millowitsch. Aber eben auch ein Kulturbürger, dem sich etwas zutrauen lässt. Das mag ihn etwas unterscheiden von seinem Düsseldorfer Nachbarn, zumindest wenn es ums Theater geht.

Konkurrentinnen und Motive

Die Wahl nimmt noch mehr wunder angesichts der semi-offiziellen Liste weiterer möglicher Kandidaturen, darunter die Regisseurinnen Karin Henkel, die während der höchst erfolgreichen Kölner Ära Beier häufig und preisgekrönt inszeniert hat, sowie Jette Steckel.

Eine Motivation, weshalb sich die Stadtspitze – Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Kulturdezernentin Laugwitz-Aulbach – so entschieden haben, lautet: Hier beabsichtige jemand, Theater für die Bürgerinnen und Bürger zu machen, "da das Theater den Menschen gehört". Diese Banalität und Plattitüde zu zitieren, ist einem schon peinlich. Würde irgendjemand, der neu installiert wird, sagen, nicht Theater für die Stadt machen zu wollen?

Der landespolitische Auftrag

Der Gedanke lässt sich dennoch aufnehmen, zumal bei der Präsentation das überstrapazierte Wort vom ausstrahlenden "Leuchtturm" fiel. (Es sollte ein Nachschlagewerk der Un-Wörter für die Kulturbürokratie publiziert werden.) Um einmal über den Gesichtskreis Köln hinauszuschauen, auch wenn dem Kölner das naturgemäß schwer fällt: Gilt nicht für die Metropole auch eine Art landespolitischer Auftrag? Sollte und müsste die größte Kommune nicht im mindesten den Aspekt mit in ihre Überlegungen nehmen, ein rheinisches Gegengewicht zu bilden gegenüber Johan Simons' sich gerade so spektakulär neu erfindendem Schauspielhaus Bochum, wenn schon die dazwischen liegende Landeshauptstadt derzeit eine so brave Spiel-Adresse abgibt.

Die Ankündigung des Carl Philip von Maldeghem, personell etwa mit John von Düffel, der wie am Fließband Bühnenfassungen von Romanen produziert, mit Amélie Niermeyer und Alexandra Liedtke zusammenzuarbeiten, die bereits an seinem Landestheater Salzburg verpflichtet wurden, klingt nicht eben nach Impuls, nach Idee, nach Konzept, nach Aufbruch.

Rationalisierung in Sicht?

Suche und Findung wurde von Rolf Bolwin, dem lang gedienten Direktor des Deutschen Bühnenvereins, maßgeblich beeinflusst – weshalb auch immer, jenseits von Auslastungszahlen. Ob die Berufung ein Signal setzt für einen möglichen Zusammenschluss der Schauspiel- und Opernbühne zu einer Generalintendanz, irgendwann an der Baustelle Offenbach-Platz, steht dahin. Der Gedanke könnte einem kommen. Ohne dass er Freude auslöst. Dabei sollte das Kölner Offenbach-Jahr zum 200. Geburtstag des Komponisten doch Champagner-Laune verbreiten. Verkorkst.

 

Presseschau

In der Personalie um den neuen Kölner Schauspielchef Carl Philip von Maldeghem meldet sich der Schriftsteller Navid Kermani in einem Gastbeitrag im Kölner Stadtanzeiger (31.1.2019, 8:07 Uhr) zu Wort. Darin rechnet er gründlich mit der Kulturpolitik seiner Heimatstadt ab: "Mit dieser Entscheidung schreibt sich Köln selbst ab vom überregionalen Theaterleben. Ich verstehe nicht, was da in den Köpfen der Verantwortlichen abgelaufen ist." Kermani vermutet, der Vorzug habe einem bequemen Kandidaten gegolten, und er nimmt an, dass die Verantwortlichen selbst "gar nicht ins Theater gehen und vor allem ihre Ruhe haben wollen. […] Nur kein Krach und kein Krawall – das mag die Devise gewesen sein [...]." Mit Entscheidungen wie diesen und mit seinem politischem Klüngel verspiele Köln "seine große Tradition, die nicht nur aus Kirchen besteht, sondern auch aus dem reichen künstlerischen Angebot – im Theater, in der Kunst, in der Musik, in der Literatur." Somit stehe der Einsturz des Kölner Archivs "leider sinnbildlich für den Umgang Kölns mit seiner eigenen Kultur, seinem Gedächtnis, seiner reichen Tradition".

In einem Interview befragt zudem Christian Bos – ebenfalls im Kölner Stadtanzeiger (30.1.2019, 10:50 Uhr) – den  Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Marc Grandmontagne, zu den Untiefen des äußerst klandestin verlaufenen Procederes. Grandmontagne betont, dass bei derlei Entscheidungen der öffentlichen Hand Transparenz gefragt sei – und das Involvieren der Stadtbevölkerung, denn letztlich gehe es ja immer auch um die Frage: "Wie geht Demokratie? Wie kann man sie zukunftsfähig machen?" Die Theater und der Bühnenverein hätten diese Diskussion in den vergangenen zwei Jahren rege geführt. "Das was jetzt in Köln gemacht wurde, scheint genau das Gegenteil davon zu sein. Um diese Fragen zu klären, hätte man überhaupt mal in die Stadt reinhören müssen. Insoweit sich der jetzige Unmut nicht an der Person Carl Philip von Maldeghem, sondern an der Art und Weise entzündet, wie diese Entscheidung zustande kam, würde ich in die Kritik miteinstimmen."

Stefan Keim meldet sich im WDR (28.1.2019) zu Wort. Die kurzfristige Einladung zur Pressekonferenz und die vollkommen überraschende Bekanntgabe des neuen Intendanten wertet er als "Coup": "Da wurde etwas durchgepeitscht, niemand hatte ihn auf der Liste." Von Maldeghem habe seine vorangehenden Häuser in Salzburg und Stuttgart finanziell wunderbar im Griff gehabt, berichtet Keim, und Maldeghem sei "ein hervorragender Kommunikator." Nun habe Köln die großen fünf Jahre von Karin Beier gehabt und "ein Publikum, dass sich fordern lässt". Von Maldeghem dagegen stehe "für ein braves, populäres Erzähltheater". Auch Keim kritisiert den klandestinen Findungsprozess des neuen Intendanten: "Es gab überhaupt keine Diskussion, was will eigentlich Köln von seinem Schauspiel?" Seiner Einschätzung nach gehe es darum, dass der künftige Intendant das Schauspielhaus nach Beendigung der Baumaßnahmen nicht leerspiele. So könne man sich durchaus entscheiden als Stadt - allerdings nicht ohne vorangehende Diskussion.

mehr debatten