Stella Goldschlags Erben fordern Musical-Absetzung
Streit um Stella
31. Januar 2019. Die Erben von Stella Goldschlag wollen gegen die Nutzung ihrer Biografie in einem Roman und einem Musical vorgehen. Das geht aus einem Artikel in der Zeit (31.1.2019) hervor.
Goldschlag, selbst Jüdin, kollaborierte mit den Nationalsozialisten. In ihrem Auftrag spürte sie in Berlin versteckte Juden auf und sorgte für deren Verhaftung. Ihre Lebensgeschichte wurde in mehreren Filmen aufgegriffen, zuletzt auch in Takis Würgers umstrittenen Roman "Stella" (Hanser Verlag), sowie zuvor in einer 2016 angelaufenen Produktion der Neuköllner Oper. Gegen diese Adaptionen wehren sich nun die Erben.
Die Zeit zitiert aus einem anwaltlichen Schreiben an den Hanser Verlag: "Frau Goldschlag alias Gärtner lag besonders daran, dass ihre Biographie in verantwortungsvoller Weise dargestellt wird. Sie wollte unter keinen Umständen, dass einzelne Abschnitte ihres tragischen Lebens aus dem Gesamtzusammenhang gerissen und damit verfälscht dargestellt werden." Der Anwalt fordert den Verlag auf, das Buch "Stella" nicht weiter zu vertreiben. Die Neuköllner Oper solle von weiteren Aufführungen der Produktion "Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm" absehen.
In einer Stellungnahme wehrt sich die Leitung des Hauses gegen die Vorwürfe. Darin heißt es: "Wir sind erstaunt, dass nun juristisch versucht werden soll, Deutungshoheit über die gesellschaftliche Bewertung einer Person des öffentlichen Lebens zu erlangen. Da das allgemeine Interesse an Stella anscheinend noch immer groß ist, prüfen wir, das preisgekrönte Werk in einer weiteren Vorstellungsserie zu zeigen."
(Die Zeit / Neuköllner Oper / miwo)
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In der aktuellen ZEIT- Ausgabe schreibt der Publizist Micha Brumlik über das Singspiel STELLA an der Neuköllner Oper: „Musical und Buch verdrehen das, was Stella Goldschlag in all ihrer Tragik am Ende noch wollte, ins groteske Gegenteil: in kulturindustrielle Unterhaltung“. Eine in mehrfacher Hinsicht alarmierende Aussage - hätte Brumlik die Inszenierung gesehen und den Text gelesen, was unseres Wissen nicht geschehen ist, wäre er wohl kaum zu dieser eigenartigen Lesart (wir sagen jetzt nicht: Verdrehung) gekommen. Stück wie Inszenierung entsprechen vermutlich genau dem, was sich Stella Goldschlag zur Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte gewünscht hatte - ein differenziertes - wenngleich naturgemäß mit theatralischen Mitteln entworfenes - Bild ihres Verhaltens als „Greiferin“. (Womit ein vorausgesagter Rechtsstreit obsolet würde).
Über die Frage des Umgangs mit journalistischen Grundprinzipen von gewissenhafter Recherche und der Trennung von Fakt und Meinung hinaus stellt die zitierte Verurteilung vor allem noch ganz andere Fragen. Ist dies ein weiterer Versuch, Deutungshoheit über „Moral und die deutsche Erinnerungspolitik“ (ZEIT) zu gewinnen (oder erzwingen)? Denn ob Stella Goldschlag so eindeutig „Opfer“ des NS-Regimes war, wie es der Artikel suggeriert, ist so wenig eindeutig wie weiterhin zu diskutieren. Und ist in der offensichtlich herabwürdigend gemeinten Klassifizierung der „Stella“-Produktion als „kulturindustrielle Unterhaltung“ nicht auch jenes Herrschaftsdenken impliziert, dass solche Themen einfach nicht ins „unterhaltende“ Musiktheater gehören? Müssen wir wieder zurückkehren zu den alten, längst geführten Diskursen (wie etwa bei Zadeks „Ghetto“ 1984)? Und was will das Prädikat „unterhaltend“ sagen: dass sich Seriosität, gewissenhafte Recherche und Komik ausschließen? Dass Ironie Erkenntnis verhindert? All das könnte man gut in einer Vorstellung von „Stella“ in der Neuköllner Oper Berlin erfahren, evaluieren, diskutieren – wie es einige tausend Menschen seit 2016 getan haben. Man müsste eben nur kommen. Und sich dann sein Urteil machen.