Absurder Arbeitstotalitarismus

von Christian Muggenthaler

Regensburg, 8. Februar 2019. Die junge Frau, Tamsin mit Namen, muss sich um ihren Bruder Dean kümmern, der so stark unter Zwangsneurosen leidet, dass er kaum den Alltag meistern kann. Die Mutter ist früh gestorben, Tamsins Schulbildung alles andere als prächtig. Weil sie irgendwie Geld ranschaffen muss für sich und ihren Bruder, muss sie als Ungelernte in einem Paketdienst schuften, in dem schlechte Löhne, Akkordarbeit und das unbedingte Angewiesensein auf wenigstens diesen Arbeitsplatz inhumane Bedingungen schaffen. Dort lernt sie mit Luke einen jungen Mann kennen, der sie kurz zum Lieben und Träumen bringt. Weil die Behörden ihren Bruder aber – eine Katastrophe – nicht als arbeitsunfähig ansehen wollen, und die Unterstützung kappen, muss sie alle Träume beerdigen und im Mahlstrom des Akkords weitertreiben.

Sozialpolitik als Herrschaftsinstrument

Das Stück "Wish List" der britischen Autorin Katherine Soper, das jetzt am Theater Regensburg deutschsprachige Erstaufführung hatte, liest sich wie eine dramaturgische Ausarbeitung der Kernthesen des spanischen Soziologen César Rendueles, die unter anderem besagen, dass ein Mensch in einer auf ökonomische Messbarkeit getrimmten Gesellschaft per se zu den Verlieren zählt, wenn er Fürsorge zeigt und sich um andere kümmert. Dass Sozialpolitik zu einem bürokratischen Herrschaftsinstrument mutiert ist. Und weil Fürsorge eben kein wirtschaftlich messbarer Wert ist, werden Menschen, denen es nicht so gut geht, nicht mit Zuwendung behandelt, sondern in ein System permanenten Drucks und Misstrauens integriert, um sie zu möglichst günstigen Arbeitskräften zuzurichten.

WishList 2 560 MarionBuehrle u Der Teamleiter (Gero Nievelstein) und Tamsin (Inga Behring) © Marion Bührle

Derlei Zwangssysteme bestrafen in schöner Regelmäßigkeit die Falschen. Davon erzählt Soper in ihrer zarten, berührenden Geschichte. Individuelle Wünsche und Hoffnungen laufen ins Leere, weil die richtigen Startvoraussetzungen nie geschaffen wurden. Die ersehnte Weiterbildung ist für Tamsin in ihrer Situation nicht realistisch. "Aber wie", fragt sich die junge Frau, "kriege ich, was ich will?" Sie wird es, so steht zu vermuten, nie bekommen. Ihr geheimer Traum – die Astrophysik – bleibt so weit entfernt wie die Sonne.

Soper badet ihre Geschichte in menschlicher Wärme und säubert sie von Theorielastigkeit. Sie trennt die Sphären des Privaten und der Arbeitswelt: Mit  einem fiesen "Teamleiter", einer Laufschrift des gegenwärtig absolvierten Arbeitspensums und aufmunternden Schlagworten trägt die Arbeit im Paketdienst die Anmutung eines absurden, aber auch irritierend realistischen Arbeitstotalitarismus. Regisseur Oliver D. Endreß nimmt die Trennung der beiden Sphären auf, die Bühne (Ausstattung: Emanuel Schulze und Lena Scheerer) dreht sich vom gelben Paketbetrieb zur Privatwohnung mit Weltraumtapete.

Hoffnung und Ausweglosigkeit

Die muntere, erfrischende, packende Inszenierung stellt jene Nacht in den Mittelpunkt, in der Tamsin und Luke sich näher kommen, inklusive einer hübschen Gesangsnummer nach Meat Loafs "I Would Do Anything For You (But I Won't Do That)" (Musik: Cico Beck): Die beiden sind sehr süß und sogar ein bisschen komisch in ihrer Schüchternheit. Endreß schafft es, mit dieser ungemein berührenden Szene das ganze Thema auf seinen menschlichen Kern engzuführen: Wie nahe für diese Figuren Hoffnung und Ausweglosigkeit zusammenliegen, wie die Zartheit beider im Umgang miteinander – und mit Dean – nicht belohnt wird. Die Kompaktheit der Regie an diesem Punkt gebiert große Tragik: Auch diese Liebe, die die Frau so gern wollen würde, wird sie nicht bekommen. Die Wirklichkeit platzt herein. Luke wird weggehen und Fachabitur machen.

Für den menschlichen Kern der Inszenierung sorgen auch die jungen Schauspieler, die ihre Figuren und die Figuren in all ihrer persönlichen Last dennoch sehr leicht machen und sehr natürlich. Gero Nievelstein ist ein Teamleiter, der die Arbeiter stets zur Planerfüllung antreibt, selbst zwar wie Bertolt Brechts achter Elefant auch nur Erfüllungsgehilfe einer auf stetes Wachstum setzenden Firmenphilosophie ist, aber einen auf Alphatierchen macht: Ständig betatscht er die junge Frau. Die wird hinreißend gespielt von Inga Behring: Sie zeigt die ganze Kraft Tamsins, die sich in aller Not eine große Anmut bewahrt hat. Kristóf Gellén spielt Dean mit seinen Ticks und Verschrobenheiten saftig und überzeugend, mit Murat Dikenci kann man die Menschlichkeit und innere Schönheit Lukes entdecken. Eine schöne Entdeckung eines britischen Texts für die deutschen Bühnen.

 

Wish List
von Katherine Soper, Deutsch von Jessica Higgins
Regie: Oliver D. Endreß, Ausstattung: Emanuel Schulze, Co-Ausstattung: Lena Scheerer, Musik: Cico Beck, Licht: Wanja Ostrower, Dramaturgie: Nadine Wiedemann.
Mit: Kristóf Gellén, Inga Behring, Gero Nievelstein, Murat Dikenci.
Premiere am 8. Februar 2019
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-regensburg.de

 

Kritikenrundschau

"'Wish List' wirft einen aufschlussreichen Blick in die dunklen Ecken unserer globalisierten Ökonomie. Es nimmt die Arbeitsverhältnisse im Neoliberalismus und deren Auswirkungen auf die Menschen aufs Korn, ohne dabei mit erhobenem pädagogischen Zeigefinger umherzulaufen", schreibt Michael Scheiner von der Mittelbayerischen (10.2.2019). "Am berechtigten Erfolg hatten die vier durchweg überzeugenden Schauspieler ebenso ihren Anteil wie die eigens kreierte Musik und die so treffliche Bühne."

 

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