Ist nur Theater!

von Andrea Heinz

Wien, 14. Februar 2019. Ein Stück wie Karl Schönherrs "Glaube und Heimat", das ist in ideologisch aufmunitionierten Zeiten wie diesen erstmal keine schlechte Wahl. Soll niemand glauben, die religiösen Fanatiker wären immer nur die Anderen, Fremden – wie am Schönherrschen Drama aus dem Jahre 1910 schön zu sehen ist, waren die aufgeklärten Europäer im 19. Jahrhundert noch vorne dabei in Sachen Glaubenskrieg. Angeregt durch die Vertreibung der Zillertaler Protestanten im Jahr 1837 verlegte Schönherr sein Stück, das den verräterischen Untertitel "Tragödie eines Volkes" trägt, in die Zeit der Gegenreformation. Exemplarisch werden die Ideologien gegeneinander aufgefahren: hier der religiöse Fanatismus, der im Namen des rechten (sprich: katholischen) Glaubens verlangt, dass die lutherisch Irrgläubigen das Reich verlassen. Der Kaiser will es so, ein zum Ritter geschlagener Mönch exekutiert es mit dem Schwert. Dort der zutiefst bäuerliche Glaube an den eigenen Grund, die Heimat, in der man zum Erhalt des eigenen Seelenheiles zwingend begraben sein muss. Im Völkischen Beobachter wurde Schönherr für sein "blutechtes, bodenständiges Schaffen" gelobt.

Im Herrgottswinkel

In der Wiener Josefstadt hat Stephanie Mohr das Stück nun mit großem Ensemble auf die Bühne gebracht. Das Setting ist beklemmend: Wände teilen die Drehbühne in vier sehr ähnliche Zimmer. Da ist, in zweifacher Ausführung, die Bauernstube mit Kreuz, Jesusbild und gesticktem Gebet im Herrgottswinkel. Daneben gibt es zwei Zimmer mit genau denselben Türen und Fenstern beziehungsweise Treppenstiegen hinauf in einen nicht vorhandenen ersten Stock, einmal in weiß, einmal in schwarz gestrichen. Die Figuren wechseln im Spiel immer wieder von einem Zimmer zum nächsten, vom realistischen ins verfremdete. Passend zum Heimatfilm-Kitsch der Stube sind Raphael von Bargen als Christoph Rott, Silvia Meisterle als seine Frau, Roman Schmelzer und Alexandra Krismer als Nachbars-Paar oder Nikolaus Barton als Englbauer, der Monopoly-mäßig sämtliche Höfe der Protestanten aufkauft, angezogen eher wie die Großbauern am Sonntag denn wie normale Landwirte am Werktag. Ganz in schwarz mit weißen Hemden, die Frauen in langen Röcken, die Männer mit Westen unter der Jacke. In der schwarz-weißen Enge wirken sie wie der Schlag Menschen, der nachts mit brennenden Fackeln herumzieht, und das passte ja auch zu der archaischen Geschichte von religiösem Wahn und verblendeter Heimaterde-Ideologie.

Kein Trost für niemanden

Jedoch scheint die Inszenierung den Text so ernst dann doch nicht nehmen zu wollen. Von Anfang an ist da auch ein Trommler (Kyrre Kvam) mit surrealer, clownesker weißer Gesichtsbemalung auf der Bühne, der Texte von Andreas Gryphius und Rainer Maria Rilke intoniert. Und als dem Alt-Rott (Michael König) zu Beginn wegen der Wassersucht vom Bader (Oliver Huether) ein Messer in den Bauch gerammt wird, damit die Flüssigkeit in ein Gefäß rinnen kann, da gluckert es so fröhlich und Comic-haft, dass es fast zum Lachen ist. Der Reiter des Kaisers (Claudius von Stolzmann) rennt mit Blutspritzern und einem rosa gefleckten Hemd herum, das eher nach nicht ordentlich sortierter Wäsche aussieht als nach Blutrausch.

Glaube Heimat 2 560 Moritz Schell uSchwarz-weiße Welt © Moritz Schell

Der Kesselflick-Wolf und das Straßentrapperl (Ljubiša Lupo Grujčić und Susanna Wiegand), die als Figuren eigentlich zeigen könnten, wie unsolidarisch die Menschen selbst in der Verfolgung noch gegenüber jenen sind, die sie als minderwertig betrachten, laufen seltsam unmotiviert durch die Szenen und tragen dabei ein sehr heutiges Plastiksackerl, der Vertriebenen-Zug ist mit modernen Trekking-Rucksäcken ausgerüstet. Die ermordete Sandpergerin (Krismer) wandelt geisterhaft durch die Szenerie, zwischendurch schreiben die Figuren mit Kreide "Es kommt kein Trost" an die Wände des schwarzen Zimmers.

Sie werden auch von den Schauspieler*innen mal mehr, mal weniger ernsthaft vertreten. Während Raphael von Bargen seinen Rott, der sich, vom Gewissen geplagt, schließlich zum verfolgten Glauben bekennt, in größten Seelennöten zeigt und sich in einer berührenden Szene von seiner Ehefrau verabschiedet, springt der Sohn (Swintha Gersthofer) unschuldig-frech herum. Andere Rollen sind mit mehr Distanz angelegt, manchmal beinahe karikiert und wie Funktionsträger. Die ganze Inszenierung wirkt unentschieden, in sich nicht stimmig. Als hätte man einen Text gewählt, dem man eigentlich gar nicht traut.

Glaube und Heimat
von Karl Schönherr
Regie: Stephanie Mohr, Bühne: Miriam Busch, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Licht: Manfred Grohs, Musik: Kyrre Kvam, Dramaturgie: Matthias Asboth.
Mit: Raphael von Bargen, Gerhard Kasal, Michael König, Silvia Meisterle, Swintha Gersthofer, Elfriede Schüsseleder, Roman Schmelzer, Alexandra Krismer, Igor Karbus, Nikolaus Barton, Claudius von Stolzmann, Lukas Spisser, Oliver Huether, Michael Schönborn, Ljubiša Lupo Grujčić, Susanna Wiegand, Jörg Reifmesser, Kyrre Kvam.
Premiere am 14. Februar 2019
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.josefstadt.org

 

Kritikenrundschau

Die beiden Schauspieler Roman Schmelzer und Raphael van Bargen lassen Stephan Hilpold von der Wiener Tageszeitung Der Standard zumindest erahnen, "welche Wucht Schönherrs knorriges Personal bei einem forscheren Zugriff der Regie entfalten könnte." Regisseurin Stephanie Mohr jedoch lasse bei einigen halbherzigen Ideen bewenden." Doch wer heute den als "Tiroler Scholllendichter" verschrienen Autor inszeniere "sollte gute Gründe dafür haben – so wie 2009 Martin Kusej, dessen existenzielle Schönherr-Lesart mit Birgit Minichmayr vor Kraft strotzte."

"Unterm Strich zwar eine solide und bemühte Inszenierung," schreibt Christina Böck in der Wiener Zeitung (15.2.2019). Aus Sicht der Kritikerin will in der Inszenierung von Stephanie Mohr einiges nicht so wirklich zusammengreifen. "Sie belässt das Stück in seiner Zeit, die wenigen Verfremdungseffekte, wie ein alptraumhaftes Auf-der-Stelle-Wandern des Flüchtlingstrecks oder der synchron mit Kreide auf die Wand geschriebene Satz 'Es gibt keinen Tros', können der Antiquiertheit nicht abhelfen. Die Thematik bleibt dadurch so weit weg, wie ein historischer Vorfall eben ist - ein freies Weiter-Assoziieren in die Gegenwart bleibt aus."

 

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