Dies Haus kennt die geheimsten Wünsche

von Andreas Schnell

Oldenburg, 23. Februar 2019. Kennt jeder: Werbung auf Internetseiten, die Produkte anpreist, die man gerade gekauft hat. Oder über die man just jemandem in einer Whatsapp-Nachricht geschrieben hat. Werbung, die verdächtig gut auf die geheimen Wünsche reagiert, die man höchstens dem Internet anvertraut. Paranoia hin, schöne neue Service-Welt her – der Algorithmus ist ein unauslöslicher Teil des Alltags. Und Datenklau sowieso.

Vier Wissenschaftler unter sich

Das wissen auch die vier Wissenschaftler, die Rebekka Kricheldorf in ihrem "Haus auf Monkey Island" aufeinandertreffen lässt: Der Soziologe Hannes, Typ kritischer Hedonist, André, ein sich bis zur Selbstverleugnung optimierender Werber, Ann, hyperambitionierte Neuro-Wissenschaftlerin, sowie Gutmensch Kristina, die im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung sitzt. Gemeinsam sollen sie eine Strategie entwickeln, um In-vitro-Fleisch zu vermarkten. Eine Steilvorlage für Debatten über unser Verhältnis zu Tieren, über die Verführbarkeit des Menschen, die ethische Dimension von Marketing und derlei mehr. Aber ist es auch Theaterstoff?

HausMonkeyIsland 1 560 StephanWalzl uIm Big-Brother-Haus: vier Wissenschaftler sollen zusammen eine Strategie entwickeln, wie man am besten In-vitro-Fleisch vermarktet © Stephan Walzl

Ein "Writer in residence"-Programm des Hansewissenschaftskollegs in Delmenhorst, zwischen Bremen und Oldenburg gelegen, gab Rebekka Kricheldorf die Gelegenheit, in engem Kontakt zu Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verschiedenster Disziplinen, den Stoff für ihre neues Stück zu entwickeln, der nun am Oldenburgischen Staatstheater von Matthias Kaschig uraufgeführt wurde.

Gespielt wird in einem zum Publikum offenen, perspektivisch nach hinten zulaufenden weißen Kasten mit Drehtüren in den Wänden, im Verlauf des Stücks rotiert dieser Kasten mehrmals, die Rückseite wird für Live-Projektionen genutzt. Das – Spoiler – ist dann im Wesentlichen auch schon fast alles an visueller Variation, was der Abend zu bieten hat.

Steilvorlagen für den Algorithmus

Das Personal steckt in typgerechten Klamotten, elegantes Kostüm, legerer Cordanzug. Und arbeitet sich an den Fragen ab, die bei der Erledigung der Aufgabe so anfallen und die natürlich jede Menge Stoff für Konflikte liefern. Die Big-Brother-Situation (vier Menschen in einem Haus auf einsamer Insel) wirkt als Katalysator. Weshalb es hier dann auch persönlich wird, intime Beichten inklusive.

HausMonkeyIsland 2 560 StephanWalzl uWer hier was weiß ist nicht so klar: Johannes Schumacher, Thomas Birklein (Video), Helen Wendt © Stephan Walzl

Was die Protagonisten in ihrem Forschungsdrang endlich zur Besinnung bringt, ist die Perfidie des Algorithmus. Das Haus, in dem sie vermeintlich wertvolle Forschungsarbeit leisten sollen, erweist sich als bestens über Vorlieben und Traumata seiner Insassen informiert. Der Porno-Kanal in Hannes Fernseher bedient exakt dessen Beuteschema, Ann bekommt genau die Chips, mit denen sie sich als Kind dickgefressen hat, und das Radio in Andrés Zimmer spielt immer wieder 'Love Hurts' in der Version von Nazareth. Trigger in rauen Mengen. Sind die vier wirklich als Experten gefragt – oder eher Versuchskaninchen?

Leider aber geht das Drama selten über ein monologlastiges Thesenstück hinaus – die persönlichen Friktionen entwickeln zu wenig Eigenleben. Die genau aufgeschriebene und erfasste Debatte entwickelt Tiefe und ist an und für sich spannend, aber auch zu komplex, um im Schlagabtausch dramatische Wirkung zu erzielen.

Menschliche Glückshormone

Das Ensemble schlägt sich aber achtbar. Thomas Birklein als Hannes, Caroline Nagel als Kristina, Johannes Schumacher als Andre und Helen Wendt als Ann können den Figuren hübsche Moment abgewinnen, auch wenn sie bei der Premiere mit dem Text teils hörbar zu kämpfen haben.

Es hat auch durchaus Witz, wenn sich beispielsweise Hannes mit dem Fadenwurm vergleicht, der zwar ungleich weniger Neuronen besitze als ein Mensch – in Sachen Motivation allerdings genau gleich funktioniere: Dopamin, Sie verstehen.

Von diesem Glückshormon setzt der Abend allerdings eher wenig frei. Zu statisch bezieht Kricheldorf die Standpunkte aufeinander. Die Brisanz dessen, was hier besprochen wird, findet keine theatrale Entsprechung. Immerhin formuliert Hannes, am ehesten so etwas wie eine Identifikationsfigur, am Ende so etwas wie eine Utopie, in der sich emanzipierte Menschen frei der Technologie bedienen. Ein Träumer? Findet zumindest Andre. Aber man kann es ja mal drauf ankommen lassen.

Das Haus auf Monkey Island
von Rebekka Kricheldorf
Uraufführung
Regie: Matthias Kaschig, Bühne/Kostüme: Thea Hoffmann-Axthelm, Video: Stefan Bischoff, Kevin Graber, Musik/Sounddesign: Fabian Kalker, Dramaturgie: Anna-Teresa Schmidt.
Mit: Helen Wendt, Caroline Nagel, Thomas Birklein, Johannes Schumacher.
Premiere: 23. Februar 2019
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater.de

 

In unserer Video-Interview-Reihe Neue Dramatik in zwölf Positionen spricht Rebekka Kricheldorf über ihre Poetik und über Komik als Widerstand 

 

Kritikenrundschau

Rebekka Kricheldorf "schien sich allerdings nicht entscheiden zu können, ob sie mehr persönliche Konflikte interessieren oder die recht grundlegenden Fragen, die sich aus dem Thema ergeben", schreibt Rolf Stein in der Kreiszeitung (25.2.2019). Es sei jedoch nicht ohne Reiz, den Diskussionen und Zusammenbrüchen der Figuren zu folgen: "Kricheldorf verfügt über einen in den besten Momenten schneidenden Humor, der immer wieder für kluge Pointen gut ist."

Reinhard Tschapke in der NWZ online (25.2.2019) findet: "Sehr geschickt werden private Biografien und allgemeine Manipulation verknüpft." Die Arbeitsgruppe werden zur Therapiestation, die Fassade der Erfolgstypen bröckele. Letztlich trage "der Mix der Mittel zum Erfolg des Dramas bei": "Da ist die leichte Komik, die Liebe als 'temporären Hirnschaden' sieht. Die Männer, nicht gerade eingefleischte Vegetarier, skandieren mal witzig 'Wir wollen Wurst!'. Da sind kernige Videos eingebettet. Und da sind vor allem vier gute Schauspieler, die nachdenklich machendes Theater liefern. Das kann uns doch nicht Wurst sein."

Christine Gorny von Radio Bremen (24.2.2019) zeigt sich angetan. "Das Stück und seine Oldenburger Inszenierung eröffnen einen spannenden Blick in die smarte Zukunft." Alle Rollen seien bestens besetzt. Das Bühnenbild sei schlicht aber sehr effektvoll.

 
 

 

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