Hiob harmlos

von Gabi Hift

Wien, 24. Februar 2019. "Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!" Danach lebt Mendel Singer, ein frommer Jude, Tora-Lehrer in einem galizischen Schtetl. Er ist arm, hat eine Frau, die er liebt, drei gesunde Kinder, und lebt in heiterem Seelenfrieden. Bis ein Schicksalsschlag nach dem anderen über ihn hereinbricht wie über den biblischen Hiob. Das vierte Kind ist behindert. Die Söhne müssen zum Militär. Die Tochter treibt's mit Kosaken. Um sie zu retten wandert die Familie nach Amerika aus, aber den behinderten Menuhin müssen sie zurücklassen. Dann fallen beide Söhne, die Mutter stirbt vor Kummer, die Tochter wird wahnsinnig. Erst als Mendel alles verloren hat, lehnt er sich gegen Gott auf. Und da lässt Gott, wie in der Bibel, ein Wunder geschehen.

Es scheint ganz folgerichtig, dass Christian Stückl für diesen Stoff geholt wurde, dreißig Jahre Passionsspiele in Oberammergau, Moses, Josef und seine Brüder, Jedermann, Mein Kampf – er ist der Mann fürs Biblische.

Fettnapf voller Sand

Der Vorhang gibt den Blick frei auf eine riesige Wüstenei, sepiafarbene Sanddünen. Darüber eine Leuchtschrift "America". Man denkt an einen Western. Aber bald begreift man, dass sich die Bühne für das Regieteam wie ein riesiger, gähnender Fettnapf dargestellt haben muss, der vorsorglich mit Tonnen von Sand zugeschüttet wurde. Alles bleibt von Anfang bis Ende grau und beige und geschmackvoll. Man hat das Gefühl, dass der Regisseur auf den Proben bloß immer erschrocken “Nein! Nicht! Vorsicht!” gerufen haben muss.

Die Figuren sind chassidische Ostjuden – wie soll man die darstellen? Deren Habitus ist doch die Grundlage jeder antisemitischen Karikatur. Also trägt Peter Simonischek als Mendel Singer zwar Kaftan und lange Schläfenlocken, aber Jiddeln darf er nicht, und nur vereinzelte jüdisch konnotierte Gesten einflechten: ein kleiner Schlag auf die Brust, ein kurzes Heben der Arme gen Himmel, ein bisschen Schaukeln im Gebet, aber nur als scheues Zitat, eingebaut in ein Bewegungsmuster, das genau wie die Sprache, nicht weiß, was es will und soll.

Hiob1 560 ReinhardWerner Burgtheater uWillkommen in der Neuen Welt © Reinhard Werner

Der nächste Fallstrick, der wohl vermieden werden musste, war die Gefahr, Roths betörendes Hohelied der unerfüllbaren Sehnsucht nach innerer Heimat könne in Sentimentalität und Kitsch abgleiten. Statt eines reinen und heiteren Toren spielt Simonischek also einen grantigen, wurschtig-süffisanten Mann, so dass man beim Zuhören so trübsinnig wird, wie die Figuren es ohnehin schon alle sind. Stephanie Dvorak als Tochter Miriam ist wiederum auf den kindischen Ton einer vierzehnjährigen Göre abonniert, auch noch als sie, schon recht erwachsen, wild gegen den Vater aufbegehrt. Regina Fritsch als Mendels Frau Deborah hat es noch am besten getroffen. Mit der Position der Frau, die sich mehr um das Überleben der Kinder schert als um die Regeln der Tora und die lieber einen lebenstüchtigeren Mann hätte, ist sie die Vernünftigste und deshalb darf Fritsch auch einen normalen Menschen mit einigen Sorgen spielen.

Gott straft nachlässig

In denjenigen Situationen, in denen die Figuren im Roman hauptsächlich schweigen, und nur durch die wunderbar poetische Stimme des Erzählers von ihrem reichen Innenleben erfahren, legt die Dramatisierung von Koen Tachelet den Figuren diese Texte in den Mund. Ein sehr berührender Moment in der Geschichte ist der, in dem das Begehren zwischen Mendel und Deborah plötzlich verschwindet. Deborah wacht in der Nacht auf, schaut sich im Spiegel an, sieht, dass Mendel ein Auge geöffnet hat und schämt sich vor ihm. "Die Scham stand am Beginn ihrer Lust und am Ende ihrer Lust stand sie auch" Im Stück sagen die beiden das zueinander – und das klingt peinlich falsch.

Auch darf nichts gespielt werden, was irgendwie diskriminierend sein könnte. Es heißt im Text, Menuhin, der behinderte Sohn, schneide scheußliche Grimassen. Seine Geschwister schämen sich deshalb so sehr, dass sie versuchen ihn umzubringen. Tino Hillebrand als Menuhin sitzt aber ganz ruhig da und nur alle heiligen Zeiten zuckt er ein winziges bisschen, nicht stärker als wenn eine Mücke auf seiner Wange gelandet wäre. Und als Miriam nach dem Tod von Mutter und Bruder wahnsinnig wird, spielt Stefanie Dvorak das so, als würde sie psychologisch verständlich mal eben ein bisschen durchdrehen. So werden die schrecklichen Strafen, die Gott über Hiob hereinbrechen lässt, vor lauter Dezenz zu Bagatellen heruntergespielt.

Hiob3 560 ReinhardWerner uEine geplagte Familie © Reinhard Werner

Peter Simonischek ist ein großer Schauspieler und es schmerzt zu sehen, wie er keine Linie findet, wie er uralte Tricks anwendet um "natürlich" zu wirken: Füllworte, scheinbares Suchen nach Worten, verlegenes Lachen. Man möchte ihm das Gebiss von Toni Erdmann auf die Bühne reichen. Denn das war eine Figur wie Mendel Singers sie sein könnte: rührend naiv, lächerlich und liebenswert in seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute in der Welt.

Am Ende ist dann auch das Wunder nur ein matter Schluckauf. Menuhin, das in Europa zurückgelassene Kind, erscheint. Er ist geheilt und ein berühmter Musiker geworden- die Kunst hat alles überwunden. Der Roman endet mit märchenhaftem Glück – hier steht Menuhin nur verlegen herum, als ob es darauf ankäme, wie es 'in Wirklichkeit' sein müsste, wenn ein so schlecht behandelter Sohn nach all der Zeit wiederauftaucht. Aber ein Wunder ist etwas, was es nach den Gesetzen der Wirklichkeit gerade nicht geben könnte, sondern eben nur, wenn Gott die Gesetze außer Kraft setzt. Ein bisschen Wunder ist wie ein bisschen schwanger. Und so ist das Ende schal und enttäuschend – wie der ganze Abend.

 

Hiob
nach dem Roman von Joseph Roth
Bühnenfassung von Koen Tachelet
Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Tom Wörndl, Licht: Norbert Joachim, Dramaturgie: Florian Hirsch.
Mit: Peter Simonischek, Regina Fritsch, Christoph Radakovits, Oleg Tikhomirov, Tino Hillebrand, Stefanie Dvorak, Hans Dieter Knebel, Peter Matic, Stefan Wieland.
Premiere am 24. Februar 2019
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Simon Strauß kann der Roman-Adaption in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.2.2019) wenig abgewinnen. In Stückls "abbildrealistischer Inszenierung" plätschere die tragische Handlung des Romans "so gefällig dahin, als handele es sich um Unterhaltungsliteratur." In der Bühnenfassung von Koen Tachelet gingen durch das Streichen des Erzählers "eine Fülle an psychologischen Beschreibungsnuancen und dramaturgischen Facetten verloren". Am Burgtheater veranstalte Stückl eine "ziemlich profane Kostümfeier", denn ohne die einordnende Erzählerstimme würden aus göttlichem Zorn und ebensolchen Wundern "nur menschliches Unglück und Zufall".

Auch Petra Paterno in der Wiener Zeitung (25.2.2019) ist nicht überzeugt: Die Ausstattung sei "klischeebeladen", und Christian Stückl habe der Pathos-Tendenz des Stoffes wenig entgegen zu setzen. "Obwohl Peter Simonischek das Zeug hätte, einen denkwürdigen Mendel Singer zu verkörpern, forciert die Regie allzu sehr das Gefühlvoll-Gefühlige, nicht gerade wenige Monologe triefen geradezu vor Kitsch."

"Simonischek singt während der quälenden rund zweieinhalb Stunden, die diese Inszenierung von Christian Stückl dauert, das immer gleiche Klagelied" findet Ronald Pohl von Der Standard (25.2.2019). Eine klischeehafte Darstellung träfe Juden wie Amerikaner: "Ein einziger matter Aufguss, halbgar und uninspiriert gespielt zwischen den Koffern der jüdischen Diaspora."

"Kein Wunder in Wien" hat Christian Gampert vom Deutschlandfunk (25.2.2019) gesehen: Der Roman von Joseph Roth sei "so ureigenste erzählende Literatur, [...] dass man sich eine Theater-Adaptation sowieso nur schwer vorstellen konnte." Die Leerstellen zwischen den Dialogen müssten gespielt werden, und das gelinge in Wien überhaupt nicht. Zudem störe die leise, schnulzige Musik. "Während Roth von den Leiden des einfachen Mannes erzählt, dem das Leben das Allerschlimmste zumutet, so dass er den Glauben verliert und seinen Gott verflucht, erzählt die Inszenierung von Christian Stückl vor allem von optischen jüdischen Klischees – die zwar bühnenwirksam sind, den Figuren aber äußerlich bleiben."

Peter Simonischek spiele "die Rolle seines Lebens", findet Günter Kaindlstorfer im Bayerischen Rundfunk (25.2.2019). Die Inszenierung sei "altmodisches Schauspielertheater im besten Sinn": Man "muss das gesehen haben, wie der wuchtige alte Mann einen Schicksalsschlag nach dem anderen einsteckt, wie er mit seinem Gott kämpft, ringt und hadert, wie er am Schluss doch noch so etwas wie Erlösung erfährt. Wem dieser Abend – und das Schicksal Mendel Singers – nicht zu Herzen geht, dem ist nicht zu helfen."

Man spüre, dass dieser Roman nicht nur ein individuelles Schicksal erzähle, findet Eberhard Spreng in Deutschlandfunk Kultur (24.2.2019), "sondern dass hier eine ganze Welt langsam auseinanderbricht." Regisseur Christian Stückl habe dabei "auch etwas von einem Herrgottsschnitzer", der versuche, das Religiöse, Metaphysische in ein theatrales Erleben zu tragen. Peter Simonischek sei jedoch etwas "allein gelassen mit der ganzen dramaturgischen Last dieses Abends", man spüre, wie dieser großartige Schauspieler kämpfe und fast von der Textmasse erdrückt werde. Letztlich denkt Spreng, "dass das in den nächsten Wochen immer besser wird."

"Religious correctnessist beim Regisseur Christian Stückl, dem Intendanten des Münchner Volkstheaters und amtierenden Spielleiter der Oberammergauer Passion, oberstes Gebot", so Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (1.3.2019). Diesem werde alle Sinnlichkeit geopfert. Koen Tachelets Fassung offenbare in Stückls konventioneller Regie dann allerdings ihre Schwächen, wirke genauso karg, deprimierend und klischeekitschig wie Stefan Hageneiers Ausstattung.

 

Kommentar schreiben