Rechtschaffene Rituale

Von Michael Wolf

19. März 2019. Letzte Woche haben die Kulturminister der deutschen Bundesländer verkündet, dass sie das Grundgesetz weiterhin super finden. In einer Abschlusserklärung "bekennen" sie sich dazu, "die kulturelle Vielfalt einer freien und offenen und demokratischen Gesellschaft zum zentralen Maßstab ihrer Entscheidungen zu machen". Ich finde es gut, dass unsere Minister die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht angreifen wollen, hätte dergleichen aber auch nicht erwartet. Woher rührt der Bekenntniszwang? Ich glaube, die Damen und Herren Kulturpolitiker bedienen einen Trend.

Umkehrung der "Nazi-Keule"

Im November des letzten Jahres verabschiedeten Berliner Kulturinstitutionen die "Erklärung der Vielen". Konkret verpflichten sie sich dazu, "völkisch-nationalistischer Propaganda" kein Podium zu bieten. Ich gehe oft in Berliner Theater, kann mich aber nicht daran erinnern, schon mal eine nationalistische Revue oder ein Volksstück von Björn Höcke gesehen zu haben. Im Grunde beteuern die Kulturschaffenden hier nur öffentlichkeitswirksam, dass sie weitermachen wollen wie bisher. Aber eben nicht einfach nur so, weil sie besonnene Bürger wären. Das genügt ihnen nicht, sie haben weitaus gewichtigere Motive: "Als Aktive der Kulturlandschaft in Deutschland stehen wir nicht über den Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden. In diesem Land wurde schon einmal Kunst als entartet diffamiert und Kultur flächendeckend zu Propagandazwecken missbraucht. Millionen Menschen wurden ermordet oder gingen ins Exil, unter ihnen auch viele Künstler*innen."

kolumne wolfWie sind eigentlich die Australier oder Schweden zu ihren freiheitlichen Gesellschaften gekommen? Dem deutschen Kulturarbeiter ist es offenbar ein Rätsel. Nur durch die Erinnerung an historische Schuld schafft er es mühsam, sich an die Grundrechte zu halten. Und darauf scheint er stolz zu sein. Es ist längst ein Klischee, wie Demut sich hier nationalistischer Arroganz nähert. Erst waren wir weltweit die Nummer eins im Fach Faschismus und jetzt macht uns keiner was vor bei dessen Bekämpfung. Ich beobachte in letzter Zeit immer öfter eine mindestens geschmacklose Umkehrung der sogenannten "Nazi-Keule": Der Verweis auf den Nationalsozialismus legitimiert dann jede Einlassung und sichert sie gegen Kritik ab. Die Erinnerung an die "größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte" verkommt zum rhetorischen Kniff.

Ein Motto der Erklärung lautet "Solidarität statt Privilegien", aber es ist eine zwiespältige Solidarität. Laut der Website der Aktion veröffentlichten bislang Bündnisse aus achtzehn Bundesländern und Großstädten ähnliche Texte. Das ist eine beachtliche Zahl. Inzwischen setzen Die Vielen vor allem jene "Wenigen" in ein schlechtes Licht, die nicht mitmachen. In Sachsen hat sich mit Dresden nur eine einzige Stadt angeschlossen. Bekennen sich die anderen etwa nicht? Finden die den Nationalsozialismus am Ende gar nicht so schlimm? Ich glaube eher, man muss dort damit leben und arbeiten, dass ein Teil des Publikums offen rechte Ansichten vertritt. Sollte man die vor den Kopf stoßen oder gleich vor die Tür setzen? Ich bin pragmatisch. Wer Ibsens "Volksfeind" schaut, zettelt in dieser Zeit wenigstens keine Hetzjagden an. Wohlfeile Gesten muss man sich leisten können.

Wo soll denn das sein, dieses "raus"?

Das ständige Distanzieren von rechten Positionen erschöpft sich allzu oft in der eigenen Profilbildung. Es tut gut, auf der richtigen Seite zu stehen; es ist ein schönes Gefühl, recht zu haben. Mit einem prallen Sendungsbewusstsein ausgestattet, muss man sich auch nicht mehr an die lästigen Regeln eines respektvollen Umgangs halten. Schließlich befindet man sich mitten im "Kulturkampf". Ein liberales Bekenntnis schlägt so auch mal in Despotismus um, regelmäßig aber in Gehässigkeit. Da wird der Rückzug der erkrankten Sahra Wagenknecht bejubelt. Da wird der Leiterin des Dessauer Bauhauses "vorauseilende Unterwerfung" vorgeworfen, weil sie in ihrem Haus keine Saalschlacht austragen wollte. Da werden Journalisten denunziert, weil sie sich vor der Teilnahme an einer Party nicht die Persilscheine der anderen Gäste schicken ließen.

Wer nicht schnell genug "Nazis raus" twittert, ist selber einer. Was für eine rührend naive Forderung übrigens. Wo soll denn das sein, dieses "raus"? Wo sollen sie denn hin, die Nazis? Sollen wir sie ausbürgern? Einsperren? Einweisen? Fragen wie diese stören nur den Schlaf der Selbstgerechten. Denn da würde es politisch werden, wo's doch moralisch bleiben soll.

Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit betonte kürzlich in einem Interview, dass der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik eher deutlich ab- als zugenommen habe. Will das jemand hören? Wohl kaum. Es schmälert das eigene Heldentum. Der besorgte Musterbürger hat ein erstaunlich lockeres Verhältnis zur Geschichte. Er benötigt sie nur zur Ausrufung des Ausnahmezustands. Man fühlt sich wohl in den heraufbeschworenen Weimarer Verhältnissen. Hier, kurz vor der Apokalypse, ist die eigene Haltung endlich mal ohne Zweifel berechtigt.

Vom Weltende aus betrachtet, lässt sich die Gegenwart freilich leicht überblicken. Als Optimist halte ich die Lage für deutlich komplexer. Das soll nicht heißen, dass wir kein Problem hätten. Im Gegenteil, ich glaube, es ist sogar erheblich schwerer zu lösen als viele offenbar meinen. Denn es wird kein einziger Rechtsradikaler dadurch verschwinden, dass alle anderen immer und immer wieder betonen, wie rechtschaffen sie selbst sind.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 

Zuletzt ließ sich Michael Wolf vom Sportjournalismus und der Gastrokritik inspirieren.

 

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