Vier Götze für ein Halleluja

von Thomas Rothschild

Ludwigshafen, 22. März 2019. Es ist ein weiter Weg vom kraftmeierischen Götz von Berlichingen einer Schauspiellegende wie Ewald Balser, vom glatt intriganten Adelbert von Weislingen eines Albin Skoda und von der verführerischen Adelheid einer Judith Holzmeister zu den gebrochenen Antagonisten aus Goethes Jugenddrama auf der kleineren Bühne des Pfalzbaus.

Ein bunter Cast aus Profis und Laien

Das Ludwigshafener Theater im Pfalzbau besitzt kein eigenes Ensemble. Für die wenigen Eigenproduktionen neben den häufigeren Gastspielen engagiert der Intendant Tilman Gersch, der bei dieser ungeschliffenen Urfassung des "Götz von Berlichingen" selbst Regie führt, Schauspieler*innen aus verschiedenen Häusern der näheren oder entfernteren Umgebung, sowie Akteure von einer jener Bürgerbühnen, die sich als Ergebnis theater- und demokratiepolitischer Erwägungen im vergangenen Jahrzehnt republikweit jäh verbreitet haben und für die Beteiligten, ganz im Sinne Brechts, zumindest ebenso viel bedeuten wie für das Publikum.

Diese Bürgerbühnen leisten wertvolle pädagogische Arbeit, ermutigen zu Laienaktivitäten und führen junge Menschen zum Theater. Die Kehrseite dieser Meriten umgeht Gersch, indem er den Amateuren nicht mehr abverlangt, als sie zu leisten imstande sind. In seinem "Götz von Berlichingen" fügen sie sich mit ihren vorwiegend chorischen Interventionen bruchlos in das Spiel der Profis (leider verschweigt das Theater am Pfalzbau ihre Namen auf seiner Homepage).

Goetz 1 560 AlenLjubic uDass Männer-Ensemble spielt auf der von Regisseur Tilman Gersch selbst eingerichteten Bühne © Alen Ljubic

Gersch hat in seiner zweiten Funktion als Bühnenbildner eine quadratische Sandkiste entworfen, die die gesamte Bühnenfläche einnimmt. Am linken Rand sitzt Alex Gunia in schwarzem T-Shirt und Baseballkappe mit Gitarre und elektronischer Ausrüstung und untermalt das Geschehen diskret.

Ritter Götz mit der Eisernen Papprolle

Fast könnte man meinen, es bestehe mittlerweile eine Verordnung, wonach Rollen auf mehrere Darsteller zu verteilen seien. Was aber anderswo nicht mehr zu sein scheint als das Zugeständnis an eine modische Manier, ist im Ludwigshafener "Götz" begründet. Die Titelfigur dient nicht als Identifikationsvorlage, sondern als Träger einer verallgemeinerbaren Haltung. Die vier Götze haben keine Eiserne Hand (wie es der Beiname des Götz verlangt), sondern stecken stattdessen den rechten Unterarm wiederholt in eine Papprolle. Hochgehoben wirkt er wie eine Kampfansage. Die Entindividualisierung nähert sie der Karikatur an. Aber die Inszenierung balanciert geschickt auf dem Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Groteske.

Goetz 3 560 AlenLjubic uTilman Gersch inszeniert das Ritterspiel zwischen Ernst und Groteke. © Alen Ljubic

Ins Groteske führt die Repräsentation der Adelheid von Walldorf durch die Herren Jörg Malchow, Luis Quintana, Stefan Schießleder und Meinolf Steiner, eine Entscheidung, die das Missfallen derer ernten dürfte, die ohnedies den Mangel an Frauenrollen auf Bühnen beklagen. Adelheid erscheint, auf dem Rand eines Wagens hockend, mit einem türkisfarbenen Spitzhut mit Schleier.

Auftritte auf einem großen, von Menschen gezogenen Handwagen wiederholen ein Bild von Herrschaft und Ausbeutung. Auch der Kaiser mit einer Goldpapierkrone auf dem Haupt und bald in einen Bademantel gehüllt wird im Karren auf die Bühne befördert. Weislingen nimmt Elemente des Clownsspiels auf. Er trägt eine rote Halskrause und Knieschützer eines Rugby-Spielers. Ins Ernste wiederum schlägt die Vorstellung um, wenn Götz unter abgesenkten Scheinwerfern verhört wird. In dieser Szene ist er ganz der Rebell, der von der kirchlichen und weltlichen Macht verfolgt wird und dem die Sympathie der Inszenierung und des Publikums gehört. Im Bauernkrieg danach freilich versagt er wie Hanns Eislers Johann Faustus.

"Lügenkaiser!"

Den Text hat die Dramaturgin Barbara Wendland radikal gekürzt. Zeitgenössische Anspielungen wurden behutsam eingefügt. Auf die Bemerkung des Kaisers "Wieder neue Händel. Sie wachsen nach wie die Köpfe der Hydra" erfolgt die von Goethe nicht vorgesehen Beschimpfung: "Lügenkaiser!"

Tilman Gerschs Inszenierung eines Dramas, das häufig als "nicht mehr spielbar" qualifiziert wird, würde manchem Repertoiretheater Ehre machen. In Ludwigshafen läuft sie gerade zwei Mal, vier weitere Aufführungen in dieser und der nächsten Spielzeit sind vorgesehen. Nicht viel Besuchszeit für jene, die in Sachen Ranglisten und Bemerkenswertesten-Auswahl unterwegs sind.

 

Götz von Berlichingen
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie und Bühne: Tilman Gersch, Kostüme: Miriam Grimm, Musik: Alex Gunia, Dramaturgie: Barbara Wendland.
Mit: Jörg Malchow, Luis Quintana, Stefan Schießleder, Meinolf Steiner, Yusuf Beder, Anton Geburek, Mohammed Nick Nayeri.
Premiere am 22. März 2019
Dauer: 1 Stunden 50 Minuten, keine Pause

www.theater-im-pfalzbau.de/

 

Kritikenrundschau

Es gehe Gersch nicht um historische Rekonstruktionen, sondern um die Aktualität des Stoffes, schreibt Alfred Huber im Mannheimer Morgen (25.3.2019). Die Inszenierung sei ein "gesellschaftskritischer Rundumschlag, der zeigen will, wie schwer existenzielle Individualität zu realisieren ist, wenn sich politische Rah- menbedingungen radikal ändern". Und weiter: "Gersch hält, von wenigen Ausnahmen abgesehen, seine knapp zweistündige Inszenierung choreographisch geschickt in Bewegung. Da er Gewalt nicht psychologisiert und extreme ästhetische Lösungen meidet, bringt er Figuren und Situationen immer wieder in einen spannenden erzählerischen Zusammenhang. Richtig aufregend wird es sogar, wenn er entdeckt, dass die Goethe-Menschen aus einer großen Einsamkeit kommen."

Es ist Gerschs bislang beste Regiearbeit in Ludwigshafen, findet Dietrich Wappler von der Rheinpfalz (25.3.2019). "Der Reichsritter als Reichsbürger, der auf seiner Burg einen eigenen Staat ausruft und nach Gutdünken für Recht und Ordnung sorgt? Die Inszenierung eröffnet verblüffende Gedankenspiele. Die Fremdtexte fügen sich erstaunlich unauffällig in Goethes Original ein, erst wenn von 'Lebenshaltungskosten' oder 'Strukturpolitik' die Rede ist, wird man hellhörig." Die Dramaturgin Barbara Wendland habe eine schnörkellos-komprimierte Textfassung erstellt. Ästhetisch setze der kurzweilige Abend auf einfache Mittel.

 

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