Macht ist ihre Muttermilch

von Stefan Forth

Hamburg, 23. März 2019. Wohin soll das nur führen mit dieser ganzen Demokratie? Für alle, die da zuletzt ein wenig skeptisch geworden sind, hat das Hamburger Thalia Theater jetzt noch ein paar abschreckende Beispiele mehr auf Lager. Ein Schnelldurchlauf durch Shakespeares Römerdramen (in der Bearbeitung durch John von Düffel) bietet eindrückliches Anschauungsmaterial in Gestalt von Volkstribunen über Demagogen bis hin zu mächtigen Witzfiguren.

In der Inszenierung von Stefan Bachmann wird schnell klar: Hier geht es um Männer, die mit allen Mitteln am eigenen Denkmal arbeiten. Auf der Besetzungsliste findet sich keine einzige Frau. Selbst für Cleopatra steckt der Regisseur einen Schauspieler (konkret: Pascal Houdus) in hautenge schwarze Netzstrumpfhosen. Das ist nicht nur deshalb konsequent, weil Shakespeare es seinerzeit so ähnlich gehandhabt hat. Tatsächlich vollzieht dieser vergleichsweise kurze Abend sagenhafte Stationen einer langen Geschichte männlicher Mythenbildung nach – und überweist sie ins Museum.

Der Goldrahmen, der die Spielfläche der Bühne begrenzt, hat schon Patina angesetzt, ebenso wie das riesengroße, auf dem Kopf stehende Dreieck, das Olaf Altmann dem Ensemble als wa(a)ghalsiges Profilierungspodest gebaut hat. Das sinnstiftend Perfide an dieser spürbar statischen Konstruktion: Sie lässt sich in Schräglage versetzen, so dass etwa einer wie Julius Cäsar eben noch einsam ganz oben stehen und im nächsten Moment schon gemeuchelt am Boden liegen kann, wenn sich das Gleichgewicht der Macht verschiebt.

Rom 4 560 KrafftAngerer uAuf dem Weg nach oben © Krafft Angerer

Das kann in "Rom" im Zweifel unmenschlich brutal und schnell gehen. Schließlich hat sich diese Demokratiegesellschaft in ihren Urzeiten bekanntlich von einer Wölfin nähren und großziehen lassen. Direkt zu Beginn der Inszenierung saugen denn auch gleich der römische Feldherr Cajus Marcius Coriolan des Thomas Niehaus und sein Feind, der Rebellenführer Auffidius des Pascal Houdus gierig an den neun Zitzen einer mächtigen Mutterfigur, die der Schauspieler Nicki von Tempelhoff mit einer Menge barbarisch bärtiger Gewalt ausgestattet hat. Ein blutig brachialer Start für das, was sich später Zivilisation genannt hat.

Diese Machtmänner sind also von vornherein durchschaut, auch wenn sie sich selbst als lebende Statuen zu verherrlichen versuchen: mit weiß getünchten Körpern, demonstrativ zur Rede ausgestellten Armen und nackt – bis auf die bildhauerisch schmeichelnd geformten Kunstpenisse vor dem tatsächlichen Gemächt.

Schwarmdummes Volk

Dermaßen ansehnlich selbstüberhöht schimpfen etwa Jirka Zett und Merlin Sandmeyer als Volkstribune auf die "satten Herren im Senat", die das Korn aus den angeblich randvollen Speichern einfach nicht hergeben, sondern für sich und ihresgleichen behalten wollen. Denen da oben sind die einfachen Leute wohl egal. Und als Cajus Marcius Konsul werden möchte, sich aber weigert, großzügige Wahlversprechen zu machen und Geschenke zu verteilen – da hetzen die Tribune eben auch gegen ihn. Dabei haben sie allerdings leichtes Spiel, denn der Kandidat pflegt eine selbstgerechte Verachtung gegenüber der Demokratie und dem Volk, das ihn wählen soll: "Seit wann ist Schwarmdummheit regierungsfähig?", fragt dieser Hamburger Marcius einmal abfällig. Und ungläubig: "Ihr seid das Volk?! Ihr grölt es bei jeder Gelegenheit."

Tatsächlich erweist sich der Ratschluss der Masse in diesem Parforceritt durch die Herrschergeschichte immer wieder als unklug, fehleranfällig und beeinflussbar. Verantwortungsbewusste Machthaber scheint die hier ausgestellte politische Staatsformspielart jedenfalls nicht zu produzieren. Auf die lebenden Statuen der "Coriolan"-Zeit folgen rhetorisch brillante, aber leider meuchelmörderisch veranlagte Glitzeranzugträger mit Masken wie altrömische Münzköpfe aus der Ära des "Julius Cäsar", die wiederum nur einen roten Bühnenvorhang entfernt ist von den dekadent an sich selbst berauschten Gestalten um "Antonius und Cleopatra", die geradewegs dem eigenen Untergang entgegensteuern. Dass ausgerechnet sie in bunten Stoffen stecken, die Bilder der Antikenverklärung aus der Renaissance zitieren, ist eine weitere der verspielt brillanten, ironisch augenzwinkernden Kostümideen von Jana Findeklee und Joki Tewes.

Überhaupt gibt es viel zu gucken an diesem Abend: Stark etwa, wie Regisseur Bachmann (der als Noch-Intendant in Köln sicher zuletzt häufiger über Machtmechanismen nachgedacht hat) den Hahnenkampf auf Leben und Tod zwischen dem Feldherrn Cajus Marcius und seinem Widersacher Auffidius als teils geradezu zärtlichen, erotischen Tanz inszeniert. Toll auch, wie die Ermordung Cäsars als musikalisch untermalte Stummfilmsequenz funktioniert. Da macht Zuschauen Spaß!

Rom 3 560 KrafftAngerer uHier läuft etwas schief © Krafft Angerer

Wo der Inszenierung solche starken Bilder fehlen (zum Beispiel in Teilen von "Julius Cäsar"), fällt auf, warum die Stoffe heute vergleichsweise selten auf die Bühne kommen: Anders als sonst oft bei Shakespeare geht es hier mehr um Macht als um das allgemein Menschliche, den Figuren wohnt eine Kälte inne, die John von Düffels inzwischen schon mehrfach erprobte und durchaus kluge Raffung eher noch weiter zuspitzt. Neue Nähe entsteht auf Textebene vor allem thematisch – wenn etwa an Stimmungen geglaubt wird statt an die Stimme der Vernunft oder in der Mahnung: "Die Koalition war lang genug zerstritten. Das Volk will keinen Zwist."

Abgründe der Demokratie

Dass der Abend in Hamburg nicht nur Bedenkenswertes zurücklässt, sondern außerdem noch gute Unterhaltung bietet, liegt auch an einem durchweg überzeugenden Ensemble. Mit lässiger Selbstverständlichkeit wechseln sie ihre Rollen, vom Mann zur Frau, vom Täter zum Opfer. Akrobatisch turnen sie souverän über die Bühne. Spielfreudig werfen sie sich von einer Intrige in die nächste. Mit besonderer Nonchalance stürzt sich Thomas Niehaus in die Abgründe der Demokratie. Kaum zu glauben eigentlich, dass es der selbe Mann ist, der zu Anfang als stolzer Feldherr im Fell die vor lauter gockelhafter Eitelkeit die Verfassung in Frage stellt – und der später als Milchbubi Oktavius Cäsar mit Kopfstimme singend als Karikatur eines Machthabers vor sich hinnölt.

Geballter Spielspaß also als Mittel gegen demokratische Depression? Die einzige Hoffnung, die die Inszenierung zurücklässt, besteht darin, dass Politik heute im besten Fall mehr ist als "das Murren und Mauscheln ernster Männer", wie es in "Rom" einmal beklagt wird. Und dass sich "Volksmundgeruch" genau so überwinden lässt wie Volksverachtung.

 

Rom
nach "Coriolan", "Julius Cäsar" und "Antonius und Cleopatra" von William Shakespeare
in einer Bearbeitung von John von Düffel
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes, Live-Musik: Sven Kaiser, Choreografie: Rica Blunck, Dramaturgie: Matthias Günther.
Mit: Sebastian Jakob Doppelbauer, Pascal Houdus, Thomas Niehaus, Merlin Sandmeyer, André Szymanski, Nicki von Tempelhoff, Jirka Zett.
Premiere am 23. März 2019
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

Es gelinge der Regie, die mehr funktional als menschlich gezeichneten Shakespeare-Figuren mit Farben zu füllen. Die Palette reiche von düster bis grell, schreibt Sören Ingwersen in der Welt (25.3.2019). "Stefan Bachmanns Inszenierung überzeugt mit klar umrissenen Figuren, überraschenden Einfällen, einprägsamen Bildern, die ganz ohne Requisiten auskommen, und einem exquisiten Männerensemble."

"Bachmann hat in seinem Macht-Panorama 'Rom' eindringliche Bilder, verspielten Pop-Glamour und von den Schauspielern grandios gebändigte Textmassen fein ausbalanciert. Herausgekommen sind lehrreiche, zeitlose Polit-Intrigen, die über zweieinhalb Stunden mit szenischer und spielerischer Leichtfüßigkeit daherkommen", schreibt Annette Stiekele vom Hamburger Abendblatt (24.3.2019).

 "Bachmann galt immer als einer, der schwere Stoffe mit forcierter Leichtigkeit bewältigt, gelegentlich sogar mit blankem Jux." Das funktioniere beim Shakespeare-Dreisprung nicht so gut, bemerkt Michael Laages auf Deutschlandfunk Kultur (23.3.2019). Natürlich sei der Abend auch ein Spiel um die Lächerlichkeiten von Männer-Macht. "Aber auch auf diesem Terrain gelingt es Bachmann nicht, die Aufführung scharf zu fokussieren." So werde von Düffels Shakespeare-Mix zum verschwommenen Bild. "Nicht Fisch, nicht Fleisch – und vor allem nicht ernstlich politisch."

Bachmann verwandle Shakespeares schlaue Ergriffenheits-Kunst, seine psychologische Dramatik der schönen Sätze in die Moral einer Faschingssatire, schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (27.3.2019). "Es lässt sich darüber streiten, ob der Reflex vieler Kommentatoren, die wie Stefan Bachmann die neu gewählten Kaiser mit ihrem Faible für Goldkitsch, Golf und Großveranstaltungen nur mit Spott geißeln, das System der Macht nicht doch zu leicht nimmt. Aber wenn man schon nicht die fatalen Konsequenzen der Despoten-Politik darstellen will, sondern nur die Manien ihrer Hauptvertreter, dann hat man für solch eine Satire auf die neuen Roms am Thalia die richtigen Protagonisten.“ Im Mittelpunkt stehe Thomas Niehaus, der ein genialer Komiker sei. Er bringe den Saal zum Lächeln, aber nie zum Johlen, denn seine Satire sei fein und sympathisch.

Kommentare  
Rom, Hamburg: Nürnberg
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Uraufführung dieser entsetzlichen Dramaturgenstückverhackstückung am 22.10.2016 unter dem Titel Römische Trilogie am Staatstheater Nürnberg (Regie: Klaus Kusenberg) stattfand.
Rom, Hamburg: Köln, Blicke
Puh, ich finde zu dieser Inszenierung auch in den Kieler Nachrichten
(27.3., Kritiker: Hans-Martin Koch, Titel: "Nur die Maske fällt", Untertitel: "Stefan Bachmann hat am Thalia mit "Rom" ein Lehrstück über die Macht geschaffen") sowie den Lübecker Nachrichten (28.3., Kritiker: Michael Berger, Titel: "Liebesmacht und Machtliebe", Untertitel: "Drei Shakespeare-Dramen an einem Abend: "Rom" am Thalia-Theater Hamburg ist ein unterhaltsames Spektakel mit viel Testosteron")
zwei weitere "Hymnen" zu diesem allenfalls mittelprächtigen Abend -als den ich ihn wahrnahm-; aber auch die Kritiken dazu enttäuschen mich auf verwandte Art und Weise; möglicherweise, ich weiß es noch nicht, werde ich darauf noch ein wenig detaillierter eingehen und mich an dieser Stelle damit begnügen, ein wenig auf die Klammer einzugehen, welche der Nachtkritiker zu Stefan Bachmann und der causa "Kölner Intendanz" aufgemacht hat (Stefan Bachmann habe gewiß in der jüngsten Vergangenheit häufiger über Machtmechanismen nachgedacht). Ich möchte dazu anmerken, daß dergleichen natürlich nicht minder für John von Düffel gelten dürfte, den Carl Philip von Maldeghem für seinen Stab vorgesehen hatte, und eine gewisse Ironie darin zu liegen scheint, wenn Stefan Bachmann nun in Hamburg mit dem "Rom-Kondensat" John von Düffels debütiert, erinnern wir uns nur an den Satz Andreas Wilinks zur damaligen Ernennung des Salzburger Landestheaterchefs:"Die Ankündigung des Carl Philip von Maldeghem, personell etwa mit John von Düffel ... zusammenzuarbeiten ..., klingt nicht eben nach Impuls, nach Idee, nach Konzept, nach Aufbruch." Ich will mit einem "Aber, für Hamburg reicht es ?-Reflex" hier keineswegs polemisieren und verkürzen (schließlich hat von Düffel für nicht kurze Zeit am Thalia gewirkt), aber in jene Klammer gehört von Düffel gewiß gleichermaßen. Ich möchte an dieser Stelle auch gestehen, daß mir mancherlei in der Nachfolge der Absage seitens von Maldeghem noch nicht so richtig klar geworden ist; plötzlich, so las ich es, hatte sich Stefan Bachmann dann doch noch mit einem Verlängerungsangebot zu seiner Intendanz zu Wort gemeldet, und aus der Nachtkritik de.-Berichterstattung zur causa ist mir nicht aufgegangen, wie die Stadt Köln darauf reagiert hat (steht eine solche Reaktiom etwa noch aus ?), und ebenso unklar ist mir, wie sich die Betreiber der Unterschriftenaktion für eine Findungskommission zu dieser überraschenden Volte Stefan Bachmanns verhalten (ist die Unterschriftenaktion erst gestartet worden, als Stefan Bachmanns Angebot vom Tisch war ??) -kann nachtkritik de. mir da ein wenig auf die "Geißbocksprünge" helfen ?-. Und noch eine Art "Ironie des Aktuellen": Fast ist es ja so, als sei nun das Hamburger Theaterpublikum als "Findungskommission" bestätigt worden, und die KandidatInnen Henkel, Voges und Bachmann hätten sich hier "dazu" im Februar bzw. März mit ihren neuesten Arbeiten eingefunden, die ich mittlerweile als "Trilogie des Didaktischen" für mich gefaßt habe
(Karin Henkel hatte ja, siehe dazu die Nachtkritik aus dem März des Vorjahres, "Rom" im übrigen ebenfalls inszeniert, und vielleicht bastelt Voges auch schon an einer "Dogma 13"-Variante "Roms", wer weiß ??, frei nach den Herren Pullo und Vorenus etwa "Rom, die XIII.")..
Rom, Berlin: Interview, Erinnerungen, Stimmen
Zur Inszenierungsanlage , aber auch zur Kölner Intendanz, hat Annette Stiekele vom Hamburger Abendblatt (18.3.2019) im Vorfeld der Premiere
Stefan Bachmann interviewt. In dem Interview bezeichnet der Regisseur seinen Weg, den Düffelschen Brocken in den Griff zu bekommen, vor allem als eine "weitere Reduktion", die ua. darin bestanden habe, die drei Teile wie Akte eines Stückes zu fassen, dabei aber auf verschiedene Stile zurückzugreifen (ähnlich wie "Ritter, Dene, Voss" im Henkel-Dreistückabend desletzt spürbar das energetische Zentrum des Abends darstellte, war es auch bei "Rom"; hier war es der "Julius Cäsar" ; das Interview lä0t das meineserachtens ganz gut nachvollziehen). Die so neu entstandenen "Akte" überschreibt Bachmann (siehe Programmheft) dann auch mit "Verachtung" (nach "Coriolan") , "Verrat" (nach "Julius Cäsar") und "Vernichtung" (nach "Antonius und Cleopatra"). Zum Köln-Thema heißt es: "Das liegt nicht mehr bei mir. Ich bin bis 2021 da.Dann war ich 8 Jahre da. Das ist eine gute und lange Zeit."

Erinnern möchte ich an dieser Stelle daran, daß Nachtkritik aus den nördlichen Gefilden bereits mehrere Abende zu "Julius Cäsar" (der "Doppel"-Cäsar in Kiel vom 9.4.2011 bzw. 10.4.2011) und "Antonius und Cleopatra" ("Ist da noch Saft drin ?", Kritik von Jens Fischer vom 19.9.2014 zur Inszenierung von Patrick Schlösser am Lübecker Schauspielhaus) besprochen hat (die regionale Kritik läßt Erinnerungen daran vermissen).

Was die "Stimmen" betrifft, die ich noch hinzufügen wollte, muß ich jetzt leider passen, da es in diesem Internetcafe (in der Flämischen, das, glaube ich, fast nur noch ich aufsuche) schlichtweg zu dunkel zum Lesen ist (und so auch zum Zitieren). Es ging dabei eigentlich um "nur" eine Stimme, nämlich jene des Kielers Bernhard Minetti, für den der "Julius Cäsar" in seinen "Erinnerungen eines Schauspielers" (die ich zur Zeit mit an die Frühlingsluft nehme) in vielerlei Hinsicht ein ganz maßgebliches Stück gewesen sei, das er seltsam ungenutzt fand. Er selbst hat im Laufe seiner langen Karriere
in drei "Julius Cäsar"-Inszenierungen mitgewirkt : 1933/34 als Octavius am Preußischen Staatstheater Berlin, 1941/42 als Brutus (!) ebenfalls am Preußischen Staatstheater und 1963/1964 als Cäsar am Düsseldorfer Schauspielhaus..
Rom, Hamburg: drei Stimmen
"Dramaturgenstückverhackstückung", mit diesem Diktum zur Hardware der aktuellen Inszenierung Stefan Bachmanns, sprich: dem Text John von Düffels, leitet B. Kreilich diesen Text ein. Ich denke auch, daß es in diesem Fall nicht übel ist, sowohl den (möglicherweise zurechtgestutzten) Text als auch die Inszenierung zu betrachten (wann ist so etwas überhaupt von übel ?, es passiert nur nicht oft !). Auch die oben erwähnte Kritik von Michael Laages geht dieser Frage nach: Worin liegt der Zugewinn der "Römischen Trilogie" (hier "Rom") gegenüber jeweiligen Einzelinszenierungen, der selten(er) gespielten
Shakespearedramen ? Michael Laages würdigt allerdings die Arbeit des Dramaturgen und Dramatikers John von Düffel als eine Fleißarbeit, bezeichnet sie als einen "Kraftakt der Extraklasse". Um zu illustrieren, worin Einwände gegen den Zugewinn durch "Rom" bestehen könnten, möchte ich zur Illustration an dieser Stelle die von mir im Vorparagraphen angekündigten Stimmen bzw. Texte nachliefern.
1. Text: Bernhard Minetti in seinen "Erinnerungen eines Schauspielers" (in meinem Buch auf den Seiten 235/236):
"Stroux setzte das Stück Shakespeares an, das mir, meinem Wollen, meiner Vorstellung von Theater immer sehr nahe ist, den "Julius Cäsar". Ich suchte stets nach Figuren, die ein großes Schicksal tragen. Cäsar ist ein Mann jenseits von Sympathie und Antipathie, mit starker Phantasie und Tatkraft ausgerüstet, die schon im Erlahmen sind. Er spürt, die gegnerischen Kräfte formieren sich gegen ihn; sie sind so großartig und politisch bedeutend wie er selbst, der gefällt werden soll. Wenn man den Cäsar spielt und den Brutus schon gespielt hat, sieht man klar den Konflikt, die Größe der Personen."

Der 2. Text entstammt der phantasievollen und tatkräftigen Arbeit Thornton Wilders, "Die Iden des März"; wie ich finde, illustriert dieser Text, den Wilder Cäsar in die Feder diktiert, geradezu kongenial das, was Bernhard Minetti sagte.

2. Text: Thornton Wilder, "Die Iden des März", LXI Tagebuchbrief des Julius Cäsar an Lucius Mamilius Turrinus (bei mir die Seiten 182/183): "Es ist immerhin möglich, daß ich unter denen, die meinen Tod beabsichtigen, den Mann finde, der in den Dingen, in welchen ich unrecht habe, recht hat. Es gibt viele bessere Männer in der Welt, als ich einer bin, aber den Mann habe ich noch nicht gesehn, welcher ein besserer Beherrscher unseres Staates sein könnte.Wenn es ihn gibt, würde er, glaube ich, meinen Tod planen.Rom, wie ich es gestalte, wie ich es gestalten mußte, ist kein behaglicher Ort für einen Mann, dessen Genie ihn befähigt, an oberster Stelle zu herrschen: Wäre ich nicht Cäsar, ich würde nun Cäsars Mörder."

Der dritte Text ist aus dem Interview, welches Annette Stiekele mit Stefan Bachmann führte, in dem er ua. ausführt, warum seine Inszenierung keine politisch forcierte Lesart einschlagen mochte; er sagt: "Der Dichter Dante war der Ansicht, das Cäsar eine neue Weltordnung erschaffen hätte, ähnlich wie Jesus. Das ist die Sichtweise der frühen Renaissance.Bei Shakespeare ist ja alles von unendlicher Menschenkenntnis geprägt, deswegen gibt es keine politische Positionierung. Er kennt die Menschen zu gut in ihrer Ambivalenz."
Rom, Hamburg: gute Kritik
War gestern im Thalia. Wirklich gut ihre Kritik. Hat mir gestern sehr geholfen.
Rom, Hamburg: Ausblendung und Zeichen
Um noch einmal auf das Hilfreiche aus Kritiken (siehe # 5) einzugehen, möchte ich gerade bezüglich des Abends "Rom" noch ein paar Striche verlieren. So unterschiedlich "Kritiken" auch immer ausfallen, und so berufen sie sein mögen, grob gesagt, irgendein Statement, mit dem man sich auseinandersetzen kann ,liefert (guter Ruf, schlechter Ruf der Theaterkritik allgemein, ihrer Bedeutung, ihrem (Zeilen-) Umfange nach
vor allem beiseite gelassen) so ziemlich jede Besprechung (frei nach Goethes "Werther"-Widmung: Nimm die Kritik als Freundin, als Freund, so Du alleine ins Theater gegangen bist und/oder allein Dich in diesen Abend verwickeltest, wo die Begleiter schon bei Pizza und Wein sich eingestellt haben mögen zu allerlei anderem Begehr), und tatsächlich lernt man ja irgendwie auch so "seine" Kritikerinnen und Kritiker kennen und trifft oft und öfter mit der Vermutung darüber, wie ihre Kritik zum jeweiligen Abend wohl ausfallen wird (das sind gut-persönliche Prozesse, die das Theater immernoch in Hülle und Fülle generiert). Ich finde also kurzum in den Kritiken, je nachdem, Anregung(en), Gesichtspunkt(e) und Perspektive (n), zuweilen Hintergrundinformation, auch Pfade der Interpretation und wohl auch Zeichen (persönlicherer Art) hin und wieder. Was "Rom" nun betrifft, und auch das kommt nicht selten bei anderen Abenden vor, tritt aber auch mitunter gegenteilig Wirkendes in den Vordergrund: so eine Art
"Ausblendungszusammenhang". Ich will das, nur kurz, einmal an "Rom" illustrieren. Immer wieder lese ich die Aussage zu den drei Einzelstücken Shakespeares, sie seien nur selten inszeniert, und kaum gehen die Hintergrundinformationen zur Aufführungspraxis oder zum , nennen wir es einmal so, "Sujet: Rom" weiter, was mich schon ein wenig befremdet, zumal mindestens die Tatsache, daß eine Sache von Herrn von Düffel zugrundeliegt, einen Abstand zu Shakespeare markiert. Wie aber verhält es sich mit dem "Sujet: Rom" bzw. gar mit "Rom" als Titelüberschrift in den anderen Künsten, im Alltag, den diversen Medien; finde ich hier vergleichbar selten etwas wie es zu den Einzelinszenierungen der Shakespeare-Römerdramen gesagt wird ?
Ich erwarte ja nicht, daß man in der Theatergeschichte auf die Jahre 1992, 1993 und 1994 und jeweils die Salzburger Festspiele zurückgehen muß, obschon diese drei Dramen sehr wohl bereits in der Felsenreitschule als Trilogie anvisiert wurden (als Trilogie aus Einzelabenden) und obschon die Diskussionen um jene Inszenierungen, speziell des "Coriolanus"(1993, den übrigens Bruno Ganz spielte),
hitzig verliefen (siehe die Positionen Peter von Beckers und C.Bernd Suchers -"Sie marschieren wieder"), aber mit Hinweisen auf Fernseh- und Filmformate aktuellerer Datierung wird nicht immer so gegeizt wie an dieser Stelle zu "Rom" ! Dabei hieß jene 22-teilige HBO-Produktion
(1. Staffel (12) 2005, 2. Staffel (10)) sogar ausdrücklich "Rom(e)", die zurecht desmeist sehr positiv aufgenommen bzw. besprochen wurde (wie ich finde) und die ich nur wärmstens empfehlen kann, einen Zeitraum anvisierend von den Gallischen Kriegen bis zum Machtantritt des Augustus , auch eine BBC-Dokumentation aus dem Jahre 2006 (6-teilig) hieß "Rom" (mit dem Zusatz zu seinen Herrschern), der "Coriolanus" (Regie: Ralph Fiennes) ist aus 2011 (61. Berlinale), Uli Edels "Julius Cäsar" aus 2002, und "Gladiator" aus 2000, nur um mal ein wenig um mich zu greifen, Magazine in den Zeitungsauslagen heißen "Rom", "Cato" , "Cicero", Quasisedimente von "Rom" finden sich auf Schritt und Tritt; und die Frage "Marschieren sie wieder ?" muß sich ja nicht automatisch damit erledigt haben, weil es dergleichen Felsenreithallensachen nicht mehr geben und Einzelinszenierungen der Römerdramen nur noch selten geben mag. Was, der Begriff wurde auf NK zuletzt, glaube ich, zum jüdisch-christlichen Hintergrund aufgemacht, die "kulturelle DNA" angeht (Lamarckismus hin, Lamarckismus her), ist Rom kein weniger heißer Kandidat.
Rom, Hamburg: Zehntelsesterzenoper
Den Coriolan-Beginn fand ich übrigens nicht unspannend; es sah ja zunächst so aus, als sollte aus dem "Coriolan" an dieser Stelle eine Art "Zehntelsesterzenoper" (also so im Stile der "Dreigroschenoper", tatsächlich hat Brecht nicht nur einen eigenen "Coriolan" verfaßt, auch "Die Geschäfte des Herren Julius Cäsar" werden gerne mit der "Dreigroschenoper" in Verbindung gebracht)
werden, wovon ich dann tatsächlich gerne mehr gesehen hätte. Und solche Momente hatte diese Inszenierung immer wieder (was sie, auch der Geschwindigkeit nach, vor einer Nummernrevue rettete) , wenngleich letztlich die Bildherstellungen nicht den Zusammenhang der drei Teile gewährleisteten, Spannungen oder Reibungen, Einanderverstärkungen der Teile untereinander zuließen in einem Sinne etwa, daß gleichsam der Eindruck entstanden wäre, daß irgendwie alle Inszenierungswege nach "Rom" und in sein Dilemma führen, daß die Parallelschaltung von Anlauf (Einzeldrama) bzw. Binnenanläufen (in den jeweiligen Einzeldramen) und Inszenierungsstil (eine andere Regierung als bloß anderer Inszenierungsstil) besteht (vielleicht causal). Die Idee mit den münzgeprägten Masken beispielsweise korreliert (intellektuell) natürlich herrlich mit dem "Tragt Euren Vorsatz nicht auf dem Antlitz", und das Bühnenbild hat so ziemlich jede Kritikerin und jeden Kritiker zu einer anderen Assoziation animiert, was eine Qualität ist meineserachtens. Ich sah den Stoff "Messingmarmor" und jene "Waage" nicht nur als eine solche, sondern gleichsam als einen stilisierten römischen Adler, der nach dem Kopf des jeweiligen Herrschers als den seinen verlangte..
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