Weiße Westen

von Kai Bremer

Basel, 29. März 2019. Oberräuber Karl meckert in seiner ersten Szene in den "Räubern" ja erst einmal über das "Tintenkleksende Sekulum". Das wird gemeinhin als Ausdruck seines sturmdrängerischen Wesens gewertet. Aber eigentlich ist auch er nicht gerade ein Mann der Tat, sondern in erster Linie einer des Wortes. Natürlich kann man dem armen Kerl zugute halten, dass er ein arg zerrissener Charakter ist und dass in einem Schiller-Drama die Sprache Mittel Nummer eins ist, um Gefühle auszudrücken. Trotzdem kennt das Stück so manchen Satz, der bei nicht wenigen Inszenierungen mit gutem Grund gestrichen wird.

Trust oder Trost

Angesichts dessen war es bestimmt eine gute Idee, dass das Theater Basel für den Klassiker mit Thorleifur Örn Arnarsson einen Regisseur gewonnen hat, der in erster Linie durch Bildsprache beeindruckt und nicht gerade im Verdacht steht, Wort für Wort wiedergeben zu wollen.

Deswegen ist der Beginn von Thorleifur Örn Arnarssons Inszenierung in Basel eher überraschend, denn ganz so wenig Wort war zunächst gar nicht. Pia Händler schlendert als Franz Moor über die Bühne und jammert über die eigene Hässlichkeit, die eher niedlich ist, weil sie ein Hasenkostüm in verwaschenem Weiß trägt. Das hebt sich von der ansonsten in Hochglanz-Weiß gehaltenen Bühne ab, auf der über-menschen-große Schiller-Statuen, ein weißes Klavier und zahlreiche weiße Quader liegen.

Raeuber2 560 Sandra Then uErst Menschen der Worte, dann der Taten, mit Pia Händler als Franz Moor im Hasenkostüm © Sandra Then

Einer der drei Schiller steht auf einem anständigen Sockel, dahinter formen Neonröhren das Wort TRUST, später macht eine ergänzend zugeschaltete Röhre daraus TROST. Davor schwebt ein Laufband, das manchmal den Text zitiert, auch die je handelnden Figuren nennt und wiederholt Auskunft darüber gibt, in welcher Szene wir uns aktuell befinden.

Verwandlung in einen Saustall

Die strahlend weiße Bühne von Wolfgang Menardi wird freilich schon mit dem sich anschließenden Auftritt der Räuberbande in einen ziemlichen Saustall verwandelt. Auch hier lässt sich Arnarsson Zeit. Die Schauspieler, die mit Ausnahme von Thomas Reisinger als dem alten Moor keiner festen Rolle zugeordnet sind, schmieren alles mit schwarzer Farbe ein. Das würde als Effekt allein vielleicht arg plakativ wirken, wenn das Spiel dabei nicht präzise choreographiert wäre. Arnarsson konzentriert es zudem immer wieder auf das Gegenüber von Individuum und Kollektiv. Er lässt die monologischen Passagen (die dialogischen reduziert er radikal) vielfach chorisch sprechen.

Raeuber3 560 Sandra Then uVon der Hochglanzwelt in die Anarchie mit Gewaltexzessen und vom Sockel gerissenen Schiller-Statuen © Sandra Then

Allmählich verlässt ein Schauspieler nach dem anderen den Chor, so dass dieser nicht nur immer kleiner wird. Zugleich wird so aus dem Individuum, das zunächst dem Chor gegenübersteht, ein Gegenchor. Das sorgt für viel Dynamik auf der Bühne und versinnbildlicht die sich immer wieder verändernden Machtkonstellationen im Stück. Ob das jedoch tatsächlich im Sinne Schleefs gestaltet ist, wie es das Programmheft durch den Abdruck seiner bekannten Sätze zu den "Räubern" in "Droge Faust Parsifal" nahelegt, sei dahingestellt.

Überhaupt übersetzt Arnarsson viele Handlungsmomente des Stücks in oft wortlose, mal mehr tänzerische, mal mehr anarchisch durcheinander tobende Gruppenszenen. Musikalisch ist er dabei bemerkenswert begrenzt. Zu Beginn tanzen die Räuber noch zu Lil Peeps Broken Smile mit Stinkefinger Richtung Himmel um den Schiller auf dem Sockel. Kurz danach wird Françoise Hardys Mon amie la rose angestimmt, da Franz versucht, die arme Amalia zu gewinnen. Aber meist wabert und wubbert es nur aus dem Lautsprecher.

Ende vom Lied

Die ganz auf das Zusammenspiel der Schauspieler konzentrierte Inszenierung gipfelt in einem Gewaltexzess der Räuberbande, in dem immer wieder um Gnade bittende Menschen erschossen werden. Anschließend wird einer der drei Gips-Schiller in die Bühnenmitte gerollt und zerdeppert, ehe sich Franz Game-of-Thrones-mäßig mit einer Kunstbluttube den Hals aufschneidet. Es geht also rasant wie martialisch zu.

Das gilt zumal für den Text. Der Schluss wird komplett gestrichen und durch Franzens negative Anthropologie aus dem vierten Akt ersetzt ("der Mensch entsteht aus Morast und watet eine Weile im Morast. ... Das ist das Ende vom Lied.") Die Bühne sieht mittlerweile aus, als sei sie von Jonathan Meese eingerichtet worden, nur dass keine kryptischen Parolen den Bühnenhintergrund zieren, sondern weiße Kreuze auf schwarzem Grund. Defätistische Bilder und ungemein präzises Spiel der Schauspieler*innen also. Aber eben auch nie ein Argument für all den Aufwand, der hier getrieben wird. So bleibt schließlich der Eindruck, kaum mehr als eine farbklecksende Inszenierung besucht zu haben.

 

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Wolfgang Menardi, Musik: Gabriel Cazes, Kostüme: Karen Briem, Choreographie: Laura Witzleben, Dramaturgie: Katrin Michaels.
Mit: Mario Fuchs, Vincent Glander, Urs Peter Halter, Pia Händler, Nicola Kirsch, Nicola Mastroberardino, Thomas Reisinger, Lisa Stiegler.
Premiere am 28. März 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

Kritikenrundschau

"Der Bezug auf den berüchtigten Chor-Zurichter und Zuschauerquäler Einar Schleef ist offensichtlich. Doch Arnarrson hat keine politische Position. Rechter und linker Terror werden zu einer allgemeinen Mordbrennerei, einem Niedergang aller Zivilisationen zusammengerührt. Ein Abgesang auf die Menschheit", sagt Christian Gampert vom SWR (29.3.2019). "Die Sterbemonologe am Ende des Stücks sind theatralisch das einzig Gelungene."

Arnarsson interessiere sich gar nicht für das Stück. "Statt es zu spielen und inhaltlich daraus zu schöpfen, plättet er es und inszeniert einen wütenden Kommentar", schreibt Claude Bühler auf onlinereports.ch (29.3.2019). "Als deklamierter Gruppensprech, aber auch sonst oft, verliert Schillers Text jede tiefere Schicht. Wir hören über weite Strecken eine am vordergründigen Inhalt klebende Aussagenbolzerei." Bühler schließt: "So eine grobe Verkürzung und Veräppelung verunstaltet den Gegenstand, den man angeblich kritisch betrachten wollte, von vorneherein. Es stellt sich zudem die Frage, ob Arnarsson nicht veraltete Vorstellungen wiederbelebt, um sich an ihnen abzuarbeiten. Das Ensemble hat keine Chance, seine Klasse auszuspielen. Ein Abend zum vergessen."

Für Psychologie bleibe kein Raum, es gehe nur noch um die Mechanik der Gewalt. "Ihre Gründe lässt Arnarsson hinter sich", schreibt René Zipperlen in der Badischen Zeitung (31.3.2019). Die Mordbrennerei werde in doch sehr groben Blöcken inszeniert. "Arnarsson und dem starken Ensemble gelingen dabei auch starke Momente." Seine Bildsprache aber wirke stellenweise arg platt.

Für Martin Halter, ebenfalls in der Badischen Zeitung (30.3.2019), ist diese Inszenierung "weder Fisch noch Fleisch. Für die anvisierten jüngeren Zuschauer ist es vermutlich immer noch zu viel Text, Gips und nihilistisches Pathos. Und für die älteren ist eine Klassikerzertrümmerung mit Farbeimer, Blut und Thors Hammer nun mal eine ärgerliche pubertäre Sauerei."

Daniele Muscionico schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (online 2.4.2019, 14:04 Uhr), "düstere Dystopien zum weiteren Untergang des Abendlandes hätten Konjunktur". Den "letzten Schrei" leiste sich das Theater Basel. Schiller werde zum "Splatter-Autor", Basel habe seine "Chaostage". Mit "rechten und linken Gewaltphantasien im dramaturgischen Gepäck" erzähle Arnarsson seinen Klassiker als "Geburtsstunde des Terrorismus aus dem Geist des Ideals". Schiller werde umgedeutet, "um die Radikalisierung der Gesellschaft" zu verstehen. Das Dichterwort des "morastigen Zirkels der menschlichen Bestimmung" werde bei Arnarsson Abbild. "Und mehr nicht". Außerdem wolle der Regisseur "die Rolle des Chors – und die der Frauen – neu definieren". Viele sind Karl und feste Rollenzuschreibungen gebe es nicht. Alles in allem zeige Arnarsson, "dass die Lust an der Drastik die Lust an Denken nicht ersetzen" könne.

"Besucht man eine Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson, weiß man nicht, was einen erwartet, aber man kann sicher sein, dass es viel davon sein wird", so fasst Egbert Tholl von der Süddeutschen Zeitung (5.4.2019) diesen Abend und seine Zerstörungsdramaturgie mit spitzen Fingern an. "Ist in den stampfenden Chor-Choreografien der Räuberbande noch eine nachvollziehbare Wut spürbar, im Toben zu Techno (...) noch der Furor einer jugendlichen Regieschulabschlussarbeit, so ist Franz das zynische Prinzip allein. Da kann er noch so schön Klavier spielen, um Amalia rumzukriegen (...). Die sieben Franzen hier beerdigen jeden Idealismus."

 

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