Der lange Schatten des Spardiktats

von Georg Kasch

4. April 2019. Wenn sich gleich mehrere Ensembles und Gruppen eines Hauses gegen ihren Intendanten wehren, ist irgendetwas richtig schief gelaufen. So wie in Schwerin. Im Januar 2018 protestierten die Schauspieler des Mecklenburgischen Staatstheaters zum ersten Mal gegen Generalintendant Lars Tietje, weil er ihnen per Aushang verbot, beim Theaterball "eigenmächtige politische Äußerungen" zu machen. Im November 2018 wandten sie sich erneut an die Öffentlichkeit, ebenso Ballett und Orchester, jetzt wieder. Ihr Vorwurf: Tietje habe sich für den Maulkorberlass nie richtig entschuldigt, er habe führende Mitarbeiter entlassen, andere seien wegen des Drucks freiwillig gegangen; zugesagte Produktionen – und zwar ausgerechnet die politisch brisanten – und Stellen seien gestrichen, das Repertoire ausgedünnt worden.

Die Aspekte des Machtkampfs

Was ist da los in Schwerin? Schaut man genauer hin, erkennt man gleich mehrere schwelende Konflikte. Den zwischen Kunst und Geld. Den zwischen zwei Führungsmodellen, verkörpert im Schauspielchef und im Intendanten. Implizit auch den zwischen West und Ost.

Schwerin Theaterbau 560 Silke Winkler uIn aller Pracht: das Große Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin © Silke Winkler

In Schwerin gibt es jene internen Machtkämpfe, die Falk Schreiber vor einigen Wochen ausführlich beleuchtet hat – Tietje ist zugleich Intendant und Geschäftsführer, ein Mann der Bilanzen und der Strukturen. Schauspieldirektor Martin Nimz versteht sich als Künstler, einer, der die Freiheit schätzt – nur selten hat er sich in seiner langen Karriere fest an ein Haus gebunden.

Diplomat und der Querkopf

Sie sind grundverschiedene Charaktere: Hier der Diplomat, der zu seiner Verteidigung immer wieder Zahlen auffährt, im Gespräch durchaus nachvollziehbar seine Zwänge erklärt – aber auf die eigentlichen Vorwürfe, die seinen Führungsstil betreffen, nicht eingeht. Dort der Künstler, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er sich schützend vor sein Team stellt. Hier der Wessi, dessen größter Erfolg es ist, in seiner 12-jährigen Intendanz das Theater Nordhausen als Musiktheaterstandort gerettet zu haben. Da der Ossi, der seit Jahrzehnten erfolgreich inszeniert, großartige Schauspieler um sich schart, sich zwei Jahre vor der Rente auch gemütlich zurücklehnen könnte. Hier der Intendant, der sich den Vorgaben der Politik verpflichtet fühlt und dem dabei die Personalpolitik zu entgleisen droht. Da der Theatermacher, dem Macht schon immer verdächtig war und der nicht akzeptieren will, dass sein Intendant nicht versucht, mit aller Kraft mehr Geld für die Kunst herauszuholen.

Galerie der Gesprächspartner

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Nimz hat zudem eine enge emotionale Bindung ans Haus, das er als Student von Rostock aus erlebte. Damals, in den 80er Jahren, als Christoph Schroth Schwerin zu einem der Theaterzentren der DDR machte, unter anderem mit seinem legendären "Faust". Packendes, politisches, realistisches Theater war das, von dem die Leute heute noch mit leuchtenden Augen erzählen. Anders als Tietje, der "Zugezogene", der vor Schwerin und Nordhausen lauter Stationen in den alten Bundesländern und im Musiktheater durchlief. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall spielt diese Diskussion im Osten tatsächlich immer noch eine Rolle.

Der Kostendruck seit der Wende

Seit der Schroth-Ära hat sich allerdings viel verändert. Lange drückte sich die Politik in Mecklenburg-Vorpommern davor, zu sagen, was aus den Theatern im strukturschwachen und menschenarmen Bundesland werden soll. Stattdessen erhöhte sie ab Mitte der 90er Jahre die Gelder für die Theater nicht mehr, während die Kosten kontinuierlich stiegen – den schwarzen Kürzungspeter schoben die Politiker dem Theater zu. Also wurde gespart, geflickt, improvisiert, der Insolvenz ins Auge geblickt, protestiert, am Ende immer mal wieder gerettet – bis zur nächsten Entlassung oder der nächsten Insolvenzankündigung.

Unter Kultusminister Harry Tesch gab es einen ersten Vorstoß, mehrere Theater in MV zu fusionieren. Sein Nachfolger Mathias Brodkorb (heute wacht er in Mecklenburg über die Finanzen) machte dann Nägel mit Köpfen: Er ließ sich von der Münchner Unternehmensberatung METRUM ein Konzept erarbeiten und teilte den Theatern mit, dass, wenn sie erst einmal nach diesem Plan sparten und fusionierten, er für dynamisierte Mittel sorgen würde.

Da die METRUM-Leute Ahnung vom Geld, aber nicht vom Theater haben, gab es viele hanebüchene Vorschläge wie die Verschmelzung des Theaters Vorpommern in Greifswald, Stralsund und Putbus (Rügen) mit den bereits in den neunziger Jahren fusionierten Häusern in Neubrandenburg und Neustrelitz zu einem Staatstheater Nordost – mit Wegen von mehr als 100 Kilometern dazwischen. Für diese Pläne brauchte Brodkorb Sparfüchse an der Spitze – und holte 2016 Tietje nach Schwerin. Seine Aufgaben: die etwa 300 Stellen noch einmal um 30 zu reduzieren, die Fusion mit Parchim zu vollenden und dabei dennoch etwas Glanz zu verbreiten.

e werk Schwerin 560 Silke Winkler uDas E-Werk ist seit 1998 Spielstätte für viele Schauspielproduktionen des Staatstheaters Schwerin © Silke Winkler

Dann wurde Manuela Schwesig Ministerpräsidentin und legte den Theaterpakt auf: Die Fusionspläne (bis auf die bereits erfolgte Schwerin und Parchim) wurden abgeblasen, die Dynamisierung der Gelder beginnt schon jetzt. Die vereinbarten Stellenkürzungen allerdings mussten immer noch umgesetzt werden, die Zuwächse reichen nur um die dann magere Struktur halbwegs auskömmlich zu finanzieren.

Schrumpfung oder Aufbau?

"Ich habe schon auch Ja gesagt", sagt Tietje heute – und meint die Sparzusagen an die Gesellschafter, allen voran das Land, das seit der Fusion von Schwerin mit Parchim 2016 zur Mecklenburgisches Staatstheater GmbH mit 74,9 Prozent Hauptgesellschafter ist. "Was ich vereinbart habe, vertrete ich auch." Nimz sagt: "Er versteckt sich hinter den Sparvorgaben. Dabei sind wir doch schon viel weiter! Jetzt ist es Zeit, etwas aufzubauen."

Nimz wirft Tietje vor, jedes Jahr eine Produktion zu streichen, jeweils die politisch brisanteste, zum Beispiel ein Projekt auf dem Großen Dreesch, dem Plattenbauviertel im Schweriner Süden. Dass es am Ende doch stattfinden konnte, begründet Schauspiel-Ensemblesprecher Martin Neuhaus mit der "Zeit der Bonbons", die in Folge der Proteste jetzt angebrochen sei.

ImweissenRoessl 560 Silke Winkler uDas Singspiel "Im weißen Rössl", inszeniert von Toni Burkhardt, Premiere am 2. November 2018 © Silke Winkler

Tietje begründet den Aufruhr wie die Reduzierung der Veranstaltungen damit, dass alle Sparten – Oper, Orchester, Schauspiel, Ballett und die niederdeutsche Fritz-Reuter-Bühne – um dieselben Ressourcen kämpften, zum Beispiel die Spielstätten, das Große Haus mit seinen 550 Plätzen und das kleine E-Werk am Pfaffenteich mit seinen 99 Plätzen. Da aber das Land als neuer Hauptgesellschafter sehr darauf achte, dass Arbeitszeitgesetze und Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten werden, könne bei reduziertem Personal nicht mehr so viel produziert werden wie früher.

Das "Weiße Rössl" reicht halt nicht

Aber warum wehrt sich dann nicht nur Nimz, sondern protestieren ganze Ensembles? Warum nicht nur das Schauspiel, sondern auch das Orchester? Weil sie nicht so glücklich damit sind, so viel "Im weißen Rössl" spielen zu müssen, sagt Tietje, das sei zugegebenermaßen weniger spannend und herausfordernd als große Oper oder Beethovens Neunte (die für die Operette an Silvester ausfiel), fülle aber das Haus. Aber ließen sich diese Konflikte nicht stärker moderieren? "Der Intendant müsste alles tun, um das Haus zusammenzuführen", sagt Nimz. "Er darf nicht zusehen, wie innerhalb der Belegschaft Gräben entstehen, deren langfristige Folgen dem Theater massiv schaden, oder sie gar provozieren." Eher geeint hat die Mitarbeiter*innen allerdings die Empörung über die die Nichtverlängerungen des Chordirektors Joseph Feigl und des Balletttänzers und Spartensprechers Dan Datcu. Tietje macht dafür künstlerische Gründe geltend.

vordemFest1 560 Silke Winkler uSaša Stanišićs "Vor dem Fest", inszeniert von Martin Nimz, Premiere 22. September 2017, mit dem Bühnenbild von Sebastian Hannak © Silke Winkler

Das Schauspielensemble wirft Tietje zudem die Ausdünnung des Repertoires vor – viele Produktionen verschwinden schon nach einer Spielzeit in der Versenkung. Das betrifft auch erfolgreiche Inszenierungen wie Vor dem Fest (2017). Tietje erklärt, das habe mit der Tatsache zu tun, dass Wiederaufnahmen ohne Abo-Publikum (das in einer Spielzeit alles gesehen hat) schon zu Zeiten seines Vorgängers Joachim Kümmritz nicht gut verkauft gewesen seien – im Großen Haus hätten einmal im "Volksfeind" nur zehn Leute gesessen.

Das Publikum erzieht den Schauspielchef

Das Einknicken vor der Statistik hat in Schwerin Tradition: Nimz' Vorgänger Peter Dehler, der vor 20 Jahren ziemlich interessant begonnen hatte, füllte das Haus zunehmend mit Musicals und Liederabenden. Nicht er erzog das Publikum. Das Publikum erzog seinen Schauspielchef. Durchaus mit schönen Ergebnissen wie Deutschland sucht das Suppenhuhn (2011), vor allem aber mit tollen Auslastungszahlen. Nur große, spannende, gar sperrige Sprechtheaterproduktionen, für die es sich lohnte, in den Zug zu steigen, gab es immer weniger.

Das ist unter Nimz anders. Sowohl seine Inszenierung Vor dem Fest als auch "Hexenjagd", beide im Großen Haus, waren und sind Überraschungshits – was viel mit Nimz' großem erzählerischen Bogen zu tun hat, seinem Realismus mit Sinn für psychologische Tiefe und kraftvolle Bilder, die die gesamte Bühne ausloten.

Großartige Schauspielkräfte: vordemFest2 560 Silke Winkler uGroßartige Schauspielkräfte: Antje Trautmann, Jochen Fahr und Hannah Ehrlichmann spielen in "Vor dem Fest" (2017) © Silke Winkler

Und dann diese Schauspieler, die über weite Strecken zum Niederknien gut sind, die übernommenen wie Brigitte Peters und Jochen Fahr ebenso wie die neuen wie Frank Wiegard, Stella Hinrichs, Flavius Hölzemann, Antje Trautmann. Mit ihnen spielt Schwerin in der ersten Liga der ostdeutschen Theater. Zudem hat Nimz spannende Regisseure wie Jan Gehler oder Steffi Kühnert geholt. Klar, dass da auch was schief geht wie Alice Buddebergs merkwürdig blutleerer "Woyzeck", der das Fragmentarische des Werks weiter zerbröselt, ohne dass man etwas Neues aus den Trümmern aufleuchten sähe.

Die Reisebusse bleiben weg

Das Problem mit solchen Wagnissen: Schwerin ist längst nicht mehr die heimliche Theaterhauptstadt der 80er. Sondern eine in den Nachwende-Jahrzehnten empfindlich geschrumpfte 96.000-Einwohner-Stadt ohne nennenswerte Hochschule. Wer kann, verschwindet nach dem Abitur und kommt nur selten zurück. So gibt es heute ein älteres, aber sehr treues Publikum (der Freundeskreis zählt etwa 1200 Mitglieder) mit eher konservativem Geschmack, das realistisches Erzählen mit ein paar fantastischen Ausflügen gewöhnt ist. Es gibt sie noch, die Busse, die die Abonnenten aus dem Umland ins Theater bringen. Aber auch sie werden weniger.

Wenn in dieses Klima dann noch eine Inszenierung platzt wie Gehlers "Sommernachtstraum", der die Liebeswirren ins Großraumbüro verlegt, den Zauberwald nur andeutet und Puck in den Kopierer scheißen lässt, erwächst aus dem "Skandal" kein neues Interesse fürs Theater, wie das oft in großen Städten der Fall ist – weil dafür die wilde, neugierige Klientel fehlt.

EinSommernachtstraum 560 Silke Winkler uMit umstrittener Szene auf dem Kopierer: "Ein Sommernachtstraum", inszeniert von Jan Gehler, Premiere am 28. September 2018 © Silke Winkler

Tietje erzählt davon, was eine Zuschauerin aus Lübeck ihm in einem Brief geschrieben habe: Früher sei sie immer gerne nach Schwerin gekommen, jetzt habe sie sich endlich einmal wieder aufgemacht – und sei gleich enttäuscht worden. Lange war das konservative Publikum aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine feste Größe, das kam, weil das Haus so schön ist – und es auf der Bühne aussah wie früher.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz – Kunst gibt's nicht als sichere Nummer. Aber wenn die Mittel begrenzt sind und Auslastung die politische Währung ist, wird jeder Flop zum Politikum. Wie auch "Tosca". Seit den 90ern gibt es im Sommer die Schlossfestspiele mit einer großen Open-Air-Produktion vor dem Theater. Ursprünglich waren diese Opern-Produktionen ein Goldesel, der das Theater querfinanzierte. Bald aber kam das System an seine Grenzen: War Schwerin einst Marktführer unter den Open-Airs im Norden, gibt’s jetzt überall Spektakel. "Tosca" hatte im vergangen Sommer nur noch eine Auslastung von gut 50 Prozent – ein Desaster! Plötzlich musste das ohnehin schon prekär finanzierte Haus das Festspiel-Defizit ausgleichen.

Der Festspiel-Flop mit "Tosca"

Die Schauspielleute sagen jetzt: Tietje hätte dafür kämpfen müssen, dass dieses Geld von den Gesellschaftern erstattet wird, weil man es eben nicht für sich macht, nicht als Teil des künstlerischen Programms, sondern als Tourismus-Event, für Stadt und Land. Oder aber die Festspiele einstampfen. Tietje argumentiert, dass das weitreichende Folgen hätte, weil die Festspiele immer noch ein wichtiger Faktor sind, um die Leute emotional ans Theater zu binden und neue Zuschauer zu gewinnen.

Tosca 560 Silke Winkler uBudgettechnisch defizitär: Die Oper "Tosca" bei den Schlossfestspielen 2018, inszeniert von Toni Burkhardt © Silke Winkler

Aber erklärt das alles – Tietjes "Maulkorberlass" und sein unglückliches Lavieren danach, die finanziellen Folgen des "Tosca"-Flops, seine Treue zur Politik und ihren Vorgaben – die Wut von Schauspielensemble und Orchester auf ihren Chef? Vermutlich wiegt sein unglückliches Agieren in Sachen Personal und Spielplan schwerer. Schauspiel-Ensemblesprecher Neuhaus etwa berichtet von einer persönlichen Vorladung beim Intendanten als Reaktion auf den Offenen Brief, er alleine, obwohl das Schreiben von beiden Ensembles stammt. Nur mit Mühe habe er durchsetzen können, dass der Personalrat anwesend ist. Er sei Absatz für Absatz gefragt worden, ob der Offene Brief seiner persönlichen Meinung entspräche. Ein Verhör? Sollte das stimmen, erinnert es an Stasimethoden. Und dafür haben Menschen wie Neuhaus und Nimz, die in der DDR aufgewachsen sind, ein feines Sensorium. Auch für die sehr unterschiedlichen Auffassungen davon, wer was darf: Neuhaus ist der Ansicht, dass er als Ensemblesprecher mit Presse und Öffentlichkeit kommunizieren dürfe, Tietje ist da ganz anderer Meinung.

Was sagt das Ministerium?

Eine Haltung, die offenbar auch das Ministerium vertritt, das nicht telefonieren mag, aber durch seinen Sprecher Henning Lipski vergangene Woche auf Nachfrage mitteilt: "Der Vorstoß zweier Sparten trägt nicht zu einer Verständigung bei, sondern versucht, Konflikte zu personifizieren. Die Gesellschafter unterstützen den Generalintendanten bei der Umsetzung der verabredeten Maßnahmen."

Schwesig Manuela 280 Susie Knoll Regierung MV xWird sie Retterin in der Not? Ministerpräsidentin Manuela Schwesig © Susie Knoll / www.regierung-mv.deAllerdings personalisieren beide Seiten: Tietje, indem er Neuhaus vorlädt und nicht mit dem gesamten Ensemble spricht. Schauspiel und Orchester, weil sie sagen, dass der Konflikt am Führungsstil des Generalintendanten Tietje liege. "Im Moment wird die direkte Kommunikation verweigert, die Position des Schauspieldirektors ist praktisch abgeschafft", sagt Nimz. Selbst den Spielplan habe er per Mail schicken müssen – ohne persönliches Gespräch. Tietje wiederum gibt zu Protokoll, dass er sich gerne mit allen an einen Tisch setzen würde, um über die Zukunft des Theaters zu sprechen. Wieder einmal steht Aussage gegen Aussage.

Die Beziehung zwischen Intendant und Schauspielchef ist inzwischen derart zerrüttet, dass klar ist: Einer wird gehen müssen. Auf die Frage, wie der Konflikt gelöst werden könnte, antwortet Ministeriumssprecher Lipski: "Insbesondere die Mitarbeiterbefragung ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Gelegenheit, ihre Wünsche, Ideen, aber auch Kritik zu äußern."

Bloß: Diese Mitarbeiterbefragung zieht sich. Sollte der Intendantenposten ab Sommer 2021 neu besetzt und Tietje nicht verlängert werden, müsste die Entscheidung jetzt fallen. Nur so hätte ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ausreichend Vorbereitungszeit. Allerdings erweckt die Stellungnahme des Ministeriums nicht den Eindruck, dass ein Intendanzwechsel zur Debatte steht: "Wir haben einen gemeinsamen Weg vereinbart, wie die Krise gelöst werden kann. Der Vorstoß [der offene Brief] weicht von dieser Linie ab."

Vier mögliche Szenarien

Klingt nicht gerade für Verständnis für die Rebellen. So gibt es derzeit vier mögliche Szenarien. Das Unwahrscheinlichste: Alle Seiten setzen sich an einen Tisch und starten neu durch. Ebenso unwahrscheinlich: Tietje und Nimz müssen gehen, Schwerin wagt den kompletten Neuanfang. Denn in Schwerin schätzt man Kontinuitäten. Und das Beispiel Volkstheater Rostock mit seinen unzähligen Intendanz- und Spartenleiter-Wechseln hat gezeigt, wie kontraproduktiv das für einen Theaterbetrieb ist.

Die wahrscheinlicheren Varianten: Das Kultusministerium hält an seinem einstigen Wunsch-Intendanten fest, verlängert ihn – dann wird Nimz kaum bleiben. Oder aber – dafür könnte der Rückzug jenes Staatssekretärs, der Tietje geholt hatte, sprechen – Tietje wird nicht verlängert und die Intendanz neu ausgeschrieben. Am Ende könnte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig das letzte Wort haben. Denn sie hat es nicht nur geschafft, mit dem Theaterpakt den gordischen Theaterknoten zu zerschlagen, der allen die Luft zum Atmen nahm. Sie gilt zudem als Theaterfan, saß einst für die Stadt Schwerin im Aufsichtsrat. Gut möglich, dass am Ende sie allein entscheidet, mit welchem Team das Mecklenburgische Staatstheater weitermacht.

g.kasch kleinGeorg Kasch ist nachtkritik.de-Redakteur. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München, schreibt für Tages- und Wochenzeitungen und lehrt an Hochschulen in Berlin, München und Mainz. Er ist Mitglied der Jury des Berliner Theatertreffens.



Mehr über Theater-Sparpläne und ihre Praktikabilität steht im großen Fusionstheater-Interview mit dem Geschäftsführer der Theater & Philharmonie Thüringen in Altenburg-Gera Volker Arnold.

 

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