Ja, rennt nur nach dem Glück

von Willibald Spatz

Memmingen, 5. April 2019. Petra von Kant ist nicht verbittert, sie weint auch keine Tränen, sie hat eine Sauwut. Und die schreit sie hinaus in Hassmonologen, düster beleuchtet, von E-Gitarrenfeedbacks unterlegt. Danach geht es wieder zurück zur normalen Beleuchtung in den normalen Wahnsinn ihrer chicen Wohnung, wo stumm und devot ihre Bedienstete Marlene auf den nächsten Befehl oder die nächste Demütigung wartet. Was zur Hölle hat sie nur so ruiniert?

Dass Fassbinders Stück aus dem Jahr 1972 eine Reise in den Untergang ist, macht schon der Titel klar. Petra von Kant ist eine erfolgreiche Modedesignerin. Ganz zu Anfang erfahren wir, dass sie eine Kollektion für "H&M" entwerfen soll – hier wurde der Stücktext für die Memminger Aufführung leicht aktualisiert: Im Original durfte sie für "Karstadt" arbeiten. Jedenfalls hat sie alles erreicht, wovon Modedesigner vermeintlich träumen.

Expertinnen für alltägliches Unglück

Dennoch hasst und wütet Claudia Frost. Sie spielt die Petra von Kant. All ihren Frust bekommt Marlene ab, die vom einzigen Mann auf der Bühne, Jan Arne Looss, gespielt wird. Seine ironischen Blicke, sein stoisches Wischen an Fenstern und Boden sind die treffendsten Kommentare auf das nutzlose Luxuselend, das sich hier vor unseren Augen ausbreitet.

DiebitterTraenenderPetraKant1 560 Forster uTrio des Luxuselends: Claudia Frost, Miriam Haltmeier, Jan Arne Looss © Forster

Ganz in Rosa bellt die Freundin Sidonie vorm Fenster von draußen herein. Sie und Petra von Kant bauen sich frontal vor dem Publikum auf und versprühen von dort aus ihr Gift. Natürlich war's ein Mann, der für Petras Gemütszustand verantwortlich ist. "Er stank! Er stank nach Mann. Wie Männer eben stinken. Was vorher reizvoll für mich war… jetzt hatte ich nur Brechreiz, Tränen in den Augen. Und wie er mich bestieg…"

Die zwei Damen wiederum gönnen sich keinen Fetzen von Glück, und es ist eine Freude, wie Elisabeth Hütter als Sidonie und Claudia Frost in aller Künstlichkeit ihre aufgesetzte Freundlichkeit ausbreiten. "Man muss klug sein. Als Frau, da hat man Möglichkeiten, die muss man zu nutzen wissen." So geht Sidonies Trick, um erfolgreich durchs Leben zu kommen. Hier sind zwei große Expertinnen fürs alltägliche Unglück am Werk.

Den Weltekel herausplärren

Sidonie bringt dann Karin mit ins Spiel, eine 23-Jährige, die die letzten fünf Jahre im Ausland verbracht hat und der Petra sofort hoffnungslos verfällt. Sie verhilft ihr zu einer nachhaltigen Modelkarriere. Wenn Miriam Haltmeier zum ersten Mal auf die Bühne tänzelt, den Oberkörper taxierend nach hinten gelehnt, weiß man wirklich nicht, wie naiv sie ist. Eventuell plant sie von Anfang an, die Modemillionärin auszunehmen. Eventuell ist sie es aber auch gewohnt, dass ihr die Chancen nur so zufliegen. Solange alles in der Schwebe ist, funktioniert Krzysztof Minkowskis Regiekonzept.

Doch nach dem ersten Kuss der beiden ändert sich der Ton auf der Bühne. Die schöne Virtualität verschwindet und ein psychologischer Hysterismus zieht auf. Nun wird plötzlich viel geschrien, und viele Tränen fließen, weil Karin ja so gemein ist: Sie tanzt die ganze Nacht, schläft mit Männern und fliegt augenblicklich nach Frankfurt, sobald ihr Ehegatte, den sie eigentlich verlassen hatte, sie anruft, und das, obwohl Petra sie doch so schrecklich liebt. Schriller Höhepunkt ist Petras Geburtstagsparty, auf der dann auch noch Mutter und Tochter auftauchen.

DiebitterTraenenderPetraKant2 560 Forster uSie küssen und sie streiten sich: Miriam Haltmeier, Claudia Frost, Jan Arne Looss © Forster

Alle werden sie entweder als Huren oder missraten beschimpft. Petra will nur noch Tabletten schlucken und sterben, aber am besten noch vorher zehn Gin Tonics hinunter schütten, die Marlene brav serviert. Auch hier stehen die fünf Damen noch mal frontal zum Publikum und plärren ihren Weltekel heraus. Das ergibt zwar insgesamt noch mal ein beeindruckendes Bild, aber im Wesentlichen ist hier schon alles gesagt und in diesem Fall sogar schon von allen (mit Ausnahme der stummen Marlene). Dass jetzt nichts Entscheidendes mehr passiert, liegt an der Stückvorlage. Fassbinder hat hier seinen ganzen Pessimismus ausgebreitet.

Krzysztof Minkowski und sein Ensemble probieren verschiedenste Ansätze, um diesem im Lauf der Jahrzehnte teilweise eigenartig gewordenen Text beizukommen. Am ungelenksten wirkt das Unterfangen, je mehr sie versuchen, die Figuren ernst zu nehmen und die Geschichte plausibel zu erzählen. Je künstlicher und verkopfter aber diese Fassbinder-Welt ausgestellt wird, desto besser funktioniert die Aufführung als Versuch, das zeitlos vergebliche Rennen nach dem Glück bloßzustellen.

 

Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Schauspiel von Rainer Werner Fassbinder
Regie: Krzysztof Minkowski, Bühne und Kostüme: Konrad Schaller, Dramaturgie: Thomas Gipfel.
Mit: Anke Fonferek, Claudia Frost, Miriam Haltmeier, Elisabeth Hütter, Jan Arne Looss, Regina Vogel.
Premiere am 5. April 2019
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.landestheater-schwaben.de

Kritikenrundschau

"Liebe unterliegt bei Fassbinder oft den Zwängen des Kapitalismus, sie ist kälter als der Tod. Den Utilitarismus menschlicher Beziehungen stellt Minkowski als grelle Satire aus, Petra und ihre Freundin Sidonie (Elisabeth Hütter) sprechen drohend starr nach vorne, unsympathisch, laut", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (7.4.2019). Die "krasse, kaum fundierte Hysterie-Studie" im weitern Verlauf könne man aber weder als Satire nehmen noch glauben. "Marlene, das der Behauptung nach Petra verfallene Faktotum, steht stumm dabei, bevor sie sich erschießt. Sie wird von Jan Arne Looss gespielt, ist also ein Mann - Minkowskis plumpe Feminismus-Zuckung. Wobei: Plump ist hier alles."

 

Kommentare  
Bittere Tränen, LTS: Kritik Allgäuer Zeitung
Allgäuer Zeitung 9. April 2019. „Claudia Frost füllt die vielschichtige Rolle der Petra von Kant genussvoll und überzeugend aus. Ob zynisch, herrisch, traurig, verzweifelt oder (für kurze Zeit) euphorisch-verliebt – sie trifft den richtigen Ton. (...) Das wunderbar intensive, stumme Spiel von Jan Arne Loos verstärkt die komplizierte Beziehung der beiden und sorgt mitunter für komische Momente. (...) Applaus gab es für den Abend, der schroff begann, Türen aufriss – und Bilder im Kopf entstehen ließ."
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