"Ich geh doch geil ab"

von Andreas Merkel

Berlin, 5. Mai 2019. Mit zwei Fragen gehe ich in diese Vorstellung. Erstens: Wie gut spielte David Foster Wallace wirklich Tennis (diesen ebenso literarischen Monolog- wie theatralischen Dialog-Sport)? Zweitens: Wie lange halte ich die vierstündige Aufführung eines Romans aus, den ich als Bad Reader nach 120 von 1500 Seiten im ersten Zehntel abgebrochen habe?

Die Beantwortung von Erstens und Zweitens haben nur scheinbar nichts miteinander zu tun. Zur Beantwortung von Erstens und Zweitens ist aber vielleicht hilfreich zu wissen, dass ich ein Problem mit gesprochener Sprache habe, sobald die sogenannte Sprechsituation auch nur ansatzweise ins künstlerisch Betonte, überdeutlich Vorinterpretierte umkippt – sei es auf der Bühne, im ARD-Tatort oder wenn auf Lesungen Schauspieler neben dem Autor sitzen, um für ihn aus dem Roman vorzulesen: Christian Brückners Robert De Niro leiht Richard Fords Frank Bascombe "seine deutsche Stimme". Da muss ich sofort kotzen.

Zarte Vorfreude

Genauso wie jedes Mal, wenn mein Lieblings-Reportagen-Autor (über Kreuzfahrten, Hummer, Roger Federer – wann immer er ein konkretes Thema hatte!) David Foster Wallace auf Fußnote komm raus unbedingt den "großen amerikanischen Roman" abzuliefern versuchte. "Unendlicher Spaß", eine Orgie der Überinformation und Überformulation, in der Amerika nur noch als depro-drogen-sex-tv-therapiesüchtige O.N.A.N.-Freakshow überlebt, die sich in der Zeitrechnung des Romans im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche am Schicksal der drei Incandenza-Brüder auch nicht mehr richtig zusammenerzählen lässt.

unendlicher spass1 560 david baltzer uDevid Striesow, Ursina Lardi, André Jung © David Baltzer

Aber vielleicht ja im Jahr des Theatertreffens mit dieser von Thorsten Lensing, Thierry Mousset und Dirk Pilz zusammengeschraubten Textfassung?! – Plötzlich sehe ich den Theaterabend als Chance, mir dieses Romanmonster noch mal schön komprimiert und lebenszeitfreundlich in vier Stunden zusammenfassen zu lassen.

Eine zarte Vorfreude, die sofort stirbt, als ich das Bühnenbild aus großer Betonmauer (Trump, the wall!), abgedecktem Whirl-Pool und paar Bürostühlen sehe. Devid Striesow, André Jung, Sebastian Blomberg und Jasna Fritzi Bauer stehen als Prüfungs-Kommission für ein Tennis-Stipendium offstage rum, während Ursina Lardi allein als Hal Incandenza auf der Bühne laut um ihr Leben schweigt, also schreit. – Klar, du Idiot, wir sind hier im Theater, kiss your Introspektion goodbye! Deswegen darf Lardi auch keine super Retro-Tennisklamotten tragen (die man hier im Style der Royal Tenenbaums wunderbar in Szene hätte setzen können), sondern muss – Achtung V-Effekt – in einem weißen Asi-Aerobic-Body und Adidasschuhen mit Techno-Plateausohlen über die Bühne staksen.

Öde Buch-Bude

In der Folge kommt es zu einer wilden Text-Party um Foster Wallaces Fremdwort-Ergüsse und Nerd-Maxiaturen, die zwischendurch in ein paar seltenen, dialogischen Momenten tatsächlich Spaß macht: In der Therapie wird Umarmung geübt ("Hältst du mich etwa für einen Umarmer?!"), ein großer Vogel (Sebastian Blomberg) stürzt aus niedriger Höhe in einen Whirlpool. Im Ensemble überhaupt große Spielfreude, irgendwo zwischen Kinderzirkus und Kabarett – vor allem, wenn der Text zu öde wird.

unendlicher spass2 560 david baltzer uDevid Striesow und Ursina Lardi  © David Baltzer

Symptomatisch der alles dominierende Devid Striesow als große Rampensau und nackte Kanone in circa zwanzig Rollen, der sich fest vorgenommen hat, mal so richtig Leben in die öde Buch-Bude zu bringen: Einerseits erfrischend, wenn man jedes Wort versteht – andererseits hat man nicht mehr das Gefühl, jemals wieder ein normales Wort mit dem Typen wechseln zu können, den man als schüchtern dickbebrillten Matratzenverkäufer in Hans Christian Schmids "Lichter" mal so toll fand ("Wieso", würde Striesow erwidern, "ich geh doch geil ab!").

Suada-Speech an die Entfremdeten

Ansonsten ist der Abend nach fast zwei Stunden eher eine Aneinanderreihung von tapfer über die Köpfe des Publikums hinweg exekutierten Monologen, zum Beispiel beim Meeting der Anonymen Alkoholiker: "Sorry, dass ihr mir jetzt so lange zuhören musstet." Ich, der Theateridiot, werde jetzt schonungslos auf mein Film- und Fernsehwissen zurückgeworfen. Die in der Serie "Jerks" noch so furiose Jasna Fritzi Bauer muss eine krasse Crackhure mit Zombie-Totgeburt runterlabern und wird von Foster Wallaces Suada-Speech an die Entfremdeten, Entgleisten und Entstellten dieser Welt vollkommen allein gelassen. Der Tiefpunkt kurz vor der Pause.

Gegen den Wind geschnippelte Kurvenbälle

Draußen esse ich einen Apfel, rauche eine American Spirit und entscheide, nicht wieder reinzugehen (zuletzt bin ich nach einer Stunde aus Jürgen Kruses Missverständnis rausgerannt). Dann passiert etwas Merkwürdiges: Plötzlich möchte ich Foster Wallaces Anti-Roman gegen diese doch so gutgemeinte, aber trotzdem verarschende Inszenierung in Schutz nehmen – gerade weil sie die monologischen Schwächen seines Schreibens ungewollt bloßgelegt hat.

Ich gehe nach Hause und habe keine Ahnung, wie gut David im Tennis war. Ich stelle mir vor, dass man nicht gern gegen ihn spielte, mit seinen unorthodox gegen den Wind geschnippelten Kurvenbällen, die er sich in der Einsamkeit des Mittleren Westens selbst beigebracht hatte. In der schönen, posthum erschienenen David Foster Wallace-Tennis-Anthologie "String Theory" gibt es ein Foto von seinem Highschool-Team, auf dem er circa dreißig Jahre vor seinem Selbstmord – standing, third from left zwischen seinen Freunden – in die Kamera lacht und das mir trotz all seines Text-Theaters immer noch das Herz bricht.

Unendlicher Spaß
von David Foster Wallace in der Übersetzung von Ulrich Blumenbach
Spielfassung von Thorsten Lensing unter Mitarbeit von Thierry Mousset und Dirk Pilz
Regie: Thorsten Lensing, Mitarbeit Regie: Benjamin Eggers, Bühne: Gordian Blumenthal, Ramun Capaul, Kostüme: Anette Guther, Dramaturgie: Thierry Mousset.
Mit: Jasna Fritzi Bauer, Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi, Heiko Pinkowski, Devid Striesow.
Premiere 22. Februar 2018 in den Sophiensaelen Berlin
Dauer: 4 Stunden 20 Minuten, eine Pause
www.sophiensaele.de


Merkel Andreas 280 privat u
Andreas Merkel, geboren 1970 in Rendsburg, lebt in Berlin. Schreibt im "Freitag" die Literaturkolumne "Bad Reading" und hat zuletzt den Roman "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar) veröffentlicht. Unser Autor war während des Theatertreffens verhindert. Er hat für diesen Text vor dem Festival ein Gastspiel der Inszenierung an der Berliner Volksbühne besucht.

 

In der Reihe Das Theatertreffen 2019 von außen betrachtet hat nachtkritik.de Expert*innen von Disziplinen außerhalb des Theaterbetriebs gebeten, die Berliner Festivalgastspiele zu begutachten. Aus frei gewähltem Blickwinkel, ohne formale oder inhaltliche Vorgaben. Zu allen Einladungen finden sich auch Nachtkritiken, die bereits zur Premiere der Produktionen entstanden. 

Die Nachtkritik zur Premiere von Unendlicher Spaß in den Berliner Sophiensaelen gibt es hier.

Zur Festivalübersicht des Berliner Theatertreffens 2019 geht es hier entlang.