Wege des Wahns

von Barbara Behrendt

Berlin, 30. August 2008. Man muss sich schon entscheiden: schwarz oder weiß, Himmel oder Hölle, Gott oder Teufel. Schlecht nur, wenn diese Entscheidung von einer selbsternannten "Heiligen" getroffen wird, die kaltblütig Menschen in den Tod schickt um ihren eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

 

So schwarz wie Haar und Kleid dieser Abigail Williams aus Arthur Millers "Hexenjagd" ist ihre Seele. Thomas Schulte-Michels hat aus der zwiegespaltenen "Dienerin Gottes" am Deutschen Theater in Berlin eine coole, selbstgefällige Bandenanführerin gemacht. Völlig unbeeindruckt lehnt sie, überzeugend gespielt von Kathrin Wehlisch, am Bühnenrand, die Arme lässig, aber in märtyrerhafter Kreuzigungspose über die an der Wand hängenden Stühle gelegt und beschuldigt mal eben die Sklavin Tituba der Hexerei.

Diktatur und Hysterie

Dass ein Gericht allen Ernstes diese skrupellose Frau und ihre verängstigte Jung-Mädchen-Gefolgschaft als Werkzeug Gottes akzeptiert und aufgrund ihrer Beschuldigungen Menschen zum Tode verurteilt, wirkt grotesk. Doch gerade das Absurde daran bestärkt die Aussage des Stücks: Will man jemanden innerhalb eines diktatorischen Systems verurteilen, dann kann man ihn auch verurteilen. Ist erst eine Massenhysterie ausgebrochen, sind vernünftige Beweise nur hinderlich. Es genügt "die Macht einer überhitzten menschlichen Einbildungskraft", wie Miller es nannte.

Er nimmt in seinem Drama Bezug auf die Hexenprozesse in Salem 1692: Mädchen tanzen nachts um ein Feuer und die schwarze Sklavin Tituba singt ihre Lieder – dabei werden sie vom puritanischen Pfarrer erwischt. Um nicht selbst der Hexerei angeklagt zu werden, behaupten sie, von anderen Dorfbewohnern verhext worden zu sein und nennen erste Namen. Insgesamt werden 140 Personen angeklagt, 19 von ihnen erhängt.

Brutalität und Lebenshunger

Miller benutzt diese historischen Verbrechen und schafft 1953 mit "Hexenjagd" eine Metapher für die Kommunistenhatz während der McCarthy-Ära in Nordamerika – was ihn selbst fast Kopf und Kragen kostet. Die Liebesgeschichte zwischen Abigail Williams und John Proctor im Stück ist nicht historisch belegbar, aber sie liefert eine passable Erklärung für Abigails Tun: Rache an John Proctors Frau Elizabeth.

Glänzend besetzt ist der Ehebrecher mit Sven Lehmann, der diesen John ganz animalisch werden lässt, strotzend vor Kraft, Brutalität und Lebenshunger. Noch immer ist er im Bann der erotischen Abigail gefangen. Bei der nächtlichen Aussprache im Wald meidet er ihren Blick und tastet doch fortwährend nach ihrem Körper. Sie ist in gleißendes Licht getaucht und das einzige Mal in weiß auf der Bühne erschienen. Er, passend dazu, ist immer hin und her gerissen: schwarze Hose, weißes Hemd. Er fällt über sie her, um sie dann wieder brutal von sich zu stoßen.

Durch die Falltür zum Schafott

Neben ihnen klafft bedrohlich die geöffnete, in die Bühne eingelassene Falltür. Eine einfache Stiege ins Erdgeschoss des Pfarrhauses kann sich darunter befinden, aber im Laufe des Stücks wird es auch der Gang ins Gefängnis – oder aufs Schafott. Die an der Wand hängenden Stühle benutzen die Angeklagten beim Verhör, ansonsten ist die vom Regisseur gestaltete Bühne so leer, düster und trostlos wie Abigails Blick.

Doch so verstörend die Geschichte um dieses faschistische System und seine Protagonisten ist, so sehr einen Meike Droste in der Rolle der Mary Warren als gepeinigte Erwachsenwerdende zwischen Gruppenzwang und eigenem Gewissen beeindruckt, achtet Schulte-Michels doch sehr darauf, immer wieder eine Distanz zu diesem absurden System her zu stellen. Sei es durch die heitere Musik zwischen den Szenen, die extreme Positionierung der Figuren, die eine Identifizierung fast unmöglich macht, die witzigen Auftritte von Peter Beck als blind gehorsamer Ezekiel Cheever und Thomas Schmidt als kauziger Reverend Hale.

Vom Gerücht bis zum Urteil

Oder das Weglassen des gefühligen Endes im Originaltext. Schulte-Michels lässt John zwar unter Tränen das eigens unterzeichnete Geständnis zerreißen – den Weg zum Galgen geht er allerdings ohne einen einzigen Blick zu seiner Frau. Und sie lässt ihn ganz wortlos gehen.

Auch wenn diese Angst vor Sentimentalität etwas irritiert, so ist dem soeben prämierten "Theater des Jahres" doch eine kurzweilige, aktuelle und gut besetzte Inszenierung gelungen. Aus welchem Wahn heraus intelligente Personen Massen von Menschenleben zerstören, wundert man sich einmal mehr. Welche Kleinigkeiten den Domino-Effekt von Gerücht bis zum Urteil auslösen können. Und, wie Arthur Miller selbst zu seinem Stück anmerkte, stellt man fest: "Das ist alles sehr seltsam."


Hexenjagd
von Arthur Miller
Deutsch von Hannelene Limpach, Dietrich Hilsdorf und Alexander F. Hoffmann
Inszenierung: Thomas Schulte-Michels, Bühne: Thomas Schulte-Michels, Kostüme: Tanja Liebermann.
Mit: Meike Droste, Gabriele Heinz, Isabel Schosnig, Ursula Staack, Kathrin Wehlisch, Simone von Zglinicki, Peter Beck, Roland S. Blezinger, Michael Gerber, Jürgen Huth, Sven Lehmann, Falk Rockstroh, Thomas Schmidt und Henning Vogt.

www.deutschestheater.de


Kritikenrundschau

Andreas Schäfer schreibt im Berliner Tagespiegel (3.9.2008) über die "sachliche Inszenierung" von Thomas Schule-Michels: "Schulte-Michels erzählt die Geschichte als Schulstück auf hohem Niveau. Doch auch wenn die konzentrierten Szenen die Hilflosigkeit des Einzelnen und den Automatismus des Massenphänomens plastisch machen – eine beamtenhafte Rechtschaffenheit wird die Inszenierung nicht los." Für Schäfer spielt Sven Lehmann als John Proctor "herausragend", "ruppig und zart" bringe Lehmann "mit seinem unverwechselbaren Gossensingsang nicht nur Staub und Dreck aus der Moderne, sondern auch Tragik in Millers Schachbrettwelt."

Dirk Pilz bemängelt in der Berliner Zeitung (1.9.2008) den dürftigen Erkenntnis-Gewinn der Inszenierung, die das undurchsichtige Motivgeflecht des Stückes auf Illustrierten-Niveau vereinfache. Dabei verzichte Regisseur Schulte-Michels "gottlob" darauf, den "Heutigkeitsbezug" des Stückes "groß herauszustreichen". Er setze auf Schauspieler, "die trefflich zu handwerkeln verstehen", bloß spielten alle "so ordentlich wie absehbar". Alles sei "auf plumpen Psychorealismus getrimmt". Regie heiße an diesem Abend: "den Schauspielern Rollenschnittmuster wie Allwettermäntelchen überzuhängen, um sie gefahrlos durch den Text zu bugsieren." Das zeitige ein "Stückverwaltungstheater mit schlimmen Folgen", weil es dort in die Vorlage "vereindeutigend" eingreife, wo "sie sich zur Ambivalenz öffnet": Schulte-Michels verordne John und Abigail Knutsch- und Kampfszenen, die keine Fragen offen ließen – "es ist die Eifersucht, die den Wahn verschuldet."

Thomas Schulte-Michels, schreibt Peter Hans Göpfert in der Berliner Morgenpost (1.9.2008) inszeniere "Hexenjagd" nicht als "Lehrmodell einer Gesellschaft, die ihre Bürger bespitzelt und verdächtigt". Dennoch sehe man die Aufführung wie "einen Thriller", weil die Regie die privatere Eifersuchts-Intrige der jungen Abigail forciere. Die neue Besichtigung des alten Stücks sei "ein Gang ins Museum". Aber "zwei Stunden, spannend und schauspielerisch lebendig".

 

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