Vor Liebe blind dem dämlichsten Esel hinterher

von Simone Kaempf

Berlin, 11. Mai 2007. Hormongeladen, brünftig, neandertalerhaft – Hippolyta hat auf den gebückten Gang unserer Vorfahren zurückgestellt und will ihren künftigen Gatten Thesus mit Pfeil und Bogen erlegen. Theseus wählt die alte Taktik des sich Schwachstellens, um die Frau selbst blitzschnell zu domestizieren.

Die Jugendlichen am Hofe passen von der Statur zwar schon besser ins moderne Zeitalter, aber ihr Triebsausen hat den vermeintlichen Fortschritt noch nicht vollzogen. Sind sie erst einmal in Hippolytas Wald gelandet, entspringen ihre Schimpfkanonaden der Unbedingtheit eifersüchtig Liebender, die mit Verbalgewalt Herzen gewinnen wollen. Vergeblich, versteht sich.

Archaische Rohheit siegt

"Liebe und Verstand gehen selten Hand in Hand", heißt es in Shakespeares Stück, das immer noch zu den beliebtesten zählt, um zu zeigen, wie man vor Liebe blind dem dämlichsten Esel hinterher rennt. Einer Verwechslung folgt die nächste, bis aus Kleinigkeiten eine liebestolle Sommernacht wird, aus der Hermia, Helena, Lysander und Demetrius verkatert wie aus einem Alptraum erwachen. Aber weil Jürgen Gosch zur Zeit gar nicht mit dem Inszenieren anfängt, wenn nicht die düstere Natur von Lieben und Trieben sichtbar wird, siegt erst einmal archaische Rohheit. Oder besser das, was die Schauspieler dafür halten.

Corinna Harfouch läuft zu tierischer Hochform auf und spielt Megäre und Ur-Weib in unterschiedlichen Ausdrucksformen. Ernst Stötzner ist als Puck in eine schwarze Mönchskutte gehüllt und manchmal auch nackt, wie Gott ihn schuf, im Wald unterwegs. Aber so sehr sich das 13-köpfige Ensemble auch outriert, improvisiert, Tiere und Natur nachahmt: in Hannover, wo Gosch vor knapp zwei Wochen Shakespeares "Wie es euch gefällt" inszenierte, kam er ein ganzes Stück weiter in der Frage, wie sich Natur und ihre krude Seite darstellen lassen, wie man hochkontrolliert das Unkontrollierbare der Natur zeigen kann und die Schauspieler enthemmt auf die Bühne bringt, ohne sündig zu werden.

Das Glück kommt mit der bösen Wand

Man war schon versucht, im Deutschen Theater an faulen Zauber zu glauben, so schnell war das Kreuz-und-Quer-Verlieben im Athener Wald durchgespielt. Witterte schon den Flop, der nach dem Top kommt. Aber es kam doch noch anders. Denn es gibt ja noch die kleine Schar von Handwerkern, die sich lustvoll wie selbstquälerisch mühen, ein Stück einzustudieren für den Hof in Athen. Sie sehen aus, als würden sie die ganze Inszenierung parodieren. Mit Matthias Bundschuh als intellektuellem Anführer Squenz, der dem Trupp erst einmal beibringen muss, dass auch Frauen- und Tier-Rollen gespielt werden müssen. Aber sie sind zu allem bereit. Jürgen Gosch sei Dank.

Seine ganze Inszenierung scheint mit diebischer Freude darauf hinaus zu laufen, das Drama von Pyramus und Thisbe zu spielen. Mit verstellten Stimmen, falschen Bärten, orientalischen Schleiern, einem Schauspieler in einem Bärenkostüm und mit vielen Clownsnummern: Falk Rockstroh, bemalt und mit Mörtel beschmiert, spielt die Wand, die böse ist, weil die Liebenden durch sie nicht zueinander kommen. Markus John als Thisbe stirbt dramatisch wie zur Zeit des Stummfilms, als große Gesten noch geholfen haben. Regisseur Squenz schubst notfalls auf die Bühne, wenn ein Stichwort verpasst wird. So wird also mit den Laien auf der Bühne umgegangen, die hier parodistisch die wahren Experten sind.

Man spielt nicht nur mit dem Stück, sondern mit dem ganzen Theater. Warum soll man nicht in Gelächter über sich selbst aufgehen? Ab und zu mag das ja wie ein Befreiungsschlag wirken. Im anarchischen Ausnahmezustand landet Gosch sowieso. Dem "Sommernachtstraum" hat er zwar nicht Neues hinzuzufügen. Aber als real existierender Überlebender im großen Theaterbetrieb ist er selbst dann eine Klasse für sich, wenn er sich nur um sich selbst dreht.

Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare, übersetzt von Jürgen Gosch und Angela Schanelec
Regie: Jürgen Gosch, Ausstattung: Johannes Schütz.
Mit: Meike Droste, Corinna Harfouch, Michael Benthien, Matthias Bundschuh, Markus John, Roman Kanonik, Niklas Kohrt, Falk Rockstroh, Bernd Stempel, Ernst Stötzner, u.a.

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Kritikenrundschau

"Theaterglückstrunken" hat Christine Wahl Max Reinhardts rot-goldenes Schatzkästlein am Freitagabend verlassen. Viermal, schreibt sie auf Spiegel online, habe Meister Jürgen Gosch bisher den "Sommernachtstraum" inszeniert, diesen vierten mit einem eventuellen fünften zu toppen, dürfte allerdings kaum möglich sein. Gosch sei nicht der erste, der im scheinbar romantischen "Sommernachtstraum" den Alptraum entdeckt habe: "Aber: So konsequent, so körperlich und gleichzeitig konzeptionell durchdacht – bei alledem aber wunderbar unangestrengt – sah man den Liebes- selten mit dem Gewaltakt fusionieren."

Andreas Schäfer geht im Berliner Tagesspiegel zunächst auf die Selbstplagiatsvorwürfe (hier) ein, die Till Briegleb kürzlich gegen Jürgen Gosch erhoben hatte. Schäfer befindet: "Stilmittel sollten noch immer im Dienst der Geschichte stehen, und wenn sie dies wie hier so selbstlos tun, dann ist egal, dass es immer die gleichen sind."
Über die Inszenierung schreibt er: "Das Grundgefühl dieser Tableaus ist durchaus unheimlich, düster, verzweifelt. Die Leichtigkeit, die Gosch der Liebe ausgetrieben hat, holt er über die Hintertür der Parodie wieder zurück." Das scheint ihm zu taugen, allerdings mit Einschränkungen: "Die sonst eher strenge Corinna Harfouch als koboldhaft tollende und daumenlutschend träumende Titania/Hippolyta wirkt nicht ganz in ihrem Element." Der desillusionierte Blick auf die Liebe führe auch zu Durchhängern, die Schäfer indes durch den Auftritt der Handwerker wettgemacht sieht.

Einen "Sieg des Theaters über die Wirklichkeit", hat Peter Laudenbach im Deutschen Theater erlebt, wie er in der Süddeutschen Zeitung (14.5.2007) mitteilt.

Ungerührt und unberührt begegnet dagegen Irene Bazinger der Aufführung. In der FAZ (14.5.2007) kritisiert sie: "Kein Abgrund, kein Sommer, und ein Traum ohne Nacht: So entzaubert Gosch das Stück von aller Lust wie allem Frust, bis es sich in handwerklicher Beiläufigkeit verflüchtigte." Wohin ein etwaiger "Tumult der Leidenschaft" führen könne, vermochten nur die "famose Corinna Harfouch" und der "ebenbürtig überzeugende Bernd Stempel" zu zeigen. Der "Rest" von Goschs Inszenierung erinnere "in seiner demonstrativen Durchschaubarkeit an die rätsellose Unverbindlichkeit eines FKK-Strandes."

Ulrich Seidlers Jubel in der Berliner Zeitung ist dazu angetan, die so oft angekratzte Ehre des Kritikers zu retten. Gar nicht, wie immer von Theaterkritikern behauptet wird, verknastert und verbiestert, sondern "voll fröhlicher und erwartungsvoller Gelassenheit" kehrte er nach dem "Sommmernachtstraum" heim "in den Alltag, der auf einmal tröstlich an Wichtigkeit, aber auch viel an Kummer, Mühe, Langeweile eingebüßt zu haben" schien. Zur Aufführung selbst schreibt Seidler in der Berliner Zeitung (14.5.2007): "Alles Süßliche und alles Luftige aus der Sommernachtstraumwelt wird auf die Bretter geholt, dabei aber nichts an Spielerischem eingebüßt. ... Das Schöne an all den überdeutlichen, groben Ernüchterungsmitteln ist, dass sie das trügerische Spiel der Wahrnehmung nicht entkräften: Sie ist und bleibt völlig unzureichend, aber wir haben nichts anderes."

Ganz anders wiederum Matthias Heine in der Welt (14.5.2007), er steht der Aufführung sehr reserviert gegenüber:" ... das Problem der Inszenierung ... sind die falschen Töne. Es wird viel zu viel geschrien." ... Der ganze Intrigen- und Zauberstadel wirke nur "wie das Vorspiel zur Tragikomödie, die die Handwerker am Schluss aufführen ... Dieser Schluss rettet einen Abend, in dem das Publikum zwischendurch weniger geschockt als vielmehr brav gelangweilt worden war."

Verspielt und lustig und überzeugend sowieso findet Katrin Bettina Müller Goschs Inszenierung. Dezidiert begeistert zeigt sie sich angesichts der nackten Kerle auf der Bühne. In der taz (14.5.2007) schreibt sie ein Lob der Reife: "Das hätte ich selbst nicht vermutet, dass mich mal nackte Männer auf der Bühne so erfreuen. Sie sind nicht schön, sie sind nicht jung ... Und doch möchte man sie am Ende knuddeln. Denn selten ist Reife so sexy. Und selten die Lust auf der Bühne so unbeeindruckt von Fitness-Normen und Schönheitswahn.

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