Amphitryon - Thalia Theater Hamburg
Der Gott des Gemächts
von Jens Fischer
Hamburg, 11. Mai 2019. Vorspiel auf dem Theater. Vorm geschlossenen Vorhang. Äußerst beiläufig, so dass schnell der Ruf "Lauter!" aus dem Publikum erschallt, nähert sich Sebastian Zimmler aus einem privaten Tonfall heraus der Figur des Dieners aus Kleists "Amphitryon" an und arbeitet der Behauptung entgegen: "Ich bin Sosias." Da sich aber niemand selbst und einem Darsteller eine einzige Rolle nicht genug ist, entwirft er auch noch die Merkur-Figur. Basisarbeit für Darstellungskünstler.
Original und Fälschung
Die am Thalia Theater selbst zum Thema wird – als Metapher für die Fragilität und Variabilität von Ich-Konstruktionen. Regisseur Leander Haußmann interessiert sich dabei eher nicht für den Verwechslungsjokus des Stücks, scheint auch die moralische Gesellschaftskomödie vom Fremdgehen eher unzeitgemäß und das Identitätskrisendrama abgedroschen zu finden – jedenfalls inszeniert er den Klassiker als Lustspiel der Selbstoptimierung.
Zwei von ihnen sind Doppelgänger: Marina Galic, Antonia Bill, Jens Harzer, Sebastian Zimmler, © Armin Smailovic
In der Vorlage steigen die Götter Merkur und Jupiter vom Olymp ins mythische Theben herab, um als Sosias und Amphitryon auf Kosten der bisherigen Träger dieser Namen einige Wonnen des Daseins zu genießen. In Gestalt des noch kriegsbedingt abwesenden Feldherren Amphitryon beglückt Jupiter dessen Gattin mit seiner überirdischen Manneskraft. Postkoitale Pianoklimperei untermalt den Auftritt der beiden. Kleists Verwirrspiele und Situationskomik kommen aber nicht so recht in Gang, da dieselben Darsteller das Original und die Fälschung spielen. Nicht mehr Götter und Erdlinge befinden sich wie bei Kleist im Clinch, sondern Menschen folgen der psychoanalytischen Doppelgänger-Theorie, zeigen einerseits die offiziell gelebten, andererseits die verdrängten oder nicht realisierten Anteile des Ichs.
Feuriger Liebhaber oder bemühter Gatte?
So wollen die beiden Protagonisten auf der Bühne diejenigen werden, die sie sein möchten – oder zumindest der Gattin mal wieder gefallen. Denn nach elf Ehestandsjahren ist der Traum immerwährender Bezauberung gewichen und die Beziehung erschöpfter, trübsinniger geworden. Sosias kommt als kleinmütiger bis devoter Zweifler daher, meist gelangweilt. Sein Alter Ego inszeniert er als durchsetzungsfähigen Schalk mit frivolen Ideen. So gestärkt lässt er sich von der triebdampfende Gattin Charis (Antonia Bill) nicht länger beschimpfen, zu Boden hauen und anschließend bespringen, sondern schlägt zurück und lernt, sie wonniglich zu demütigen.
Guter Gott? Jens Harzer als Göttvervater Jupiter im Gewand des Kriegsherrn Amphitryon © Armin Smailovic
Gewalt in der Ehe ist hier purer Slapstick und das postmoderne Subjekt reiner Wille und schönste Vorstellung. Zimmler changiert bruchlos zwischen den beiden Sosias-Versionen hin und her, spielt die Dialoge mit sich selbst mal in karikierender Otto-Waalkes-Manier, mal als tastende Annäherung. In der Parallelhandlung sind die Gegensätze noch deutlicher. Der behäbige Amphitryon sucht Sicherheit in Posen und hält zart kraulend das Händchen seiner Alkmene (Marina Galic), die schnöselig alerte Jupiter-Version zelebriert große Gesten und ergreift kraftvoll die fleischlichen Verlockungen. Die Umschwärmte muss entscheiden zwischen dem ungezügelt seine Geilheit auslebenden Liebhaber und dem bemühten, gefühlskontrollierten Angetrauten.
Good? God?
Nur: Es ist das falsche Stück für dieses Konzept. Die recht oberflächliche Konfrontation von zwei Entwürfen einer Person, Wunsch und Wirklichkeit, eliminiert den erkenntnisphilosophischen Riss durch die Welt, die Figuren, das Drama. Bei Kleist geht es ja um die Frage, inwieweit man sich seiner selbst vergewissern, den Sinnen und dem Verstand trauen kann. Das fehlt bei Haußmann. Er stellt Alkmene ins Zentrum eines erotischen Treibens. Ist sie doch überzeugt, dass sich das wahre Gefühl und die edle Unschuld nicht betrügen, die Liebe nicht teilen lasse. Aber genau das passiert, als sie beim Küssen und Beischlaf den Götter- mit dem Ehegatten verwechselt – und sich mit einer rhetorischen Volte aus der Affäre zu ziehen versucht. Sie behauptet, egal wer mit ihr ins Bett ging, sie habe in ihm immer nur ihren Gemahl geliebt. Schwer zu glauben. Diese Ehebruchstragödie verliert im schlichten Doppelgänger-Spiel daher auch schnell seine existenziell verwirrende Dimension, obwohl das Ensemble top ist und alle Figuren als heutige interpretiert. Jens Harzer müsste als Amphitryon eigentlich eine Idealbesetzung sein, verkörpert doch kaum ein Schauspieler besser die von Kleist postulierte "allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden". Harzers hohe, kehlig aufgeraute Stimme tanzt durch die Satzgebilde, setzt gegen den Sprachrhythmus gern Pausen des stummen Räsonnements, während er den Text durchlebt. Mit Hippiemähnenperücke und Kleinkriminellen-Schnauzer hat eraber wenig Chancen, ernst genommen zu werden.
Das Hauptproblem des Abends: Haußmann reiht nur fahrig Szenen aneinander. Er findet keine Form, um seine Ausgangsidee und Kleists Stück zu vereinen, kann zudem kaum etwas mit Via Lewandowskys nach 45 Minuten endlich geöffneten Spielraum anfangen, eine manegenrund sterile TV-Showbühne. Als Leuchtschrift ist "Good" zu lesen, immer wenn der Name Jupiter fällt leuchtet: "God" – ein Gag. Die gesamte Aufführung schleppt sich mit lauem Humorpegelausschlag dahin. Sie glühlt, lodert nicht, glimmt kaum. Hat kaum Tempo, wirkt flapsig, unfertig. So kommt auch das finale "Ach" dröge ausdruckslos daher. Kein Nachhall, nirgends.
Amphitryon
von Heinrich von Kleist
Regie: Leander Haußmann, Bühne: Via Lewandowsky, Kostüme: Janina Brinkmann, Dramaturgie: Susanne Meister.
Mit: Jens Harzer, Marina Galic, Sebastian Zimmler, Antonia Bill.
Premiere am 11. Mai 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.thalia-theater.de
"Die Abgründigkeit (und Komik), die sich auftut, wenn zwei Wesen von Dritten für denselben Menschen gehalten werden, ist in Hamburg dahin", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (16.5.2019). "Ein Schauspieler, Jens Harzer, spielt Amphitryon und Jupiter, ein anderer, Sebastian Zimmler, spielt Sosias und Merkur", was zur Folge habe, dass aus allen Gott-Mensch-Konflikten innere Angelegenheiten – Selbstgespräch, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung – werden. "Aus der Verwechslungssituation wird etwas Psychisches, die Spaltung eines Einzelnen in zwei Teile, zwischen denen ein zorniges Selbstgespräch stattfindet." Dieses dunkle Spiel beleuchte Haußmann wie zur Zerstreuung mit Späßen, Akrobatik und Zuversichtssignalen. "Kurzum: Ein Varieté-Glanz liegt über dem Abend (und über Via Lewandowskys Bühne), und die Spieler agieren wie Zauberer, die in den Tiefen ihrer Kostüme die Requisiten für den nächsten Trick ertasten. Sie sind toll, aber sie zaubern für den Augenblick."
"Welchen Zweck kann ein Theater damit verfolgen, dieses Manifest einer Harvey-Weinstein-Denke heute auf die Bühne zu bringen?", fragt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (13.5.2019) und meint damit Kleists Stück. Leander Haußmanns Antwort auf diese Frage sei Ironisierung der Zustände als komödiantische Kritik an fest gefügten Herrschaftsverhältnissen. Allerdings sei "unsere Gegenwart in vielen Bereichen schon ein bisschen weiter mit ihren Argumenten und Beziehungen als Kleist und Haußmann, sodass diese Komik des kultivierten Sexismus nicht einmal eine Lehrstunde für irgendwas Relevantes abgeben könnte". Als abschreckendes Beispiel sei der ganze Aufzug zu genüsslich auf Zustimmung und Applaus poliert, als Farce zu wenig gemein. "Was soll dieses Stück in dieser Regie der tollen Schauspielkunst ohne Haltung zum Thema?"
"Leander Haußmann inszeniert zu oberflächlich", argumentiert Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.5.2019). "Er will, dass sein Theater volkstümlich, handfest und bodenständig wirkt, aber die meiste Zeit ist es einfach nur ungeschickt, aufgesetzt und plausibilitätssüchtig." Eine einzige vertane Chance sei sein Hamburger "Amphitryon". Aus der komplizierten Verwechslungskomödie, in der "kein Menschensinn ist, und kein Verstand", mache Haußmann "eine chargenhafte Bouffonnerie". Vom Schmerz jedoch, von den theologischen und erotischen Dimensionen des Werkes wolle er nichts wissen. "Ihm reicht die Verwechslungskomödie als Zote."
"Haußmann will die klangvolle, aber eben auch sperrige, ungewohnte kleistsche Sprache mit einem Höchstmaß an heutiger urbaner Lässigkeit aufbrechen und setzt dabei auf die bohemenhafte Hippie-Eleganz der Figuren", so Annette Stiekele im Hamburger Abendblatt (13.5.2019). Das gebe die Figuren allerdings manchmal der Lächerlichkeit preis, die mit einer Extradosis Klamauk noch unterstrichen werde. "Und so lässt die Inszenierung, obwohl von dem gesamten Quartett mit Hingabe gespielt, nur selten von der Oberfläche in die Tiefe blicken. Die Konflikte bleiben ungelöst."
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Kleist hat sein lebenslanges Identitätsdrama bei „Amphitreon“ in einer Beziehungskomödie erzählt. Genau das hat die Aufführung erzählt. Die Titeländerung „Gott des Gemächts“ ist vollkommen daneben. Es geht hier nicht um priapische Zotenreisserei. Und die waghalsige These des Rezensenten, Haussmann habe das identitätsdrama nicht interessiert, sondern Ich-Konstruktionen bricht dank der Formulierungs- und Gedankenschwäche des Rezensenten schon in seinem Text in sich selbst zusammen.
Kurz und schlecht: der Rezensent hat den Abend nicht beschrieben: weder seine Erzählung noch seine Absichten und Inhalte noch die mit starkem Enthusiasmus aufgenommene Komödiantik. Die phantastischen, ja geradezu atemberaubenden Schauspieler sind ihm allenfalls nebenbemerkungen wert.
Ich hab kein Lustspiel der Selbstoptimierung gesehen - was für eine livestylemässige Qualitätsunterschreitung beim Rezensenten!!
Solche Kritiken führen beim entsetzten Leser zu Vertrauensverlust. Warum soll man da noch Vertrauen, einigermaßen fair und sachbezogen und kritisch unterrichtet zu werden.
Sehr geehrter Herr Fischer,
auch ich saß in der Premiere und habe mit Interesse die entsprechenden Kritiken verfolgt. Nahezu allen Rezensenten gelang ein differenzierter Beitrag, der zumindest die Leistung der Darsteller sowie die Publikumsgunst nicht unbeachtet ließ. Als studierter Journalist und Theaterwissenschaftler sollte Ihnen die Kunst der Beobachtung in differenzierter Form vertraut sein; stattdessen begeben Sie sich auf den Sockel des Rezensenten, der seine Position im Universalanspruch postuliert.
Ich empfehle als vertiefende Lektüre Martin Walsers „Tod eines Kritikers”: Vielleicht überdenken Sie dann noch einmal Ihren reißerischen Stil dieses journalistisch-qualitativen Fauxpas. Haben Sie es wirklich nötig, schon in der Überschrift mit Alliterationen zu arbeiten, um den Leser rhetorisch auf Ihre Seite zu ziehen – fernab von jeder Realitätsnähe?
Der Beispiele gibt es genug, aber plakativ können nicht nur Sie: „Es irrt der Mensch, solang er strebt!”
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Liebe*r A.S.,
die Überschriften macht die Redaktion.
Gruß
jnm
Mir gefallen diese Effekt haschenden Inszenierungen nicht, diese langweilige Haudrauf-Komik um des Draufhauen willen, die Aneinanderreihung von Theatermätzchen eines Egomanen, der mit knapp 60 noch den Bühnenstürmer geben muss.
Natürlich macht das Ensemble was her und müht sich redlich. Doch auch der frisch geehrte Superstar kommt über seinen ewig gleichen, marinierten SingSang stimmlich nicht hinaus. Darstellerisch wie so oft sich im dauerdunklem Kostüm vor oder neben die Kollegenschaft stellend...
Ach ne, ich hör jetzt auf. Die Erinnerung daran nervt genauso wie der Abend selbst.
Hätte mir nicht ein guter Freund, mit einem guten Platz für gutes Geld eine grosse Freude machen wollen - ohne Begleitung wäre ich nach 45 Minuten verschwunden gewesen und zu einem Fischfrikadellen-Brötchen von Daniel Wischer geeilt ...