Çetindogans "Eine Migrantenhochzeit"

von Esther Slevogt

Berlin, 11. Mai 2007. Eine opulente türkische Hochzeit in Istanbul, die mit ihren Hundertschaften von Gästen inklusive Buffet, Kamerateam, Bluebox und DJ locker ein Jahresgehalt verschlingt. Hier heiratet der Deutschtürke Murat die junge Saadet "Ich liebe Saadet", sagt er. Sie sagt jedoch: "Ich liebe Deutschland." 

Denn während er sich von seiner Heirat mit einer Türkin eine Festigung seiner kulturellen Identität erhofft, will sie die Schranken dieser Identität lieber etwas lockern. Die beiden haben sich im Internet kennengelernt und vor ihrer Eheschliessung nur einmal getroffen. Es ist also einerseits so wie in den traditionell vermittelten Ehen. Andererseits folgt die Verbindung schon der Logik dissoziierter moderner Kommunikation. Und während Saadat hofft, nach ihrem Unzug nach Deutschland Miniröcke tragen zu können, will Murat ihr ein Kopftuch verpassen, um endlich wie ein richtiger Türke zu leben.

Identitäten in Auflösung 

Wir erfahren davon, weil die Dramatikerin Müserref Öztürk Çetindogan in den zunächst realistisch anmutenden Verlauf ihres Stücks Traumsequenzen, innere Monologe und Rückblenden hineinmontiert, aus denen sich ein äußerst faszinierendes Bild der inneren und äußeren Frontlinien türkischer Identitäten zwischen Europa und Asien, dem Islam, atatürkschem Laizismus und deutscher Diaspora ergibt.

Ein Stück, das die Identitätsproblematik nicht von ihrer soziologischen Seite her aufrollt, sondern in grellen, komischen, manchmal surrealen Bildern Identitäten in ihrem Auflösungs- und Fluktuationszustand beschreibt. Eine Art Nichtzentrum ist der Transvestit Iclal, der als Conferencier und DJ die Party moderiert und sich weder geschlechtliche noch familiär mehr zuordnen lässt.

"Eine Migrantenhochzeit" hat die 1975 im anatolischen Beysehir geborene Dramatikerin ihr Stück genannt, das jetzt den diesjährigen Stückemarkt des Theatertreffens eröffnet hat, und mit dem sich diese Nachwuchsplattform als ausgesprochen auf der Höhe der Zeit präsentiert. Bereits im fünften Jahr steht sie nun nicht mehr allein dem deutschsprachigen Dramatikernachwuchs offen. In diesem Jahr wählte die Jury (der der Dramatiker Händl Klaus, Theatertreffenchefin Iris Laufenberg, die Stuttgarter Dramtaurgin Kekke Schmidt, der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und der Regisseur Lars-Ole Walburg angehören) Stücke aus Litauen, Großbritannien, Österreich und Finnland aus. Vergangenes Jahr gewann der Dramatiker Thomas Freyer mit "Amoklauf mein Kinderspiel" den Nachwuchspreis, die Uraufführung inszenierte Tilman Köhler.

Walburgs Neckischkeiten statt Çetindogans Reflexion

Traditionell werden die Stückemarkt-Stücke als szenische Lesungen präsentiert, von Schauspielern aus der Theaterbundesliga – hier sind es unter anderem Alexander Khuon als Bräutigam, Katrin Wichmann als Braut, Stefan Kurt, Astrid Meyerfeldt, Burghart Klaußner und Heide Simon als Brauteltern.

Auf der Seitenbühne, dem Kammerspielort des Hauses der Berliner Festspiele, lässt Regisseur und Mitjuror Lars-Ole Walburg das Partyvolk dann im Gänsemarsch herein defilieren. Und zwar mit orientalischer Musik, wozu die Schauspieler schon ein paar neckische Tanzbewegungen andeuten. Sie nehmen unter drei Kronleuchtern Platz, die einen Vorgeschmack auf die orientalische Opulenz der Veranstaltung geben sollen, denen sich eine szenische Lesung naturgemäß nicht in Gänze hingeben kann.

Leider gewinnt man schnell den Eindruck, dass Lars-Ole Walburg sich unter einer türkischen Hochzeit nicht viel mehr vorstellen kann, als schräge Typen, die zu orientalischer Musik an ihren Lesepulten schrullige Bewegungen vollführen oder in Familienkrächen hysterisch ausfällig werden. So bleiben dann auch Themen und Figuren eher flach, bekommt man den komplexen Reflexionshorizont, vor dem die Autorin ihr Panorama entwickelt hat, eigentlich nur mit, wenn man das Stück vorher gelesen hat. Man wünscht diesem Stück viele aufführende Bühnen – gerade weil es sich den gängigen Kategorisierungen und Klischees souverän entzieht. Deshalb ist es doppelt schade, dass Walburg in seiner szenischen Einrichtung wenig mehr als folkloristische Klischees bemühen konnte

Identität – "was für einen Scheiss soll das?"

"Meinen Sie mit Komik Situationskomik?" fragte dann auch einigermassen ratlos Moderator Joachim Lux im anschliessenden Dramatikersalon, der sich mit der Frage von Theater und kultureller Identität befasste und dazu den Regisseur Neco Çelik, Islamwissenschaftler Werner Schiffauer und den Schriftsteller Ilja Trojanow auf die Bühne geholt hatte. Nein, Situationskomik meinte Müserref Öztürk Çetindogan eben nicht, sondern wollte uns in ihrem fein komponierten Panorama einen Blick in die grotesken Abgründe tun lassen, den heute diese Identitätsfragen weltweit aufgerissen haben. Aber da war dann deutsches Unverständnis davor, das immer so leicht kulturelle Identität mit Folklore verwechselt. "Die Deutschen haben immer so eine merkwürdige Lust an der Identität!" sagte Neco Çelik dazu auf dem Podium. "Ich bin im identitätsfreien Raum Kreuzberg aufgewachsen und denke mir immer: was für einen Scheiss soll das? Ich bin Neco."

 

Stückemarkt I

Eine Migrantenhochzeit
von Müserref Öztürk Çetindogan

www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen

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