Enge Räume

von Henryk Goldberg

Weimar, 30. Mai 2019. "Bonjour Tristesse" sagt die Dame im blassblauen Badedress, sie heißt Natalija. Eigentlich hat sie keinen Grund, irgendetwas zu sagen, doch irgendjemand muss schließlich etwas sagen. Kann aber sein, sie will uns sagen, was das, was wir nun sehen werden, uns sagen will. Obwohl, wir hätten es wohl auch so verstanden, zumal, es dauert ziemlich lang.

Well-made Turgeniew

Dabei, der Engländer Patrick Marber hat den Russen Iwan Turgeniew ziemlich kurz gehalten, aus "Ein Monat auf dem Land" werden drei Tage. Und das wird nicht nur kürzer, es wird auch leichthändiger, entspannter, pointierter – und bleibt doch Turgeniew. Zwar, aus dem deutschen Lehrer wird ein englischer, die Gesellschafterin Lisaweta nimmt den Antrag des Arztes nicht an, aber sonst … Sonst ist es so, dass die Formulierung, es handele sich um ein Stück "von" Marber "nach" Turgeniew ein klitzkleinesbisschen hochgestapelt scheint, es ist einfach eine handwerklich sehr gekonnte Bearbeitung, in seiner Heimat nennen sie das well-made, weniger ist es nicht und auch nicht mehr. Noch immer bringt der junge Hauslehrer Beljajew Unruhe auf das Land, noch immer liebt ihn die lange von der Lange(n)weile geplagte Dame des Hauses und lässt sich lieben von Herrn Rakitin, ihre Ziehtochter Vera liebt ihn, das Dienstmädchen macht ein bisschen rum mit ihm, so bringen sie ihre Tage herum. Und am Ende geht nichts für Niemanden, drei Tage, ein Monat, ein Leben.

Abenteuer, die nie kommen

Vinzenz Hegemann hat für den Moment, der sich verstetigt ohne je irgendwo hinzuführen, einen Campingplatz erfunden, das Ephemere als Dauerzustand, alles gerichtet für lauter Abenteuer, die nie kommen werden, alles bleibt, nichts wird. Die Optik, auch die Farben der Kostüme (Josephin Thomas) einer jahrzehntealten Illustrierten. Außerdem vermeiden sie so alles, was an Birken, Banjas und Babuschkas erinnert, für Turgeniews Liebesgeschichten ist das russische Ambiente wohl auch entbehrlicher als für Tschechows Leidensgeschichten.

Dreitage1 560 CandyWelz uAuf dem Campingplatz von Vinzenz Hegemann: Elke Wieditz (Anna), Tim Uhlich (Kolja), Jonas Schlagowsky (Beljajew),
Johanna Geißler (Natalija), Christoph Heckel (Shepherd), Sebastian Nakajew (Arkadij) und Bastian Heidenreich (Rakitin)
© Candy Welz

Und Juliane Kann, die Regisseurin, macht aus der sanften Ironie, die Turgeniew geschrieben und Marber pointiert hat, aus ihrer Leichtigkeit, eine angestrengt spottende Satire, wenigstens eine Stunde lang, also die Hälfte des Abends. Fast alle sind fast immer da. Natürlich, sie wissen nicht, wohin mit sich und ihren Tagen. Aber sie spielen das nicht, sie posieren es, sie stehen es, sozusagen, in eingefrorenen Gruppen, sie exekutieren ihre Figuren, indem sie sie zelebrieren in einer Art von Endlosschleife. Es könnte einer sich mühelos ein Viertelstündchen die Füße vertreten vor der Tür, und hätte doch nichts von einer Handlung, einer Fabel versäumt: Es gibt sie nicht.

Klapprad, Stetson und Himbeere

Die Dame im blauen Sommerdress kühlt sich die Achseln am Ventilator, spricht wie die Zicke vom Dienst und knipst ein dito Grinsen an, derweil sie hinten Karten spielen, der Doktor kommt mit dem Klapprad und "Tatütata der Doktor ist da", der Freier Bolchinzow kommt mit Stetson und Sporen, Matwej kommt als Himbeere. Manchmal fahren sie gefrorene Gruppenbilder auf der Drehbühne vorbei und nach spätestens einer halben Stunde dreht sich auch die Inszenierung im Kreis. Denn eine ziemlich lange Stunde lang zeigen sie uns, wie blöde die Figuren sind – aber sie erzählen nichts über sie. Kaum eine der Beziehungen, deren Nichterfüllung doch die Essenz des Abends ist, wird hier gespielt, deshalb ist dieses dramaturgisch-satirische Wimmelbild so leer.

Und deshalb kommt im zweiten Teil, eine Pause gibt es nicht, die Liebe wie der Kasper aus der Kiste, in die sie nun miteins wollen. Dann werden die Beziehungen Schlag auf Schlag abgearbeitet, gleichsam das eigentliche Stück im Schnelldurchlauf. Dann spricht Natalija mit Rakitin (der, wie alle jungen Männer, sehr "normal" spielt) über ihre Liebe zu Beljajew (Jonas Schlagowsky, auch er fällt mit seiner "Normalität" aus dem Rahmen), doch Johanna Geißler ist so cool und schnepfig, das ihr nicht einmal eine Sehnsucht bleibt. Ihr Geständnis rattert sie herunter, und wenn Beljajew sie anschreit "Lieben Sie!" dann denken wir: die doch nicht.

Dreitage2 560 CandyWelz uDas Buffopaar mit Hexenschuss: Lutz Salzmann (Spiegelskij) und Dascha Trautwein (Lisaweta) © Candy Welz Dann spricht sie mit Vera, Isabel Tetzner wird mit der Resignation erwachsen, ihr Ja-Wort ist das Schluss-Wort ihres Lebens. Immerhin, eine sehr intensive Szene mit Jonas Schlagowsky, jetzt endlich spielen Schauspieler miteinander. Jetzt macht Lutz Salzmann (Spiegelskij) der Lisaweta einen sehr vergnüglichen, sehr unorthodoxen Antrag mit komischen Grimm, mit Hexenschuss auf dem Rücken zappelnd gesteht er ihr zu, für ihr Alter doch ganz lebendig zu sein, mit lässiger Souveränität nimmt Dascha Trautwein, die vorab ein melancholisches russisches Lied sang, diesen pragmatischen Antrag entgegen – und das, sozusagen, Buffopaar ist das interessante des Abends: Ernsthafte Beziehungen, auch die Versuche dazu, trägt er nicht.

Dreizehn Rollen für zwei Stunden, da bleibt wenig Raum für Schauspieler, von denen Theater doch lebt. Und Juliane Kann hat diese Räume noch weiter verengt.

 

Drei Tage auf dem Land
Von Patrick Marber nach Iwan Turgeniews "Ein Monat auf dem Land"
Regie: Juliane Kann, Bühne: Vinzenz Hegemann, Kostüme: Josephin Thomas, Musik: Daniel Freitag, Dramaturgie: Carsten Weber.
Mit: Sebastian Nakajew, Johanna Geißler, Kolja Horenburg /Tim Uhlich, Isabel Tetzner,Elke Wieditz, Dascha Trautwein, Bastian Heidenreich ,Christoph Heckel, Jonas Schlagowsky, Lutz Salzmann, Bernd Lange, Thomas Kramer, Rosa Falkenhagen.
Premiere am 30. Mai 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

 

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