Lange Nacht der Autoren - Deutsches Theater Berlin
Risse in der Welt
von Michael Laages
Berlin, 8. Juni 2019. Fair ist das nicht, und auch nicht produktiv: den Ist-Zustand von heute zu messen an vergoldeter Erinnerung, die mittlerweile ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat. Wer so vergleicht, tappt stets in die eigene Falle. Und doch, nur hier und heute und jetzt: Mit der Erinnerung an "Autorentheatertage", wie sie das Team um den Theatermacher Ulrich Khuon vor 25 Jahren am hannoverschen Schauspielhaus in die Erfolgsspur gesetzt hatte, hat die jüngste Ausgabe des verdienstvollen Festivals nurmehr ein paar strukturelle Grundvereinbarungen gemein: dass eine Jury eingesandte Theatertexte liest und drei (oder auch mal vier) davon für das Finale eines Festivals auswählt, das ansonsten prallvoll ist mit herausragenden Neuigkeiten von anderen Bühnen.
Das war in Hannover und danach am Thalia Theater in Hamburg so; das hat sich bis vor kurzem auch am Deutschen Theater in Berlin nie grundsätzlich geändert. In den jüngeren Ausgaben des Festivals setzten die "Autorentheatertage" aber auf Professionalisierung und Kooperation – vielleicht reibt sich das jüngste Neue-Stücke-Treffen deshalb so ungut an den Perlen der Erinnerung.
Der Werkstattcharakter ist weg
So ist "Ruhig Blut", das Stück von Eleonore Khuen-Belasi, eine fertig gearbeitete Produktion vom Schauspielhaus in Graz, die im Oktober die kommende Spielzeit am Haus der Intendantin Iris Laufenberg mit eröffnen wird. Und "Entschuldigung", der Text der nicht mehr ganz neu zu entdeckenden Dramatikerin Lisa Danulat, stand Ende Mai am Schlusspunkt der Intendanz von Peter Kastenmüller am Theater Neumarkt in Zürich. Selbst das Highlight des Abschluss-Abends, Svaelena Kutschkes brillante Sozialstudie mit dem elend langen Titel "Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden", ist als Eigenproduktion deutlich auf haltbaren Einsatz im DT-Spielplan der kommenden Spielzeit angelegt.
Katrin Klein und Helmut Moshammer im Erzähltheaterabend "Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden" von Svealena Kutschke © Arno Declair
Allerletztmalig zur Erinnerung – bis vor nicht sehr langer Zeit bestand der sehr spezielle Reiz der Werkschau junger Autorinnen und Autoren gerade darin, dass Regisseurinnen und Regisseure, oft ähnlich jung wie die schreibenden Entdeckungen, sich wenige Tage nur mit den Texten beschäftigen konnten und tatsächlich Werkstatt-Atmosphäre das Theater durchzog. Davon ist überhaupt nichts mehr zu spüren, jedenfalls nicht auf der Bühne; sicher noch beim "Leseparcours", der innerhalb der Autorentheatertage drei weitere Autorinnen ins Rampenlicht schob: Svenja Viola Bungarten, Caren Jeß und Nele Stuhler.
Autoren (Männer also) gab's nicht in der Kür der Jury. In der war ja auch keiner: Journalistin Esther Boldt, Theaterfrau Steffi Kühnert und Filmemacherin Valeska Griesebach hatten aus 113 eingereichten Stücken "Autorinnentheatertage" vorsortiert. Immerhin gingen aber damit nicht nur Frauen-Geschichten an den Start.
Verfallende Gewissheiten bei Eleonore Khuen-Belasi
"Ruhig Blut", von Clara Weyde fürs Grazer Schauspielhaus inszeniert, bricht sogar recht deutlich die rein feminine Besetzung – nicht die drei Frauen aus Khuen-Belasis Text sitzen bei ihr an irgendeinem Gehsteig und schauen zu, wie sich Risse im Asphalt bilden, das heißt: wie die Fundamente vertrauter Gesellschaftlichkeit und Zivilisation ins Wanken geraten. Auch Männer dürfen hier Frauen-Perücken tragen und miträsonieren über den Verfall von Zeit und Gewissheit.
Das Ensemble des Schauspielhauses Graz spielt "Ruhig Blut" von Eleonore Khuen-Belasi im Bühnenbild von Thea Hoffmann-Axthelm © Lupi Spuma
Bühnenbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm (schon mehrfach angenehm aufgefallen mit sehr starken, grundsätzlichen Bild-Setzungen, etwa für Stücke von Thomas Köck und Clemens J. Setz!) kreiert dazu ein Rechteck-Geflecht aus kräftigen Seilen, in denen das Spiel-Quartett wie in den Wanten eines Groß-Seglers hinauf und hinab klettern, hängen und sich setzen kann. Die Sprech-Choreographie ist beeindruckend, vor allem, wenn sich der Asphalt persönlich zu Wort meldet: rissig, grob, aggressiv, umstürzlerisch. Die Inszenierung ist womöglich sogar stärker als der Text.
Lisa Danulats "Entschuldigung" zersplittert und gespiegelt
Der Regisseur Peter Kastenmüller, noch Intendant am Züricher Neumarkt, mag für Lisa Danulats "Entschuldigung" Ähnliches erhofft haben. Vor allem die Bühne von Alexander Wolf fährt ganz viel märchenhaftes Wunderwerk auf: gesplitterte Spiegel wie Nebel im Wald, Wohn- und Küchenmobiliar wie auf einer illegalen Müllhalde, wo sich am Lagerfeuer aber auch Fuchs und Murmeltier "Guten Abend" sagen. Der Dachs hockt oben in der Rang-Loge und schaut zu.
Martin Butzke, Sarah Sandeh und Marie Bonne vom Theater Neumarkt in Zürich spielen Lisa Danulats "Entschuldigung" © Judith Schlosser
Diese Bühne liefert aber leider auch die einzige zusammenhangstiftende Energie. Danulat erzählt in ihrem Stück zwei Geschichten (mindestens zwei), die nur mit sehr viel Publikums-Wohlwollen zusammenpassen wollen: Eine junge Frau mit Rucksack soll in Schweden, nicht weit vom Mälar-See, jemanden ermordet haben, wohl den neuen Freund einer Ex-Geliebten, die als eine Art Chronistin mit im Spiel ist; eine andere müht sich irgendwo am oberen Rhein ab mit einer suizidalen Mama, die wohl einfach nicht mehr will. Die Fabel-Teile trotten nebeneinander her und finden nicht zusammen. Und auch die Inszenierung bleibt letztlich überfordert mit dem Text.
Pankower Hinterhofgeschichten bei Svealena Kutschke
Bei Svealena Kutschke aber passt endlich alles. "Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden" ist weit weniger kryptisch als der Titel befürchten lässt. Die Autorin erzählt grob und klar Pankower Hinterhofgeschichten: von der jungen türkischen Pflegerin aus der Psychiatrie, die nicht mehr leiden mag und zurückschlägt, und von deren junger Geliebter, die ein scheiterndes Leben im Spätverkauf zubringt; vom stets betrunkenen Ex-Polizisten, den die traumatische Erinnerung an die Selbstverbrennung eines zur Abschiebung anstehenden Geflüchteten in immer neuen Suff, in Verzweiflung und Gewalt treibt; vom deutsch-arabischen Ehepaar schließlich, getrennt in beiden Hinterhof-Flügeln lebend, er Anwalt, sie depressiv und das Muster eines "Gutmenschen", der hilft und getäuscht wird. Im Zentrum steht ein junger Geflüchteter, durch den alle in die Eskalation geraten, ohne dass er je auftritt.
Maike Knirsch und Lorena Handschin vom Deutschen Theater Berlin in "Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden" von Svealena Kutschke © Arno Declair
Dieses bürgerliche Pandämonium bringt András Dömötör uns extrem nahe – wir sitzen im Kreis um einen großen Teppich herum, die grandios aufregenden Schauspielerinnen und Schauspieler unter und neben uns. So wird unser aller Fall verhandelt. Wer sich nie einmischt, ist gemeint. In dieser Konstellation fragt bald auch niemand mehr, wie "szenisch" der Text eigentlich ist – wo doch alle immer nur von sich und über andere reden; nie miteinander.
Szenerien für Kutschkes Text werden nicht benötigt – wir tragen sie im Kopf mit uns herum. Säßen wir öfter so zusammen, jeder und jede im Gegenüber mit dem anderen, wir wären vielleicht weniger besessen von den Traumata im deutschen Hinterhof. Toller Text, grandiose Inszenierung – daran werden wir uns erinnern.
Lange Nacht der Autoren
Autorentheatertage 2019 am Deutschen Theater Berlin
Ruhig Blut
von Eleonore Khuen-Belasi
Regie: Clara Weyde, Bühne: Thea Hoffmann-Axthelm, Kostüme: Clemens Leander, Musik: Thomas Leboeg, Dramaturgie: Jan Stephan Schmieding.
Mit: Henriette Blumenau, Julia Gräfner, Florian Köhler, Nico Link, Anna Szandtner.
www.schauspielhaus-graz.com
Entschuldigung
von Lisa Danulat
Regie: Peter Kastenmüller, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Kathi Maurer, Musik: Lars Wittershagen, Dramaturgie: Ralf Fiedler.
Mit: Marie Bonnet; Hanna Eichel, Sarah Sandeh, Martin Butzke.
www.theaterneumarkt.ch
Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden
von Svealena Kutschke
Regie: András Dömötör, Bühne und Kostüme: Sigi Colpe, Musik: Tamás Matkó, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Lorena Handschin, Katrin Klein, Maike Knirsch, Helmut Moshammer, Jörg Pose.
www.deutschestheater.de
Das Highlight der "Langen Nacht" ist für Fabian Wallmeier von rbb 24 (9.6.2019) Svealena Kutschkes Werk in der Uraufführung von András Dömötör. Der "Text ist der klarste und bestgebaute der Langen Nacht der Autorinnen – er hat nur ein kleines Manko: Man merkt ihm an, dass seine Verfasserin das komprimierte Schreiben nicht gewohnt ist." Mit der "Dichte an Themen und Motiven“ habe Kutschke es "etwas übertrieben". Clara Weyde wird für ihre Grazer Regie bei "Ruhig Blut" gelobt, der Text von Eleonore Khuen-Belasi aber "mäandert" bei "aller Kunstangestrengtheit" in den Augen des Kritikers "seltsam konturlos umher". Lisa Danulats "Entschuldigung" wiederum "funktioniert auf dem Papier ganz gut"; Peter Kastenmüllers Regie biete dafür aber nur "fade Witzischkeit" auf.
Vervielfacht sieht Christine Wahl vom Tagesspiegel (11.6.2019) in Peter Kastenmüllers Inszenierung, was der Text von Lisa Danulat praktiziere – "sich ostentativ verrätselt" zu geben. "Die Engführung zweier Lebensgeschichten bleibt pure Oberfläche, die Schuld-Thematik Behauptung, der collagehafte Stil Relevanz-Lifting." In Eleonore Khuen-Belasis "ruhig blut" werde "intendiertermaßen abendfüllend auf Metaebenen ausgerutscht", bis der personifizierte Asphalt seinen Objektstatus satt habe und sich selbst zu Wort melde: "'Wo ist mein Narrativ?' Berechtigte Frage." Geradezu minimalistisch sei hingegen der dritte Beitrag zur "Langen Nacht", so Wahl. Nun habe Svealena Kutschkes Text von den drei vorgestellten zwar potenziell am meisten zu sagen, so Wahl, komme aber "leider auch nicht abendfüllend über Stereotype" hinaus.
"Drei Stücke von Frauen – und in keinem geht es um Sexismus", wird der Text von Anna Fastabend für die Süddeutschen Zeitung (11.6.2019) anmoderiert. Viele von Svealena Kutschkes poetischen Formulierungen – "an manchen Stellen so brutal wie ein Schlag in die Magenkuhle, an anderen zart wie ein Sommerregen" – passten besser in einen Roman als auf die Bühne, schreibt die Kritikerin, "etliche Passagen sind so artifiziell und verrätselt, dass sie unverstanden an einem vorbeirauschen". Eleonore Khuen-Belasis "Ruhig Blut" sei "eine schreiend komische Allegorie auf Wutbürger, die sich zu intoleranten Weltverbesserern aufschwingen", für die Clara Weyde und ihr Team eine "wunderbare Bühnenentsprechung" gefunden hätten. Erstaunlich findet Fastabend, wie Lisa Danulat zwei unterschiedliche Schicksale miteinander verschränke, "bis man versteht, dass es zwischen den Frauen mehr Gemeinsamkeiten gibt, als man denkt". In der Regie von Peter Kastenmüller werde Danulats Text "zu einem surrealen Märchentrip – und zur besten Inszenierung des Abends".
"Wird die Welt besser, wenn drei Frauen drei Stücke von drei Frauen für eine Veranstaltung auswählen?", fragt sich Irene Bazinger in der FAZ (11.6.2019). Und verneint: Denn die Jurorinnen hätten "interessante, reflektiert gebaute und vehement über den eigenen Bauchnabel hinausblickende Texte" ausgewählt, die allerdings "von einer seltsam theaterverweigernden Haltung geprägt" seien. In Svealena Kutschkes Stück etwa schienen die Figuren wenig voneinander zu wissen, stattdessen werde viel gemutmaßt und spekuliert. András Dömötör blättere in seiner Inszenierung dazu "eine multiple Betroffenheitsanthologie in Form von inneren Monologen" auf. Lisa Danulats "raffiniert sprunghafte(n) Collage" wiederum sei ohne Vorinformation kaum zu verstehen, allerdings entfalte das "versponnen-verkopfte" Stück in der regietheaterhaft zupackenden Inszenierung von Peter Kastenmüller "eine verblüffend eloquente Bildkraft". Und "das formal abgehobenste, erzählerisch verschwurbelste Stück", von Eleonore Khuen-Belasi, werde in Clara Weydes Regie "zu einer mitreißend amüsanten Katastrophenphantasie". Hier gelinge die im Stück zitierte "Formel des Glücks", so Bazinger: "von Frauen, aber nicht nur für Frauen".
"Sollen diese Stücke, die beim Finale der Autorentheatertage (ATT) uraufgeführt wurden, wirklich die beste Ausbeute gewesen sein aus einem 113 Einsendungen dicken Wettbewerbs-Stapel? Ein Stück, das sich in diskursivem Geraune über die zerbröckelnde Welt erschöpft, ein zweites, das höchst ungefähre Parallelen zweier bedrohter Frauenbiografien in einer Collage verschnipselt, und ein drittes, das aus den Monologen gar nicht herauskommt und dem alles Szenische, Dialogische abgeht?" fragt Barbara Behrendt in der taz (12.6.2019) und holt aus zu einem Rundumschlag zur Situation der zeitgenössischen Dramatik.
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danke für Ihre Kritik. Aber was, so frage ich mich, sind "nur Frauen-Geschichten"? Sie schreiben:
"Immerhin gingen aber damit nicht nur Frauen-Geschichten an den Start." Für Aufkärung wäre ich dankbar.
Beste Grüße: Esther Boldt
Ist die Lange Nacht der Autorinnen ein Schaufenster für neue Stimmen, ist auch dessen Eindruck ein zwiespältiger. Das hängt auch mit dem geänderten Format zu tun: Stellte es früher neue Texte in kurzfristig eingerichteten Werkstattinszenierungen in den Mittelpunkt, kommen jetzt fertige Regiearbeiten zum Einsatz, welche die Rolle des Textes naturgemäß reduzieren, auch wenn sie jungen Autor*innen zu prestigeträchtigen Uraufführungen verhelfen. Wohin das führen kann, zeigte sich im Vorjahr im Eklat um die seltsame Idee, ausgerechnet Sebastian Hartmann eine solche Uraufführung anzutragen. Dass zwei der drei renommierten Häuser, die bislang diese Arbeiten koproduzierten, das Wiener Burgtheater und das Zürcher Schauspielhaus, sich jetzt zurückgezogen haben und durch Häuser, die eher der „zweiten Reihe“ zugeordnet werden, ersetzt wurden, tut ein übriges, die düstere Stimmung in der „neuen Dramatik“ wenig aufzuhellen.
Dabei ist der vollständig weiblichen Jury, der neben Kühnert, Filmregisseurin Valeska Grisebach und Journalistin Esther Boldt angehörten, trotz mancher Bedenken ein durchaus interessanter Jahrgang, bestehend aus Werken ausschließlich weiblicher Autorinnen, gelungen. Wobei es gerade die monologischste Arbeit ist die den stärksten Eindruck macht: Svealena Kutschers Stück zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden.
Kompletter Beitrag: stagescreen.wordpress.com/2019/06/09/risse-im-netz/
Zu den drei Stücken:
Lob für die spielfreudige, auf Beckett und aktuelle Politdiskurse anspielende Grazer Inszenierung "Ruhig Blut" von Clara Weyde. Hier hat Michael Laages zurecht das tolle Bühnenbild von Thea Hoffmann-Axthelm hervorgehoben, Fabian Wallmeier hat zurecht auf das beeindruckende, körperbetonte Spiel von Julia Gräfner als "Asphalt" hingewiesen.
Enttäuschend war die Inszenierung aus Zürich. Das Ineinanderfließen von zwei Biographien mag auf dem Papier gut gedacht sein, funktionierte auf der Bühne unter Peter Kastenmüllers Regie aber überhaupt nicht. Eine Qual beim Zuschauen.
Svealena Kutschke schrieb, wie hier schon mehrfach festgestellt, einen starken Text über die Ressentiments gegen Minderheiten in einem Pankower Mietshaus. Den präzisen Beschreibungen in den langen Monologen ihres Theater-Debüts ist deutlich anzumerken, dass sie bisher Romane schrieb. Die szenische Umsetzung von András Dömötör als minimalistischer Stuhlkreis fand ich im Gegensatz zu den bisherigen Stimmen zu holprig und karg. Der starke Text wirkt dennoch.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2019/06/09/lange-nacht-der-autorinnen-2019-deutsches-theater-kritik/
Einschließlich der Veröffentlichung in Form von Inszenierung.
Wenn das der Fall ist, schlägt das früher oder später bis in die Attraktivität des zeitgenössischen Sprech-Theaters zurück. Gestern war jetzt ist später. D. h. bereits vor drei oder vier Jahren...
Die Textflächen-Mode geht auf den Erfolg von Jelinek und Müller zurück. Bei beiden war das keine Mode, sondern willensstark über Literatur durchgesetzte, originär neue Dramaturgie der politisch relevanten Repräsentation von Zeitzeugenschaft. Diese Textflächen haben das Regietheater gestärkt und zur Blüte getrieben, die Regie herausgefordert zur Semi-Autorschaft. Dabei Ensemble-Zusammenspiel und die Souveränität der schauspielerischen Kreativität zurückgedrängt. Sie haben dazu geführt, dass das Performative in der Schauspielkunst - die MODERATION durch die Ebenen der gebrochenen Erzählung als Acting - mit dem Kulminationspunkt Pollesch - heute beinahe als die "bessere" Schauspielkunst existiert. Neben der die differenzierte DARSTELLUNG von Figuren und Siuationen, in denen sie sich befinden als Aufgabe der klassischen Schauspielkunst in Ermangelung zeitgenösisch relevanter, literarischer Spielvorlagen, die KEINE Textflächen sind, mit zunehmender Arroganz zurückgedrängt wird...
Das Problem, das für die Dramatik in den zurückliegenden Jahren nicht gesehen wurde, ist, dass ihr durch Werkstatt-Inszenierungen in Festival-Konkurrenz oder durch öffentliche Szenische Lesungen nicht geholfen werden kann. Dadurch kann nur Regie-BeginnerInnen geholfen werden, AutorInnen monitär eventuell vorrübergehend und der Dramatik wie Schauspielkunst gar nicht. Je besser die neue Dramatik ist, je weniger kann ihr dadurch geholfen werden.
Es gilt aber sehr vermutlich auch für die ATT, was im Theater immer und für alles gilt: Es geht einfach n i c h t s über das Probieren. Insofern haben sie der deutschsprachigen Dramatik vielleicht doch helfen können. Man weiß im Moment vielleicht nur nicht genau wie.