Das fluffige Gefühl, das man die Liebe nennt

von Anne Peter 

Berlin, 12. Mai 2007. Auch das Theatertreffen bleibt nicht vom Knut-Effekt verschont. Was noch nicht abzusehen war, als die Bühnenarbeiter in ihren schwarzen T-Shirts während des Einlasses zu Jan Bosses Burgtheater-Version der Shakespeare-Klamotte "Viel Lärm um nichts" seelenruhig um das quietschweiße Rundgehege herumstaubsaugten.

Doch dann tauchte etwas ganz und gar Niedliches auf, in das wir uns kollektiv verknallten, ohne zu wissen, wie uns eigentlich geschah. Erst hörte man ein Tapsen, aber zunächst wurden – rumms –, drei Särge auf die Bühne geknallt. Die Herren kommen schließlich aus dem Krieg: der Prinz, Held Claudio und Spaßvogel Benedict. Doch weder Untote noch Traumatisierte entsteigen den Totenboxen, sondern Witzbolde der vulgären Sorte, schmierige Möchtegern-Kerle mit zu viel Testosteron, die keine Schlachten geschlagen, sondern höchstens geprügelt haben. Die nicht vorhandene Heldentat will jetzt in Ballermann-Manier begossen werden.

Blond und blöde – einfach süß!
Nicholas Ofczareks Prinz, Typ Kneipenkönig mit Wampe, spuckt Hausherr Leonato (Martin Reinke) zur Begrüßung ins Gesicht, während Tochter Hero (Dorothee Hartinger) als Paris-Hilton-Verschnitt im Hintergrund schon lasziv-naiv die Glieder zum Willkommensgruß räkelt. Blond und blöde, aber so süß im kurzen Röckchen, dass Claudio (Christian Nickel) gar nicht umhin kann, schnurstracks ihre Hand zu ersehnen. Auch ohne Grund und Gemeinsamkeiten verliebt es sich eben immer noch vortrefflich. Zumal in reiche Alleinerbinnen mit Püppchen-Aura.

Aber was ist diese blasse Schmacht im Vergleich zu der Wucht, mit der Christiane von Poelnitz und Joachim Meyerhoff als komisches Alternativ-Paar Benedikt und Beatrice wortreich übereinanderherfallen! Er phantasiert als prolliger Unattraktivling mit Flatterhaar, Baggy-Pants und unvermeidlichem Goldkettchen von der nicht-existenten Traumfrau – Anforderungen unter anderem: fünf Sprachen, absolutes Gehör, guter Orientierungssinn –, die ihm dabei unbemerkt zum Sportwagen mutiert: Lackierung, äh, Haarfarbe relativ flexibel. Daneben protzt er frischmütig gegen das "Fräulein Zimt-Zicke Verachtung" an, das mit bitterböser Brillanz trocken und zielgenau aus ihrem sexy Röhrendress zurückschießt. Etwa Sätze wie diesen: "Viel ist schon gewonnen, wenn ein Mann den Raum verlässt." Der Saal wiehert. Es gilt: Lieber leidenschaftlich hassen als sich gar nichts an den Kopf werfen. Als Hero kein Wort rausbringt, rät Kusine Beatrice: "Sag etwas! Oder stopf ihm, wenn dir nichts einfällt, den Mund mit einem Kuss." Gesagt, geküsst, und schon ist die Sache geritzt. Morgen wird geheiratet.

Und wenn schon alles hohl ist, soll's wenigstens romantisch aussehen. Ein paar Plastikpalmen, eine Fuhre Sand und blau bewölkter Himmel auf Kunstregen-Wand – fertig ist das Kitsch-Paradies. Mit dem Herbeiurlauben der Zweisamkeit klappt es dennoch nicht. Die Trauung wird nicht nur vom Special Effect überrauscht, sondern geht dank der Verleumdungskampagne des Don John (fiesgrämig: Jörg Ratjen) ohnehin den Bach runter. Das, was man so leichtfertig Liebe nennt, verpufft mal eben schnell ins Nichts.

Glücklich endendes Knutschfinale
Benedict und Beatrice hingegen überfällt die Liebe in Form einer Intrige, die den uralten Mechanismus des Ich-will-dich-nur-wenn-du-mich-willst vergnüglich vorführt. Und doch hat man das Gefühl, hier sei mehr Wahrhaftigkeit, als in dem abgeguckten Geturtel der anderen. Denn während das Gefühl dort leere Behauptung bleibt, bricht es sich hier körperlich-unvermeidbar Bahn: Benedict krümmt sich vor Liebe und Trieb, wobei die Lenden unaufhaltsam der geliebten Frau entgegenstreben. Die Leidenschaft hat ihm die Haare geflufft, während sie Beatrice befällt wie eine Verstopfung: peinlich und schmerzhaft. In Zuckungen geraten ihr die eigenen Gliedmaßen außer Kontrolle.

Von Poelnitz zeigt nicht nur die scharfzüngige Single-Frau und Männer-Verachterin, sondern auch eine Frau, die sich ständig im Kampf gegen ihr eigenes Gefühl befindet, dem sie sich wider besseren Wissens ausgesetzt sieht: Denn die Ehe führt doch nur "im Schweinsgalopp direkt in die Katastrophe". Durch virtuoses Spiel mit den verschiedenen Tonlagen und beständiges Kippen derselben von einem auf den anderen Moment, weiß sie ihrer Beatrice eine Brüchigkeit zu verleihen, die diese Figur zur interessantesten des Abends macht.

Doch auch über die liebestrunkenen Verrenkungen, die diese beiden quälen, dürfen wir natürlich herzlich lachen. Nirgends macht Bosse wirklich ernst. Er lässt den Schauspielern ihre Ideen, ihren Furor, ihre Rampe. Von der Dunkelheit, die in allen Shakespeare-Komödien nistet, tritt fast nichts hervor. So lacht es sich wunderbar von einer Pointe zur nächsten in diesem Riesenspaß, den grandiose Schauspieler mit uns treiben. Am Ende beklatschen, nein, bejubeln wir, was wir partout nicht missen möchten: das glücklich endende Knutschfinale dieser zwei unperfekten Paare und hoffen dabei inständig, dass uns der Glaube an dieses eine große Gefühl doch bitte, trotz allen Theaters, nie verlassen möge.

Anne Peter ist derzeit Redaktionsmitglied der Festivalzeitung des Theatertreffens.

 

Viel Lärm um Nichts
von William Shakespeare
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath.
Mit: Joachim Meyerhoff, Christian Nickel, Christiane von Poelnitz, Dorothee Hartinger, Nicholas Ofczarek, Martin Reinke, Jörg Ratjen.

www.burgtheater.at

Kommentare  
Viel Lärm 1
Genau, alles hohl hohl hohl. Aber hübsch. Bunt knallig und hübsch. Und was ist das alles dann? Ein Lutschbonbon. Und das gehört zu den besten Inszenierungen des Jahres? Seltsam seltsam.
Viel Lärm 2
Die politische Ökonomie ist die vollkommene Verneinung des Menschen. So sieht das Theater aus, das diese Verneinung nachvollzieht.
Viel Lärm 3
Toller Text! So was will man doch lesen: intelligent, leidenschaftlich, auch lustig. Ich hab' die Inszenierung nicht gesehen, aber ich kann mir vorstellen wie's war. Und ich würde sie gern sehen, auch wenn sie vielleicht nicht die große Bedeutung bringt. Danke!
Viel Lärm 4
Virtuos und leer.
Man sieht Akteure, die pointengeil an der Rampe wetteifern. Es hätte auch eine RTL-Show sein können, wären nicht die Texte zu gut. Ich mußte nach der Vorstellung nicht eine Sekunde über diese Inszenierung nachdenken. Ist das jetzt so im Theater?
Viel Lärm 5
Mit Verlaub, ob man nachdenken muss oder nicht im Theater, liegt doch immer auch ein bißchen am jeweiligen Zuschauer... Dass, allgemein gesprochen, eine Inzenierung das Publikum zu mehr oder weniger tiefsinnigen Gedanken oder zu Diskussionen anregt oder nicht, steht natürlich außer Zweifel, ist fast schon ein Gemeinplatz und sagt dennoch auch etwas über ihre Qualität aus. Aber wenn Sie der "Viel Lärm"-(!) Aufführung eine RTL-Ästhetik unterstellen, ist das vielleicht gar kein bloßes Mißgeschick - und schon der erste Ansatz zu einer fruchtbringenden Auseinandersetzung? Wer weiß!
Viel Lärm 6
Man könnte z.B. sagen, dass die Inszenierung neben dem großen Vergnügen, das sie bereitet, sehr heutige Beziehungsmodelle verhandelt, an deren Herausbildung nicht nur Shakespeare, sondern eben auch RTL & Co. mitgewirkt haben.
Viel Lärm 7
Die RTL-Ästhetik hätte in der Tat ein Ansatz sein können. Denn die aus dem Krieg heimkehrenden Männer treten ja in eine Welt der Muße ein, mit der sie nur offenbar nichts anzufangen wissen, also machen sie auf RTL. Bloß: Bosse entwickelt daraus nichts, er begnügt sich mit der bloßen Reproduktion des RTL-Gagniveaus. Und diese Gags sind halt leider auch nicht wirklich vergnüglich, weil sie nichts aufdecken, nichts aus ihnen folgt. Es war also letzlich genauso langweilig wie eine beliebige TV-Comedy. Und TV-Comedys sind langweilig.
Viel Lärm 8
Ich habe den Abend, die vielen Gags sehr genossen, konnte mich aber bereits am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern.Schon während der Aufführung bedauerte ich, dass das dunkle Element, das Shakespeare durch den Verrat in die Komödie bringt, vollkommen untergeht in zu vielen Witzen, zu großer Oberflächlichkeit, da hilft auch das sehr gute Weinen der weiblichen Hauptfigur nicht. Aber vielleicht reicht es auch, vergnügliche Stunden verbracht zu haben, aber irgendwie ist die Erinnerung an den Abend schal, ein bisschen, als hätte ich letztendlich doch zu billigen Wein getrunken.
Viel Lärm 9
Habe das Stück vor einiger Zeit in Wien gesehen und es deshalb nicht mehr punktgenau vor Augen, aber mit dem angeblichen Tod von Hero ist für mich der Ernst eingekehrt in Bosses Inszenierung, da fand ein Temperaturwechsel statt, kehrte eben der Tod ein, die Sterblichkeit, und dann ging es plötzlich um etwas - so kann ich die Unwesentlichkeitserklärungen nicht gänzlich verstehen.
Viel Lärm 10
Raoul G.,
Warum kann eine Inszenierung nicht auch einmal "überladen" sein mit "Gags"? Die Basel-Dido war halt überladen mit kunstvollen Stück-Musik-Melangen. Beeindruckend, aber irgendwann dann auch langweilig bzw. mehr zu- als aufdeckend aufgrund statischer, perfektionierter Kunst- und Aufführungstechniken... Die Weimarer Krankheit war halt überladen mit Dauer- bzw. Extrememotionalität. Starke, sich aufzehrende Darsteller. Aber aufdeckend? Über den HH-Tartuffe schreibe ich besser ein anderes Mal.
Ist es nicht aufdeckend, dass gerade eine Komödie die ausgiebigsten und prägnantesten Stellungnahmen in der Nachtkritik auslöst?
Viel Lärm 11
Ulf S., ja, stimmt, die Basel-Dido war auch nicht gerade aufdeckend. Tartuffe ist da eine andere Nummer, sicherlich aber auch nicht ganz unproblematisch (da wird sozusagen mit dem Holzhammer aufgedeckt). Dass aber die Anzahl der Stellungnahmen in proprotionalem Verhältnis zur "aufdeckenden" Qualität einer Inszenierung steht, würde ich bestreiten.
Theater-Modernisierungen (Beitrag von Schülern)
Wir haben dieses Theaterstück im Leistungskurs Englisch gesehen und fanden es durchweg fragwürdig bis unter aller "Kanone". Da sagt uns als jungen Schüler doch mehr der Film von Kenneth Branagh zu, der alles "traditionell inszenierte". Wir jungen Menschen fragen uns manchmal, warum wir überhaupt ins Theater gehen sollen, wenn da nur so hochmoderne Stücke gezeigt werden, die nicht "traditionell" aufgeführt werden und irgendwie auf niedrigstem Niveau spielen. Wir als Schüler wünschen uns sicherlich mehr alte Stücke großer Dichter - mit schönen Kleidern, Originaldialogen - manchmal reicht es, mal einen Schritt zurück zu gehen, zurück zu den Wurzeln des anspruchsvollen, weniger modern inszenierten Theaters, um auch junge Menschen zu erreichen.Anstatt immer einen auf "modern" zu machen, in der Hoffnung, man spricht irgendwelche jungen Menschen an, sollte man sich fragen: wollen wir tatsächlich so an große Literatur herangeführt werden? Meist ist die Antwort: nein.
Wir fühlten uns eher belästigt von der Inszenierung des Wiener Burgtheaters und haben uns an manchen Stellen "fremd geschämt". Nachdem wir das Originalwerk von Shakespeare gelesen haben, waren wir irgendwie enttäuscht und verwirrt....wir würden nicht mehr ins Theater gehen, wenn nur noch solch "moderne" Inszenierungen kommen...Auch wenn Sie uns jetzt vorwerfen mögen, wir hätten das vielleicht nicht verstanden, muss man sagen: nach eingehender Analyse des Stückes glauben wir schon, dass sich Shakespeare was anderes vorgestellt hat als solche Art von Inszenierungen...Wer es mag, soll es weiterhin gut finden, wir jungen Schüler finden es jedoch überhaupt nicht ansprechend.
Zur Schülermeinung 1
Himmel! Offensichtlich glauben die betreffenden Schüler immernoch, es gäbe so etwas wie eine "klassische" Art zu inszenieren. Wahrscheinlich hat ihnen ihre Lehrerin erzählt, dass es da so ein Büchlein gibt, wo alle Kostüme, Gänge, Blicke, Berührungen, Farbtone und alle möglichen (d.h. richtigen) Tonfärbungen der Schauspielerstimmen aufgezeichnet sind. In dieses Muster-Büchlein muss der niveauvolle Regisseur von Heute dann nur einfach reinschauen und alle Deutsch-Lehrerinnen der Welt jauchzen vor entzücken. Vielleicht sollte man diese Inszenierung einfach mal zum Anlaß nehmen, seine eigenen Clischees zu untersuchen.
Zur Schülermeinung 2
Problem ist doch: Wenn Theater besonders jugendlich und unkonventionell sein will, sieht's oft aus wie VIVA für ganz Arme, und das merken die Schüler, da brauchen sie nicht mal eine Lehrerin (wieso nur LehrerIN? Total frauenfeindlich, ey)
Zur Schülermeinung 3
Gut, dass sich dieses allgemeine Phänomen einer verblüffenden Konventionalität bei jungen Zuschauern mal in einer Äußerung niederschlägt und somit zur Diskussion steht. Hier prallen nämlich wirklich zwei Welten aufeinander, die wohl gar nicht anders können. Denn in den lobenden Worten für Branaghs Film zeigt sich doch eine Haltung, die bei ein bisschen Mitdenkbereitschaft kaum verwundert: Offenbar fühlen sich Heranwachsende (altbackenes Wort, aber so isses nun mal) angesprochen von einem schlau gemachten Film, der zeigt, dass gut aussehende Menschen im Kino auch mal Dialoge aus mehreren Sätzen sprechen können, dabei auch noch witzig sind und Probleme haben, die sich letztlich aber doch lösen. Das mag dem erfahrenen Theatergänger nur illusionistisches Unterhaltungs-Handwerk sein - aber der theatrale Spaß am Spiel und am Bruch mit Konventionen eröffnet sich doch erst jenen Zuschauern, die feste Konventionsbegriffe haben und sich gerne an ihnen abarbeiten. Den schreibenden Schülern hingegen ist wahrscheinlich nicht einmal bewusst, wie sehr sie sich in einer richtig stockkonventionellen Aufführung langweilen würden.
Zur Schüler??meinung 4
Wenn es nicht etwas zu unwahrscheinlich wäre, müsste man denken, dieser sogenannte "Beitrag von Schülern" ist ein Anschlag der "Titanic" auf Nachtkritik. Die Formulierungen sind aufs geradezu Aberwitzigste hölzern: "uns als jungen Schülern", "wir jungen Menschen", "wir würden nicht mehr ins Theater gehen, wenn" ... Da würde man doch gerne wissen, wie die lieben jungen Leute diesen Text gemeinsam entworfen haben: "Hey, schreib' mal rein, dass wir echt jung sind. Und alle total einer Meinung: Weil, wir sind die Jugend, und wir sehen alle alles gleich!" Na, vielen Dank, ein solches offensichtlich gefaketes Massen-Statement ist doch NULL diskussionswürdig.
Schüler 6
Okay, dann halt keine Diskussion. Sondern wieder nur die Feststellung, dass man weiß, wie "die Jugend" ist (bzw. wie sie nicht ist).
Schülerdebatte
Schickt die Schüler ins BE, die andere Hölle...
auch Schülerdebatte
Die Schüler haben völlig recht. Und wenn man sie in das langweilige Peymann'sche BE schickt, werden sie mit Recht genauso reagieren.
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