Schlagt ihre Klingen klein!

von Nikolaus Merck

Rostock, 14. September 2019. Zuerst, kaum ist der Partylärm verstummt – "ein Pferd", rufen sie im Hintergrund, "ein Königreich für ein Pferd", wie? das Ende am Anfang? alles Folgende nur eine Rückblende? – zuerst also schwebt Richard vom Bühnenhimmel herab vor dem Klettergerüst, das Martin Fischer doppelseitig und formatfüllend auf die Bühne des Volkstheaters hat zimmern lassen. Der schwarz-blutige Engel der Geschichte? Oder doch nur der ungeschickte Bruder von Helene Fischer, der sich da mühsam aus dem Fluggeschirr befreit? Am Ende schluckt derselbe Richard eine Giftpille, bevor ihn noch Richmond, wie von Shakespeare vorgesehen, aus dem Leben zum Tode befördert und da ist er der Reichsmarschall Göring, der sich dem Urteil des Nürnberger Gerichts entzieht.

Was wollen wir über Richard noch wissen?

Doch eigentlich ist Richard, der sich zum König von England hochmordet, eh ein Irrtum. Klar, Richie Motherfucker, wie er bei Luk Perceval hieß, als der mit seinen 12-Schlachten-Stunden hierzulande bekannt wurde, ist eine Hauptattraktion des Shakespeare-Kosmos. Ein Groß-Schauspieler-Vehikel wie wenige. Und Bernd Färber macht das in Rostock auch sehr okay. Vom Conferencier und Publikumsunterhalter zum Untergeher entwickelt er seine Figur in jedem Fall unterhaltsam. Sein Richard ist weder groß noch tückisch, auch nicht besonders böse, eher ein König Ubu, ein Versicherungsagent mit Größenwahn – und da liegt in Rostock auch der Irrtum begründet.

Für jede Inszenierung stellt sich jeweils neu die Frage, was will ich mit "Richard III." erzählen: die Attraktion des Bösen, des Heuchlers, des Jokers? Oder will ich dem Hinweis von Stephen Greenblatt, Shakespeare-Experte in Harvard, folgen und untersuchen, wie eigentlich die Zustimmung der Vielen, das Einverständnis mit dem Tyrannen zustande kommt und beschaffen ist.

Richard III. 3 560 Bernd Färber Juschka Spitzer Foto Dorit Gätjen uBlut-Clown auf dem Gipfel: Bernd Färber als Richard III. © Dorit Gätjen

Angelika Zacek in Rostock konzentriert sich einerseits auf Richard als Blut-Clown und Megaheuchler und entdeckt in ihm den "grab her by the pussy"-Trump. Solange ist sie auch ganz bei Greenblatt, der im Programheft mit seiner Richard-Trump-Parallelisierung ausführlich zu Wort kommt. Der eigentlich interessanten Frage jedoch, welchen Anteil nämlich wir, die wir dem Unterhaltungswert von "@realDonaldTrump" genauso frönen wie dem des Mörders Richard, an der Macht des Tyrannen haben, weicht die Regisseurin aus. Stattdessen installiert sie Wunschbilder, in denen sie die Rolle der Frauen aufwertet. Lady Ann (Christina Berger) und Elizabeth, die Witwe des toten Königs Edward (Anna Gesewsky), knuffen und puffen Richard dann schon mal handfest über das Holzweg-Geviert, das Martin Fischer vor seine Kletterwände gesetzt hat. Margaret (Juschka Spitzer) treibt gleich den gesamten Hof mit ihren Verwünschungsflüchen im Viereck vor sich her.

Die Frauen sollten, auch wenn Shakespeare es nur selten hergibt, doch bitt'schön aktiver an ihrem Schicksal mitwirken und sich den "male chauvinism" nicht ewig bieten lassen, versteht man. Blöd nur, dass Zacek für diese Strategie die Ex-Königin Margaret aus einer Killerin, die sie AUCH ist, in eine Art weise Frau verwandelt und vor allem für das zentrale Richard-Problem keine Lösung anbietet. Auch in Rostock bleibt es völlig unerklärlich und unerklärt, wieso Lady Anne sich am Sarg von Richard, dem Mörder ihres Schwiegervaters und ihres Mannes, zur Ehe überreden lässt.

Schachzüge an der Kletterwand

Wenn wir hier gleichsam stillschweigend die Kenntnis des Stücks voraussetzen, liegt das ganz einfach daran, dass wir's nicht schaffen, die dynastischen Verwicklungen und historischen Streitigkeiten des letzten Teils des Rosenkrieg-Tetralogie bündig darzustellen. In Rostock übersetzt das Ensemble diese Undurchdringlichkeit des York-Lancaster-Komplexes in eine behände Kletterpartie. An Martin Fischers Leiterwänden lassen sich nämlich die schlagartig wechselnden Beziehungen zwischen den Figuren in raschen oder gemächlichen, vertikalen oder horizontalen Kraxeleien an der Steilwand veranschaulichen.

Richard III. 1 560 Bernd Färber u.r. Ensemble Foto Dorit Gätjen uTrippel, trappel, trippel zur Macht: Das Ensemble spielt im Bühnenbild von Martin Fischer © Dorit Gätjen

Dabei entstehen auch herrliche komödiantische Momente, etwa wenn die Bürger, die als Volkes Stimme Richards Krönung legitimieren sollen, versuchen, der Zwangsveranstaltung – trippel, trappel, trippel quer über die Kletterwand raus – zu entkommen, mit dem nächsten Schachzug der Richard'schen Machinationen aber – trippel, trappel, trippel quer über die Wand rein – wieder zurück getrieben werden.

Grundsympathische Mahnung

So schnurrt die Inszenierung recht fein, aber auch ein bisserl eintönig ab; Juri Sternburgs Fassung, die heftig rafft (die frühen Morde, das Malvasierfass, die Geisterszene am Ende: gestrichen), ein wenig modernisiert und Buzz Words einsetzt, ist kein großer Wurf, taugt aber durchaus als Maulspeise für die Spielerinnen. John R. Carlson dräut und plingt und klimpert dazu auf Klaviersaiten, Trommel und seiner Elektronik, dass "Richard III." beinahe von Robert Wilson verfasst ward.

Doch die Inszenierung richtet, neben dem Empowerment der Frauenfiguren, noch eine zweite Botschaft an das geneigte Publikum. Was sich in zwei Szenen zuvor leise andeutete, manifestiert sich, wenn Anna Gesewsky am Ende in guter Ost-Tradition die rotblonde Richmond-Perücke abstreift, aus ihrer Rolle heraus tritt und das Publikum direkt adressiert: "Schlagt den Verbrechern ihre Klingen klein, bevor sie uns die Tage wieder bringen, in denen dieses Land im Blut versank." Grundsympathisch ist das, natürlich. Doch es ist schade, dass die Rostocker auf die Schurken fokussieren und nicht ebenso auf uns. Denn schließlich bahnen wir den Verbrechern mit unserer Faszination und unserer Lust an ihren Regelbrüchen erst den Weg.

 

Richard III.
von William Shakespeare
Deutsche Übersetzung und Fassung von Juri Sternburg
Regie: Angelika Zacek, Bühne: Martin Fischer, Kostüme: Lisa-Dorothee Franke, Dramaturgie: Anna Langhoff, Regieassistenz: Susanne Menning.
Mit: Bernd Färber, Mario Lopatta, Lev Semenov, Ulrich K. Müller, Alexander von Säbel, Christina Berger, Anna Gesewsky, Juschka Spitzer, Frank Buchwald, Ulf Perthel. Musiker: John R. Carlson.
Premiere am 14. September 2019
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.volkstheater-rostock.de

 

Kritikenrundschau

"Diabolische Präsenz" bescheinigt Thorsten Czarkowski in der Ostseezeitung (16.9.2019) dem Schauspieler Bernd Färber, der die Titelrolle spielt. Unter den Schauspieler*innen sieht der Kritiker außerdem Christian Berger und Heinrich K. Müller herausragen. Sehr gute Noten erhält auch das Ein-Mann-Orchester von John R. Carlson. Das Bühnenbild wirkt auf den Kritiker zunächst innovativ, dann aber zunehmend wie ein beengendes Korsett für die Inszenierung. Juri Sternburgs Übersetzung findet Czarkowski etwas flapsig. "In der Inszenierung von Angelika Zacek bleibt eines der wichtigsten Elemente präsent: Nämlich die Frage nach der Zivilcourage, wenn das Böse aufsteigt", heißt es in der Kritik.

 

 

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