Heuchelei ist unser System

von Christian Rakow

Potsdam, 20. September 2019. Einmal bedrängt die Mutter des Hauses, Big Mama, ihre Schwiegertochter Margaret mit der in dieser Familie üblichen Unverschämtheit: "Machst du Brick im Bett glücklich?" Und Margaret kontert: "Warum fragst Du nicht, ob er mich glücklich macht?" Da blitzt sie auf, die Zeitenwende, die sich in diesem Stück von Tennessee Williams schon ankündigt.

"Die Katze auf dem heißen Blechdach" aus dem Jahr 1955 (verfilmt mit Liz Taylor und Paul Newman 1958) steckt voller Vorboten auf das, was sich ein Jahrzehnt später bahnbrechen wird: die sexuelle Befreiung, die Frauenbewegung, auch die schwule Emanzipation – und die Relativierung der weißen Gesellschaftsnormen, die man in diesem Familiendrama unter Baumwollplantagen-Besitzern bereits kriseln sieht. Und wie es sich für den Vorabend der großen Umwälzung gehört, sind die Anzeichen flimmernd, andeutungsvoll, vieles ist verdruckst, von Verschwiegenheit überwölbt. Das macht den Reiz und das bisweilen unerträglich Beklemmende dieser Psychostudie aus.

Behutsame, puristische Schauspielerarbeit

Steffi Kühnert tut in ihrer Inszenierung am Hans Otto Theater Potsdam gut daran, diesen Spannungen gelassen nachzuspüren, in aller historischen Distanz. Eine Kommentierung oder gar Überschreibung des Stoffs auf heutige Diskurslagen hin versagt sie sich. Das durfte man erwarten. Die große Bühnenschauspielerin und Darstellerin etwa in Filmen von Andreas Dresden hat sich seit ihrem Regiedebüt mit Die Ratten 2017 in Schwerin einen Ruf erarbeitet: Kühnert steht für behutsame, puristische, von bezwingender Textgenauigkeit und Dialogkunst getragene Schauspielerarbeit.

KatzeBlechdach 2 560 ThomasMJauk uAußenseiterin vor Familienkulisse: Nadine Nollau als Margaret, im Hintergrund Jon-Kaare Koppe, Bettina Riebesel,  Elzemarieke de Vos, Jan Hallmann, David Hörning © Thomas M. Jauk

So gleich am Beginn, wenn Margaret und ihr Mann, der Ex-Footballspieler Brick, das ganze Desaster ihres Ehelebens vor uns ausschütten. Die beiden sind zu Gast im Hause von Bricks Vater, Big Daddy. Es ist sein Geburtstag, voraussichtlich der letzte. Big Daddy leidet an Darmkrebs, aber die Diagnose wird vor ihm verheimlicht, derweil die Kinder hinter seinem Rücken schon wie Geier über dem üppigen Erbe kreisen: der alerte Gooper mit seiner Gattin Mae und fünf Sprösslingen im Schlepptau; und eben Brick, wobei der anders als seine Frau Margaret wenig Interesse an Vaters Vermögen zeigt. Brick hat sich dem Alkohol ergeben, nachdem sein Jugendfreund Skipper verstarb.

Leutselige Todgeweihte

Um diesen Schmerzpunkt geht es im Aufeinandertreffen von Margaret und Brick: ein heftiger Schlagabtausch, aber Kühnert dosiert ihn in feinen Unzen. Stück für Stück bohrt sich Nadine Nollau als Margaret (die Rolle, die einst Liz Taylor spielte) in die Abgründe ihrer Ehe hinein, mit behutsam unterspielter Erotik, fordernd, aber nicht drängelnd, bissig, ohne zynisch zu werden. Das Paar ist kinderlos, vieles spricht dafür, dass Brick sein Schwulsein unterdrückt. Die Männerfreundschaft mit Skipper, die Margaret entzweite, will er als platonisch verstanden wissen.

Hannes Schumacher gibt diesen Brick im weißen Rüschenhemd wie einen geschlagenen Dandy, versehrt, wunderbar wortkarg, wegdämmernd im Alkoholrausch, aber immer wieder mit kleinen scharfen Seitenhieben, die Situationen wie im Blitzlicht grell ausleuchten. Das langsam auf die Eskalation zusteuernde Ehegefecht ist ein früher Höhepunkt dieses Abends. "Skipper ist tot, aber ich lebe. Maggie, die Katze, lebt", sagt Margaret leise, unter Tränen.

KatzeBlechdach 3 560 ThomasMJauk uBig Daddy und Sohn beim Ausprache-Versuch: Jörg Dathe, Hannes Schumacher © Thomas M. Jauk

Anschließend muss Kühnert die Familienaufstellung erzählen und dort wird es darstellerisch uneben. Die Oberhäupter, Jörg Dathe als Big Daddy und Bettina Riebesel als Big Mama, sind reichlich leutselig für Leute, denen der Sensenmann schon über die Schulter lugt. Keine Spur unterschwelliger Krämpfe und wenig Anflug von Lebenszweifel. Man gefällt sich in derben und zum Kichern preisgegebenen Beschimpfungen ("Du Sohn einer Mastsau").

"Schnaps ist der eine Ausweg, Tod der andere."

Um sie herum wuseln die Babyboomer Gooper (Jan Hallmann) und Mae (Elzemarieke de Vos), stets spionierend durch das riesige Panoramafenster der Südstaaten-Villa, die Ausstatter Joachim Hamster Damm stylish andeutet. Mit einer discobeatgesättigten Geburtstagsparty bringt man sich auf Touren. Aber gut wird's eigentlich dort, wo es untertourt ist.

Im Vater-Sohn-Gespräch von Big Daddy und Brick findet der Abend Ende des zweiten Akts noch einmal zu einer schönen Konzentriertheit. Big Daddy will dem Sohn Geständnisse entlocken, ihn mit dem "Ekel vor dir selbst" konfrontieren. Brick leidet, wälzt sich, feuert angetrunken zurück: "Heuchelei ist das System, in dem wir leben. Schnaps ist der eine Ausweg, Tod der andere." Alles ist gesagt. Was folgt, ist ein finaler Akt, der im Geifern und Grapschen nach dem Erbe noch einmal die besagte Heuchelei ausgiebig ausstellt, aber Abstürze und Todesnähe nicht mehr zu fassen kriegt.

Die letzten Worte jedoch, die sind ein wundervoller Nachklang auf den schwebenden ersten Akt, auf das sonderbare Spiel von Anziehung und Abstoßung: "Ich liebe dich wirklich Brick, wirklich", sagt Margaret. Und er: "Wäre schon komisch, wenn's wahr wäre."

 

Die Katze auf dem heißen Blechdach
von Tennessee Williams
Deutsch von Jörn van Dyck
Regie: Steffi Kühnert, Bühne und Kostüm: Joachim Hamster Damm, Dramaturgie: Alexandra Engelmann.
Mit: Nadine Nollau, Hannes Schumacher, Elzemarieke de Vos, Bettina Riebesel, Jörg Dathe, Jon-Kaare Koppe, Jan Hallmann, David Hörning, Elisabeth Bellé/Greta Muthwill, Matilda Leisel Kurtz/Selma Stummer, Simon Beeskow/Caden Jakubowski, Béla Janas/Otis Whigham.
Premiere am 20. September 2019
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.hansottotheater.de

 


Kritikenrundschau

"Regisseurin Steffi Kühnert erzählt den Ablauf des Festes mit seltener Stringenz", schreibt Karim Saab in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (online 22.9.2019). "Im Parkett kommt nie Langeweile auf. Und doch verfehlt sie den atmosphärischen Kern der Geschichte, obwohl Kühnert den Stoff weder aktualisiert noch umdeutet. Tennessee Williams' Sinn für das Unausgesprochene und für Poesie lassen sich mit Glätte und perfekt ausgearbeitetem Aktionismus nicht greifen. Grillengezirpe und Froschgequake aus dem Off reichen nicht, um ein Gefühl der Beklommenheit zu erzeugen."

"Vieles wird hier nur behauptet oder nicht heutig genug auserzählt", berichtet Sarah Kugler in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (online 22.9.2019). Die "Brisanz" der Mann-Frau-Beziehungen und "die unangenehme, höchst angespannte explosive Stimmung" verpasse die Regie. Überzeugend werde der Schmerz in den Darstellungen von Hannes Schumacher als Brick und Nadine Nollau als Margaret. Aber "weil aktuelle Bezüge fehlen", so "verpufft leider auch der so überzeugend gespielte Schmerz, inszenatorisch in einer bloßen Behauptung".

Steffi Kühnert inszeniere "weitgehend textgetreu" und "schafft damit das glaubwürdige Porträt einer Familie im Mississippi-Delta, deren Mitglieder sich durch ein Geflecht aus Lügen und Selbstbetrug bewegen", schreibt Nils Neuhaus in der Berliner Morgenpost (23.9.2019). "Nur wenn eine große Personenzahl auf der Bühne agiert, wird das Stück zuweilen fad. Dann kippt, was eigentlich Komik sein sollte, gelegentlich in Albernheit. Herausragend ist die Inszenierung hingegen, wenn auf der Bühne ein Zwiegespräch zu sehen ist. Dann wird die Spannung zwischen den Figuren durch viele kleine Gesten und Pausen spürbar, so dass man zugunsten dieser feinen Nuancen auch mal den Atem anhält."

 

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