Im Auge des Zyklons

von Steffen Becker

Bruchsal, 21. September 2019. "Vergänglichkeit" – danach klingt es in der Spielstätte Hexagon der Badischen Landesbühne Bruchsal: "Ein Regen läuft auf Erden / als stiller Bach ins Meer / und jeder Tropfen ist dabei / bis er ins große Wasser rinnt / man kommt und liebt und geht vorbei", heißt es im Auftaktgedicht von Günther Weisenborn.

Nach Vergänglichkeit riecht es auch. Die Spanholzplatten an den Wänden dünsten aus. Und symbolisieren mit ihrem provisorischen Look das Leben des Autors Weisenborn – erst aufstrebender Schriftsteller in der Weimar Republik, dann Widerstandskämpfer der Roten Kapelle und NS-Opfer, später Mahner gegen Wiederbewaffnung und Restauration in der BRD.

Collage aus Texten und Erinnerungen

"Der Illegale" heißt dieser Abend in Bruchsal und schildert ein Leben, das immer wieder eingerissen wurde und neu zusammengezimmert werden musste. Regisseur Carsten Ramm hat es als Collage aus Weisenborns Texten und Erinnerungen auf die Bühne gebracht. Es beginnt mit dem ersten Bühnenerfolg in der Weimarer Republik: "U-Boot S 4". Das Stück handelt von einer Besatzung, die sich trotz der gerade erst begrabenen Toten des Ersten Weltkrieges bereits darauf freut, endlich wieder ran an die Torpedos zu dürfen. Mahnende Worte des erfahrenen Tauchers gehen unter im aufpeitschenden Trommeln. Die Schauspieler zweckentfremden dafür ihre hölzernen Hocker.

DerIllegale2 560 Badische Landesbuehne Bruchsal xMinimalistisch eindrucksvoll: Tim Tegtmeier spielt in dem von Tilo Schwarz eingerichteten Bühneraum © Badische Landesbühne Bruchsal

So pragmatisch-minimalistisch ist die ganze Inszenierung angelegt. Ein Steg, ein paar Stühle, mehr braucht die Regie nicht. Sie verdichtet "Der Illegale" auf Melancholie, Poesie und Musik. Die liefert Konstantin Wecker. In Bruchsal hängen Plakate für einen seiner Solo-Auftritte, die ihn milde lächelnd mit Regenbogen-Kette zeigen. Aber für "Der Illegale" hat er sich auf sein ursprüngliches Handwerk besonnen: gallige Anklagen in ebenso widerspenstige Melodien zu packen. Die liefern ein Keyboard (Oliver Taupp) und ein Cello (Konstantin Malikin).

Wider die Angst und den Hass

Weisenborns Textgrundlage beklagt vor allem die Unfähigkeit der Menschen, sich von Angst und Hass als Triebfeder zu lösen – sowohl vor, während und nach dem Krieg. Trotzdem ist die Collage "Der Illegale" keine Kampfschrift. Die verschiedenen Stimmungen in Weisenborns Werk hat Regisseur Ramm klug auf seine Schauspielerriege verteilt. René Laier ist der Erzähler, der rational den deutschen Weg in die Katastrophe analysiert anhand der Lebenserinnerungen Weisenborns.

DerIllegale1 560 Badische Landesbuehne Bruchsal xErzählungen aus dem antifaschistischen Widerstand: Szene mit Colin Hausberg, René Laier und Tim Tegtmeier © Badische Landesbühne Bruchsal

Tim Tegtmaier und Vivien Prahl verkörpern in den Spielszenen die jungen Wilden des Widerstandes, die an ihre Kraft glauben (und sie überschätzen). Evelyn Nagel übernimmt unter anderem die Rolle einer Anklägerin in der Rückschau. Colin Hausberg entspricht dem Autor am ehesten – vorsichtig tastend, von Angst erfüllt, kein Held, getragen vom Anspruch, etwas tun zu müssen und begleitet von der Traurigkeit, dass es den Menschen wenig bedeuten wird. Im rasant geschnittenen Zusammenspiel gelingt der Inszenierung das stimmige Gesamtbild eines zerrissenen Lebens in einer disruptiven Welt (mit dem Wermutstropfen, dass an keinem der Darsteller ein überragendes Gesangstalent verlorengegangen ist).

Zerfall der Persönlichkeit in der Haft

Die Inszenierung lässt aber auch genug Raum, um tief berühren zu können. Weisenborns Werk erzählt dem Publikum, was Menschen durch den Kopf geht, die von einem Folter-Regime verhaftet wurden. Wie sich ein Schauprozess anfühlt, und wie der Schrecken, wenn man in Haft den Zerfall der eigenen Persönlichkeit spürt.

Was "Der Illegale" aber vor allem aus dem Werk von Günther Weisenborn herausarbeitet, ist eine bewundernswerte Weitsichtigkeit und eine erschreckende Aktualität. "Die Welt befindet sich in voller Umwälzung, die mit der Gewalt eines Zyklons über die Kontinente geht. Man sagt, dass im Zentrum eines Zyklons ein windstilles Auge sich oft finde. Wir lassen uns von den Ursachen der Veränderungen in der Welt wenig stören. Noch befinden wir uns im Auge des Zyklons. Aber wie lange noch?", schreibt er nach dem Krieg. Aber es klingt sehr gegenwärtig.

 

Der Illegale
nach Texten von Günther Weisenborn mit Musik von Konstantin Wecker
Inszenierung: Carsten Ramm, Bühne: Tilo Schwarz, Kostüme: Kerstin Oelker.
Mit: Colin Hausberg, René Laier, Evelyn Nagel, Vivien Prahl, Tim Tegtmeier, Musiker: Oliver Taupp (Klavier), Konstantin Malikin (Cello).
Premiere am 21. September 2019
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.dieblb.de

 

Kritikenrundschau

Weisenborn sei nicht müde geworden, vor dem neuerlichen Aufleben des Faschismus und rechter Tendenzen zu warnen. Hierin beweise er eine bis heute gültige Zeitgenossenschaft und unvermindert anhaltende Aktualität. "Und es dieser Nähe zur Gegenwart, die dem Abend in Bruchsal seine spannende Wirkung gibt", so Rüdiger Krohn von den Badischen Neuesten Nachrichten (23.9.2019). "Der Abend ist eine würdige Verbeugung vor einem profilierten Autor, der hier überfällig neue Beachtung erfährt."

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