Der letzte Mensch - Theater Nestroyhof Hamakom Wien
Auf der Motto-Party mit Donna Haraway
von Andrea Heinz
Wien, 8. Oktober 2019.
Der Klimawandel treibt ja gerade viele Menschen um und auf die Straße. Am Theater ist man dagegen mal wieder so mit sich selber beschäftigt, dass man für eine Auseinandersetzung mit dem Thema meistens keine Zeit und wahrscheinlich auch keine Nerven hat. Insofern ist es höchst erfreulich, dass am Theater Nestroyhof Hamakom mit Philipp Weiss’ "Der letzte Mensch" nicht nur ein Stück zur Zukunft des Menschen angesichts der Klimakatastrophe zur Uraufführung gebracht wurde, sondern im Oktober auch ein umfassendes Begleitprogramm geplant ist.
Leider war es das aber dann auch schon mit der Freude. Man muss es klar und deutlich sagen: Klimawandel auf die Bühnen unbedingt. Was bitteschön ist zeitgenössischer als das? Nur so wie hier sollte man es tunlichst nicht machen. Das fängt schon beim Text an. Weiss hatte großen Erfolg mit seinem Suhrkamp-Debüt Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen, "Der letzte Mensch" aber ist kein großer Wurf.
Cli-Fi-Mix
Ausgangspunkt ist die Frage nach der Zukunft, die ein Mensch haben könnte, der heute geboren wird. Drei Szenarien entwirft Weiss: Das "Kollaps-Szenario", das die Hauptfigur (da einzige Figur) Liv van der Meer auf einem Floß im Nordpolarmeer treibend vorstellt, das "Transzendenz-Szenario", das im All spielt und schließlich das "Utopie-Szenario" in der Tiefsee, in dem ein Hybrid aus Mensch, Maschine, Koralle und Oktopus auftritt. Es ist, um es kurz zu fassen, ein ziemlich wirrer Cli-Fi(Climate-Fiction)-Mix. Chimären und Androiden, Kugelmenschen und Cyber-Sex – als wäre man mit Donna Haraway auf einer komplett unironischen Motto-Party.
Die Absichten sind ganz sicher die besten, nur wohnt diesem Text leider ein grundsätzlicher Denkfehler inne: Seine Welt und Figuren sind so fantastisch und futuristisch, dass es ein leichtes ist, sie von sich fernzuhalten. Was haben Cyborgs im All mit uns zu tun? Vom Klimawandel in irgendeiner Weise betroffen fühlen wird sich bei diesem Stück sicher niemand. Und also auch nicht drüber nachdenken, was er oder sie tun könnte oder sollte.
Gedämpftes im Schummer
Ein Übriges tut die Regie von Ingrid Lang. Drei Frauen (Ana Grigalashvili, Daria Ivanova, Theresa Martini) befinden sich auf der karg ausgestatteten, in schwarz gehaltenen und zumeist in sehr schummriges Licht getauchten Bühne, sie teilen sich den Text von Liv van der Meer. Sie liegen oder sitzen auf der Bühne, bewegen sich langsam und gesetzt, manchmal auch in wilden Zuckungen und Verrenkungen, aber im Großen und Ganzen bleibt das Geschehen relativ statisch. Die Illusion der Schwerelosigkeit jener Liv, die im Weltraum treibt, wird durch einen Spiegel erzeugt, der leicht schräg über der am Boden sich windenden Schauspielerin montiert ist. Das ist eine nette Idee, aber wirklich zu fesseln vermag der Abend kaum je. Auch die in schwarz-weiß gehaltenen Videos, die eine nackte Liv im Wasser oder viele angezogenen Livs im Weltall treibend auf die Bühne projizieren, fügen dem Ganzen kaum etwas hinzu. Alles wirkt gedämpft, es liegt eine fast schon bleierne Schwere über dem Abend.
Der Gegenstand verschwindet
Schließlich kommen zu allem Überfluss, ebenfalls wieder völlig unironisch, Computerstimmen zum Einsatz. Gegen Ende etwa, wenn der Mensch-Maschine-Koralle-Oktopus-Hybrid seine Rede vor dem Welt-Parlament hält, erklingt eine blecherne Lautsprecherstimme, während die Spielerinnen nur dastehen und ab und zu wie zum Playback den Mund bewegen. Dass im Text ein Verschwinden des Menschlichen durchgespielt wird, ist das eine. Das auf der Bühne zu wiederholen, ist aber keine gute Idee. Es führt dazu, dass in einer Inszenierung, die sich mit Natur, der Frage nach dem Weiterleben der Menschheit beschäftigt, genau diese Dinge gar nicht mehr vorzukommen scheinen. Es fehlt die Sinnlichkeit, vieles bleibt Schablone oder gleich nur noch Präsentationsfläche für den Text. So schafft es dieser Abend, dass man sich vom Klimawandel nicht nur nicht betroffen, sondern direkt gelangweilt fühlt. Da wäre es dann fast schon wieder besser, man würde das Thema einfach ignorieren.
Der letzte Mensch
von Philipp Weiss
Regie: Ingrid Lang, Bühne: Vincent Mesnaritsch, Kostüme: Alina Amman, Licht: Harri Michlits, Musik: Karl Stirner, Video: Jakob Figo, Thomas Planitzer, Jakob Hütter, Dramaturgie: Patrick Rothkegel.
Mit: Ana Grigalashvili, Daria Ivanova, Theresa Martini.
Premiere am 8. Oktober 2019
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause.
www.hamakom.at
Kritikenrundschau
Michael Wurmitzer schreibt auf derStandard.at aus Wien (online 10.10.2019, 11:18 Uhr): Nicht nur die Zivilisation sei untergegangen, "auch die Uraufführung des Stücks wurde gründlich versenkt." Die Intention sei ehrenhaft, dass der Mensch hinfort "gleichberechtigt mit den anderen Spezies leben" solle, doch klinge der Text "vor allem wie eine gängige Stichwortsammlung zum Weltuntergang, aufgemotzt mit Sci-Fi". Das Spiel der Schauspielerinnen solle "intensiv" wirken, sei aber "leider sehr langweilig".
Herausragend seien die Videoprojektionen. Sie erzeugten "eine geradezu kosmisch-überirdische Atmosphäre". "Doch die 170-minütige Aufführung verliert im Lauf der Handlung an Präzision. Was anfangs von Regisseurin Ingrid Lang punktgenau durchkomponiert wurde, franst zunehmend aus, verliert an Kontur und wird dadurch langatmig. Schade", schreibt Petra Paterno in der Wiener Zeitung (9.10.2019).
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(Werte*r Sense,
ich finde das einen nicht ganz konsistenten Vorwurf. Theaterkritik ist immer subjektiv. Trotzdem begründet die Kritikerin ihre Einwände gegen Abend doch sehr genau und keinesfalls geschmäcklerisch.
Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
ja, sicher, subjektiv soll ja jede Kritik auch sein. Zeitgleich schafft jeder Theaterabend ja auch seine eigenen Kriterien – und Subjektivität hin oder her, die Frage sollte doch immer sein: Ist das gelungen? Und wenn nicht, sollte man argumentieren, wieso dieser und jene Versuch hier nicht klappt. In der obigen Kritik werden aber in meinem Empfinden Prämissen zugrundegelegt, die ich äußerst problematisch finde (eben zB die Ansicht, dass es ein "Denkfehler" sei, dass "futuristische und fantastische" Figuren das Publikum berühren könnten). Ich behaupte einfach mal, dass alles potentiell berühren kann, wenn es gut gemacht wird, und alles anöden kann, wenn man es schlecht einsetzt. In der Kritik klingt es aber teils so, als hätte das alles schon deshalb nicht funktioniert, weil es so ja allgemein gar nicht funktionieren könne, als handele es sich da um naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Daran stoße ich mich, da ich mich dann frage, ob hier die Kritikerin bestimmte ästhetische oder erzählerische Mittel kategorisch ablehnt. Und das meinte ich mit dem zugegeben recht fiesen Vorwurf des "Geschmäcklerischen".