'tschuldigung, heute kein Mord

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 10. Oktober 2019. "Die Frauenschreie lassen wir aus", erklärt Hauke Heumann. Gefühlsausbrüche werden an diesem Abend wenn, dann nur ironisch anzitiert. "Die Frauenschreie müssen wir auslassen, wir machen nicht so psychologisches Theater". Sondern: Gintersdorfer/Klaßen präsentieren "Geschichten aus dem Wiener Wald" nach Ödön von Horváth als analytisches Meta-Ereignis.

Reibungen

Ausgangspunkt des Bühnengeschehens ist die Nacherzählung der Horváth'schen Handlung. Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star referiert auf Französisch. Wandert nachdrücklich gestikulierend vor den Sitzreihen hin und her. Ihm folgt auf Schritt und Geste Heumann. Seine Position als Dolmetscher zwischen Französisch und Deutsch macht ihn zum Mittelpunkt des Geschehens. Weil seine Übersetzungen das reibungslose Verfolgen von Inhalten ermöglichen? Nein.

Sondern: Weil Heumann mit dem Versuch der Vermittlung, mit seinen Nachfragen, Umformulierungen und Auslassungen auf die Reibung zwischen den Sprachen, zwischen den Akteur*innen und den Figuren, zwischen der Inszenierung und dem Ausgangstext aufmerksam macht. Weil seine Kommentare zum Text, zum Autor, zur Inszenierungsweise die Inszenierung selber sind. The medium is the message, sagt Marshall McLuhan dazu.

Geschichten aus dem Wiener Wald 6 560 c Alexander Gotter uEingesprungener Horváth: Annick Prisca Agbadou, Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star und Gotta Depri © Alexander Gotter

Aus Nacherzählung werden nach und nach Szenen. Annick Prisca Agbadou tritt als Marianne auf. Gotta Depri als deren Vater, der Scherzartikel-Verkäufer Zauberkönig. Yao protestiert, geriert sich als großer Schauspieler und will am liebsten alle Figuren übernehmen. Zum Beispiel die Trafikantin Valerie, die mit dem Nazi Erich eine Affäre beginnt, oder den Fleischhauer Oskar, der nach Verlobung mit Marianne giert, oder den Hallodri Alfred, mit dem sie stattdessen ein Kind bekommt.

"Strizzi", kommentiert Der Nino aus Wien. Gemeinsam mit Natalie Ofenböck (sie sind das Musikprojekt Krixi, Kraxi und die Kroxn) sitzt er auf einer beweglichen Plattform auf der sonst leeren Bühne. Sie singen von der "stillen Straße" im achten Wiener Gemeindebezirk, dort lässt Horváth Fleischhauerei, Scherzartikel-Laden und Trafik neben einander stehen. Sie singen "du wirst meiner Liebe nicht entgehen", den Satz, den Marianne nach sozialem Abstieg und Ermordung ihres Kindes von Oskar gesagt bekommt. Und sie sprechen immer wieder rein ins Geschehen. Beziehungsweise: übernehmen Figurenrede.

Das Licht als Störfaktor

Wer wen spricht oder über wen spricht, das ändert sich beständig. Der Text durchläuft das Ensemble. Eine weitere Verfremdungs-Maßnahme. Das uneigentliche Sprechen der Horváth'schen Figuren findet bei Gintersdorfer/Klaßen eine Zuspitzung in der analytischen Situation. Aus Reibung zwischen Sprache und Sprecher*in innerhalb des Horváth'schen Textes wird Reibung zwischen Vorlage und Inszenierung. Selbst noch das Licht ist an diesem Theaterabend ganz auf Anti-Einfühlung eingestellt. Oder ist da jemand über dem Technik-Pult eingeschlafen? Plötzliche Abdunkelungen oder hell geleuchtete Bühnenhälften, auf denen gerade nicht agiert wird, – das Licht drängt sich als Störfaktor auf.

Geschichten aus dem Wiener Wald 14 560 Alexander Gotter uGeschrien wird nur in Ausnahmefällen: Der Nino aus Wien (am Mikro) mit Hauke Heumann und Natalie Ofenböck. Im Hintergrund: Gotta Depri © Alexander Gotter

Apropos Anti-Einfühlung: Heumann entschuldigt sich, kein Mord, kein Übergriff wird dargestellt, das Publikum kann sich nicht per Bühnen-Ersatzhandlung austoben, die Veranstaltung hat keinen therapeutischen Effekt. Ausgehend von der Figur des Erich, der im 1931 uraufgeführten Stück den Nationalsozialismus ankündigt, denkt Heumann über rechten Terror im Allgemeinen, über den Anschlag in Halle im Besonderen nach. Ist das schon Faschismus oder sind das nur die Vorzeichen? "Jetzt könnt ihr drüber nachdenken und dann in Aktion treten", beendet Heumann den Exkurs lapidar.

Die Gymnastik und der Faschismus

Die einzige Figur, der Horváth so etwas wie Aktivität, Handlungsfähigkeit, Phantasie, Freiheit mitgibt, ist Marianne: "Ich wollte mal rhythmische Gymnastik studieren, und dann hab ich von einem eigenen Institut geträumt." Warum spricht das "süße Wiener Mädel" von Gymnastik? Basierend auf den Ideen Émile Jaques-Dalcrozes entwickelten sich zuerst Hellerau/Dresden, dann ab 1925 Laxenburg/Wien zu einem Zentrum des damals neuen, modernen, freien Tanzes. Bewegung sollte sich nicht ausgehend von ästhetischen Vorstellungen motivieren, sondern durch einnehmenden Rhythmus.

Geschichten aus dem Wiener Wald 11 560 Alexander Gotter uTanz den Mussolini: Gotta Depri und Hauke Heumann (hintere Reihe), Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star und Annick Prisca Agbadou (vorn) mit Rutenbündeln aka "Fasces" © Alexander Gotter

Gintersdorfer/Klaßen setzen einen Fokus auf diese Gymnastik, die Akteur*innen tänzeln beständig durch den Raum. Aber auch in die Freiheit des sogenannten freien Tanzes mischen sich faschistoide Tendenzen. Das Ensemble tanzt mit symbolischen Rutenbündeln, Fasces waren Amtssymbol der römischen Machthaber und wurden zum Zeichen der italienischen Faschisten. Das ist ein krasses Bild. Freikörperkultur, Reformpädagogik und rhythmische Gymnastik schließen Faschismus nicht aus. Faschistoide Tendenzen überall. Trotz allem Anti-Gefühl ist "Geschichten aus dem Wiener Wald" ein tief trauriger Abend geworden.

 

Geschichten aus dem Wiener Wald
von Gintersdorfer/Klaßen nach Ödön von Horváth
Konzept & Regie: Monika Gintersdorfer, Konzept & Ausstattung: Knut Klaßen, Musik: Natalie Ofenböck, Der Nino aus Wien, Kostüm: Marc Aschenbrenner, Eva Carbo, Knut Klaßen, Licht: Alexander Suchy, Dramaturgie: Hannah Lioba Egenolf.
Mit: Annick Prisca Agbadou, Gotta Depri, Hauke Heumann, Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star, Natalie Ofenböck, Der Nino aus Wien.
Premiere am 10. Oktober 2019
Dauer: 1 Stunde und 40 Minuten, keine Pause

www.werk-x.at

 


Kritikenrundschau

Monika Gintersdorfer nehme sich Werke des westlichen Theaterkanons zur Brust und klopfe sie mit ihrem vorwiegend aus ivorischen Performern bestehendem Kollektiv auf die den Texten eingeschriebenen Codes ab, führt Margarete Affenzeller im Wiener Standard (12.10.2019) in die Arbeitsweise der Künstlerin ein. Damit jedoch ist sie aus Sicht der Kritikerin zuletzt im Fall von Mozarts Entführung aus dem Serail bei den Wiener Festwochen 2017 "hervorragend gescheitert". "Auch weil so immer wieder Klischees verfestigt werden: Personen of Color als Akrobatikfachkräfte. Das ist nun wieder so." ""Die Hintern schaukeln, die Beine schwingen." Der Rest sei Improtheater.

"Ein durchaus charmanter und gewitzter Zugang, aber der inhaltliche Mehrwert ist zumindest im Fall Horváths etwas fraglich, die Äußerungen zum Stück erwiesen sich doch als etwas banal. Höhepunkt der Inszenierung war jedenfalls die Musik von Natalie Ofenböck und dem Nino aus Wien", schreibt Petra Paterno von der Wiener Zeitung (14.10.2019).

Der ORF hat einen TV-Beitrag über den Abend in der Mediathek.

 

 

Kommentare  
Wiener Wald, Werk X: Hellwache Techniker
Als technischer Leiter des WERK X darf Ihre Frage nach einem eingeschlafenen Techniker am Pult mit einem klaren Nein beantworten.
Das künstlerische Konzept mit seinen stark improvisatorischen Elementen sieht vor, dass die Lichtstimmungen frei und ausschließlich von der Bühne aus direkt von Akteuren - passend zur gerade gespielten Szene - ausgewählt werden.
Darüber hinaus freut es mich natürlich, dass unsere Saisonstart-Premiere so gut ankam!
Freundliche Grüße,
Stefan Enderle
Geschichten aus dem Wiener Wald, Wien: struktureller Rassismus
Zur Kritik von Frau Affenzeller im STANDARD: Es ist erschreckend, wie stereotyp und klischeebeladen der Blick von Frau Affenzeller auf diesen Abend ist. Die Reduktion der Performer of Color auf "Akrobatikfachkräfte" und das damit einher gehende Ausblenden des von allen Performern geführten Diskurs mit starken außereuropäischen Positionen (zentrales Element aller Arbeiten von GK), sind bezeichnend für einen strukturellen Rassimus der in der Kunst- und Kulturkritik ebenso präsent ist, wie in allen anderen Lebensbereichen auch.
Geschichten aus dem Wiener Wald, Wien: Nachtrag zum Licht
ich habe nachgedacht, das heißt „un truc d‘ouf“ von la fleur bb (regie: monika gintersdorfer) hat mich ins nachdenken gebracht. und ich würde den absatz über das licht jetzt anders schreiben. kurzer einschub: dass ernstlich jemand über dem pult eingeschlafen sein hätte können, das wollte ich mit meiner formulierung nicht sagen, aber eine spitze entsprechung dafür finden, wie sehr fehlerhaft sich mir die lichteinstellungen aufgedrängt hatten. nu! was würde ich jetzt anders schreiben? ich weiß nicht was, ich weiß bis jetzt mur dass und dass mich der einsatz von licht in beiden stücken nachhaltig beschäftigt: anti-einfühlung, jaja, aber ich glaube es gibt da was, das ich noch nicht verstehe, einfach nicht verstehe, ich denke nach. freundlich, theresa luise gindlstrasser
Kommentar schreiben