Spielmacher gesucht

von Michael Wolf

23. Oktober 2019. Es gibt viele Argumente gegen Adaptionen: Sie dienen als Publikumsköder, setzen nur auf Wiedererkennung eines prominenten Originals, versperren jungen Dramatikern den Zugang zu großen Bühnen und so weiter. All das stimmt, ist aber noch kein Grund, sie mittels einer Quote für Gegenwartsdramatik von den Bühnen zu verbannen, wie es die Lektoren des Fischer Theater Verlags kürzlich rührend hilflos in der FAZ vorschlugen. Anstatt ihr Produkt attraktiv zu bewerben, fordern sie die Einführung der Planwirtschaft, ein ästhetisches Argument gegen Adaptionen bleiben sie schuldig.

Schlechte Adapteure

Ich halte es für dünkelhaft und altmodisch, Stücke gegen Adaptionen auszuspielen. Letztlich handelt es sich bei beiden Gattungen um Text, und der ist längst nur noch ein Element des Theaters neben vielen anderen wie Video, Körperlichkeit, Objektkunst, installativen Zugängen und so weiter. Es sollte nicht um Formate gehen, sondern um Qualität. Nicht Adaptionen sind also das kolumne wolfProblem, sondern dass sie zu oft von den Falschen verfasst werden. Dafür braucht das Theater Experten, so wie es auf Bühnen- und Kostümbildner, Choreographen, Videokünstler, Musiker und Beleuchter angewiesen ist. Deren Aufgaben übernehmen Regisseure in der Regel nicht selbst, schustern aber bedenkenlos ihre Fassungen zusammen. Ein Beispiel: Ständig höre ich Schauspieler Prosa im Präteritum sprechen, beziehungsweise dagegen ankämpfen, denn niemand redet in dieser Zeitform. Wird sie auf der Bühne verwendet, ist alles Organische dahin, jedes Verb reißt den Sprecher aus der Situation, verweist auf das Originalmedium Buch.

Nicht besser wird es, wenn Regisseure beflissentlich die Dialoge eines Romans aneinanderreihen. Gesprochen klingen sie künstlich, sie sind fürs stille Lesen gedacht, nicht für eine Stimme, einen Körper, nicht zum Füllen eines Raums. Auch ergibt ein Kapitel keine Szene, ein Erzähler keine Figur, eine Handlung keine Dramaturgie.

Profis ranlassen

Natürlich kann eine Adaption dennoch gelingen, aber dafür muss man um diese Unterschiede erst mal wissen, benötigt ein Handwerk, Kenntnis literarischer Verfahren, Sensibilität für Rhythmus und Klang, Erfahrung in der Produktion eigener Texte und nicht nur der Verschneidung fremder. An all dem mangelt es vielen Regisseuren. Das ist kein Vorwurf. Es ist ein komplexer Job, sie müssen mannigfaltige Fähigkeiten mitbringen. Die wichtigste besteht vielleicht darin einzuschätzen, welche Aufgaben sie besser anderen überlassen. Und diese anderen können nur Autoren sein. Vielleicht braucht das Theater keine Dramatik, aber es braucht Dramatiker.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 
In seiner letzten Kolumne empfahl Michael Wolf das Nichtinszenieren als neue Regietugend.


 

Presseschau

FAZ-Theaterkritiker Simon Strauß (27.10.2019) nutzt eine Besprechung zu Luk Percevals Adaption von Jon Fosses Erzählwerk "Trilogie" um auf die in dieser Kolumne angestoßene Diskussion um Epik und Dramatik zu reagieren: "Mag sein, dass der Text beim Theater heute in der Tat mitunter nur noch eine Rolle unter vielen spielt, aber deswegen gleich die ganze Gattungsunterscheidung über Bord werfen? Was auf diese Weise nämlich gestärkt wird, ist das große undifferenzierte 'egal'". Gegen das "egal", das vor allem die "Qualität" und die "ästhetische Setzung" in den Blick rücke, stellt Strauß seine Fosse-Rezension: Das Erzählwerk biete eine "berührende Geschichte", aber "wenn die Figuren, die sie beschreibt, dann auftreten, wenn sie Bewegungen machen und Handlungen ausführen, die ihnen die Erzählerin vorgibt, dann verliert das Ganze schmerzhaft an Spannung und Ausdruckskraft. Durch die reale Ausführung wird die geheimnisvolle Erzählung plötzlich profan." Der Frankfurter Gastspiel wirke "wie ein demonstrativer Widerspruch gegen die Egal-Haltung der Gleichmacher, wie ein strahlender Beweis für die Eigenart der Texte. Was man verliert, wenn 'die Formate' keine Rolle mehr spielen, ist hier deutlich zu spüren. Es geht um die Vielfalt der Erzählungweisen, die unterschiedliche Wiedergabe von literarischen Werten und nicht zuletzt ums Ganze: nämlich um Wirkung durch Eigenart. Nur eine Welt, in der die Sonderbaren, das Unterschiedene als höchstes Gut geachtet wird, ist eine künstlerische Welt."

Auch der Dramatiker David Gieselmann antwortet in einem Gastbeitrag für nachtkritik.de auf Michael Wolfs Kolumne.

 

 

mehr Kolumnen

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Kommentare  
Kolumne Wolf: Qualität verbessern
Absolute Zustimmung. Und als Ergänzung: Adaptionen sollten nicht das Feld sein, auf dem sich Dramaturg*innen auch mal künstlerisch austoben und evtl. noch ein bisschen was nebenher verdienen können. Adaptionsaufträge an echte, qualifizierte Autor*innen herauszugeben, die evtl. noch eine besondere Affintät zum Stoff bzw. eine eigene passende Stimme mit einbringen, würde die Qualität enorm verbessern.
Kolumne Wolf: eigene Dramatik
Das Problem ist: AutorInnen, die eine tiefe Affinität zu einem bestimmten Stoff und eine eigene Stimme haben, schreiben halt keine Adaptionen, sondern lieber eigene Dramatik.
Das Problem ist: Dass das Theater bestimmte andere Stoffe haben möchte als DramatikerInnen vielleicht gerade aus ihrem ganz persönlichen Leben und ihrer eigenen Erfahrung damit gefischt haben. Und dass das Theater auch so gerne Stimmen, die es für Publikum pädagogisch "passend" findet und lieber nicht zu publikumspäadagogisch nicht abgesegneten Stoffen passende, eigene Stimmen von DramatikerInnen...
Ja, es sollten, wenn Adaptionen gemacht werden, erfahrene Schreibprofis das machen. Das werden dann trotzdem eher schlechtere, also unqualifiziertere, DramatikerInnen sein, die sich darauf beauftragt einlassen.
Weil halt bessere, also qualifiziertere, DramatikerInnen eben keine Adaptionen machen, sondern eigene Stoffe bearbeiten in einer Sprache, die sie selbst und nicht das Theater oder Verlage für diese Stoffe passend finden. Oder alternativ vorübergehend lieber Romane oder Gedichte als Stücke schreiben, wenn sie eine Sprache gefunden haben für einen eigenen Stoff, der ihrer Meinung nach zum Theater und seinem aktuellen Publikum gerade nicht passt. Wohlgemerkt: ihrer eigenen DramastikerInnen-Meinung nach nicht passt- nicht der Meinung des Theaters oder der Meinung der Verlage nach.
Kolumne Wolf: zwei Einwürfe aus der Praxis
Lieber Michael (Wolf). Ich stimme hier nur zum Teil zu - natürlich wäre schon viel gewonnen, wenn mehr Dramatiker*innen Adaptionen verantworten würden und nicht deren Regisseure, die es in der Tat meist nicht können. Aber ich glaube stark daran, dass sich im Theater Dinge erzählen lassen, eben weil sie sich nur durch die Mittel erzählen, die das Theater hat. Es sind andere Geschichten, die sich dafür eignen, und die sich daher finden. Das, was in Büchern erzählt wird, lässt sich eben nicht nur durch Bühnenmittel erzählen - es stand ja schon in einem Buch. Die Adaption eines Buches ist in diesem Sinne nie die Suche nach originären Schauspiel-Stoffen und -geschichten, sondern bestenfalls eine Frage nach Fokussierungen mit den Mitteln der Bühne - auch wenn dies tolle Autor*innen machen.

Zur ökonomischen Einordnung, Berliner Dramaturgie, möchte ich gerne Folgendes anmerken: Ich bin nun in der recht komfortablen Situation als Dramatiker von meinem Schaffen leben zu können. Das versetzt mich aber nicht in die Situation, bei Adaptionen, die mir angeboten werden, müde abzuwinken - im Gegenteil: Eben weil ich das nicht tue, kann ich ja von meiner Arbeit leben. (Kürzlich erst habe ich 800 Seiten Abenteuer des braven Soldaten Schwejk für ein mittelgroßes Stadttheater für die Bühne adaptiert, und damit im Grunde auch einen Trend unterstützt, den ich eigentlich fragwürdig finde - siehe oben. Das der dortige Regisseur sich dann nicht für meine Fassung begeistern konnte, steht auf einem anderen Blatt und hat jetzt nur entfernt mit unserem Thema zu tun). Die Tatsache jedenfalls, dass ich auch Adaptionen zusage, heißt nun wirklich nicht, dass ich nicht an Stoffen und Stücken schreibe, in der ich meine eigene Autorenstimme einbringen will und nach meinen Stoffen und Geschichten suche - ich habe halt weniger Zeit dazu. Wer als Autor*in eine Adaption zusagt, ist nicht per se schlechter und unqualifiziert, liebe Berliner Dramaturgie. Gruß David Gieselmann
Kolumne Wolf: Marktmechanismen
#3 Heißt das, sehr geehrter Herr Gieselmann, dass Sie also durchaus nicht von Ihrer eigenen Dramatik leben könnten, sondern dass Ihre eigene Dramatik Ihnen vor allem dazu verhalf/verhilft, dass Theater Ihnen Adaptionsaufträge erteilen, die Sie gern annehmen, damit Sie als Autor von Ihrer Arbeit leben können?

Es lässt sich doch denken, dass ein/e Dramatiker/in jemand ist, der/die, wenn denn seine/ihre unbeauftragten Theaterstücke inszeniert werden, davon auch dann leben kann, wenn er/sie eben k e i n e Adaptionsaufträge annehmen muss.
Er/Sie muss dann nicht "müde" abwinken, weil ihn das nicht interessiert oder er das Geld für solche Arbeiten nicht benötigt, sondern hat eben dafür, für, vieleicht durchaus geistig anregende, Fremdaufträge, keine Zeit.
Es lässt sich - gerade mit Praxiserfahrung doch denken, dass ein/e Autor/in jemand ist, der/die notfalls vom - schönstenfalls- literarischen Schreiben von unter andererem eigener Dramatik, leben kann.
Und deshalb kann man auch denken, dass im Unterschied dazu ein/e DRAMATIKER/IN jemand ist, der/die notfalls von der Veröffentlichung nur seiner/ihrer eigenen Dramatik leben kann.
So wie ein/e EPIKER/IN jemand ist, der/die als Autor/in notfalls von der Veröffentlichung nur seiner/ihrer Epik leben kann.
Das wird dann auch nur jemand schaffen, der/die am b e s t e n für die Epik qualifiziert ist. Und zwar unabhängig davon am besten qualiffiziert ist, ob veröffentlicht oder nicht.
Man darf davon ausgehen, dass in Zeiten, in denen der Markt über Veröffentlichung und Verbreitung bestimmt, der Markt nicht gleichzeitig zuverlässig die Qualität bestimmen kann. Und zwar, weil er nach Absatzchancen über Veröffentlichung und Verbeitung einer Arbeit entscheidet.
Die Absatzchancen, die VOR einer solchen Entscheidung beurteilt werden, richten sich nach der größtmöglichen und weitreichendsten Vermittelbarkeit von AutorInnen-Stoff und -Stimme.
Und damit richtet sich eine Verlags-Theater-Veröffentlichungs-Entscheidung entweder nach breitem Konsens mit Publikum per se oder zumindest nach leicht, also mit n i e d r i g s t e m Arbeitsaufwand zu erreichendem Konsens mit Publikum.

Ein/e Autor/in, der/die auch u.a. Dramatik schreiben kann, macht das im Einverständnis mit dem Marktmechanismus mit.
...Und ein/e Dramatiker/in nicht. Er/Sie ist in der Lage, den ideologischen Marktmechanismus im Theater und Verlagswesen zu ZEIGEN, mithin vorzuführen und dadurch auch zu ändern. Und zwar aus philosophischen Gründen. Für eine/n Dramatiker/in ist eben dies eine zwingende, innere Notwendigkeit - Freundlichen Gruß zurück
Kolumne Wolf: hm...
Hm, also erklärt die Berliner Dramaturgie hier gerade David Gieselmann, dass er kein Dramatiker ist? Das muss man auch erstmal sacken lassen...
Kolumne Wolf: vielleicht gar kein Ideal
In der Tat, Christoph, das muss man erst mal sacken lassen. Liebe Berliner Dramaturgie, das lässt sich sicher alles denken, aber der implizierte Vorwurf, wer Dinge schreibt, die er nur aus ökonomischen Gründen zusagt, und nicht aus künstlerischen, hat sich schon verraten und verkauft, den kann man natürlich machen, aber er geht dann doch an der Realität vorbei, denn als Theaterautor muss man natürlich wie in allen anderen (künstlerischen) Berufen auch eine Schneise zwischen ökonomischen Zwängen und der eigenen Integrität finden. Wenn ich die nicht finden will, weil ich das Gefühl habe, dann kann ich nicht mehr in den Spiegel schauen, muss ich mich nach anderen Tätigkeiten umsehen. Aber völlig kompromisslos schreiben, was man wirklich nach rein künstlerischen Prinzipien möchte, also in der von ihnen beschriebenen nicht korrumpierten Weise, das ist natürlich ein Luxus, diese Theaterautor*in, die das hierzulande kann, müssten Sie mir erst einmal nennen. Und ich wüßte noch nicht einmal, ob ich das für mich als Ideal ansehen würde, denn es kann auch sehr erfüllend sein, sich in ein Projekt reinzuwursteln, das einem zunächst mal nicht mit Herzblut angesprungen hat.
Kolumne Wolf: lebensnotwendiger Luxus
Ideale sind Luxus. Lebensnotwendiger.

Warum ziehen Sie sich den Schuh an? Sie sind doch ein Autor, der im Wesentlichen von seinem Stückeschreiben leben kann.
Nach der Definition, die sich laut Berliner Dramaturgie und auch nach Ihrem darüber Nachdenken offenbar denken - und daher nunmehr diskutieren lässt, wären Sie damit ein hauptsächlich Dramatik schreibender Autor. Und lediglich kein bestmöglicher Dramatik schreibender Autor. Also lediglich kein Dramatiker in dem Sinne, den ich für diesen Begriff als Ideal des/der Dramatik schreibenden Autor/in vorschlage. Und d a m i t könnten Sie nicht mehr in den Spiegel schauen? -

Es könnte doch auch sehr erfüllend sein für ein Theaterverlagslektorat zum Beispiel oder für eine/n Intendanten/in, sich in ein ihm/ihr vorgelegtes Stück eines/r Dramatikers/in reinzuwursteln, das ihn/sie zunächst mal nicht mit seinem/ihrem Herzblut angesprungen hat.
Fragen Sie zum Beispiel einmal Nils Tabert, der Sie doch - zumindest am Beginn Ihrer Karriere - betreut haben dürfte, ob das nicht möglich sein könnte.? Nicht nur für Autoren/innen, sondern auch umgekehrt für Lektoren/innen oder Intendant/innen?

Es ist so: Wenn es kein Ideal gibt, gibt es auch keine gesellschaftsrelevante Qualitätsorientierung.
Da der Begriff Dramatiker/in seit mindestens zwei Jahrzehnten von Verlagen und von Theatern als absatzgenerierende Stücke-Werbung benutzt wird, das Ideal also durch Begriffsinflationierung zerstört worden ist, ist in der Frage der Dramatik durchaus die Qualitätsorientierung verloren gegangen.

Ich würde sagen, ich könnte Ihnen - zumindest einen - Namen hierzulande nennen. Aber warum sollte ich das tun? Es wird ein Mann oder - selbstverständlich! - eine Frau sein, der/die in der Lage ist, eine "Berliner Dramaturgie" auf wirkungsvolle Art und Weise zu verfassen. Warum auch nicht? Es gibt ja auch eine "Hamburgische Dramaturgie" zum Beispiel...
Kolumne Wolf: tautologisch
Diese Berliner Dramaturgie bleibt mir einfach unverständlich, und ich verstehe auch in keiner Weise, was mir oder wem die Definitionen, wer ein echte(r) Dramatiker ist und wer nicht, nützen sollen. Wie sieht es denn zum Beispiel mit Shakespeare aus, der teils im Auftrag der Krone schrieb? Und dass Theater und Verlage den Begriff Dramatiker inflationieren, das ist irgendwie eine tautologische Zustandsbeschreibung. Ebenso könnte man Gilette den Vorwurf machen, sie benutzten zu oft den Begriff Rasierklinge.
Kolumne Wolf: Dramaturgien gefragt
Die Diskussion geht doch am eigentlichen Kern des Problems vorbei. Was tun gegen die mindere Qualität vieler Textfassungen von Adaptionen? Ich stimme Michael Wolf weitestgehend zu. In der Probenarbeit bezüglich Adaptionen ist man allzu oft damit beschäftigt, Textvorlagen überhaupt erst spielbar zu machen. Das ist nicht nur später im Ergebnis als Manko erkennbar, es hält auch den gesamten Probenprozess auf. Wer nun am besten adaptiert, sei dahingestellt. Es gibt auch Regisseur*innen, die das besser beherrschen als mancher Autor*in/Dramatiker*innen. Es sind aber die Dramaturgien der Theater, die letztendlich darüber entscheiden, wer mit was beauftragt wird. Hier ist ein verantwortungsvoller Umgang gefragt. Die Theater selbst sind ja erst auf die Idee gekommen, Romane oder auch Filme für die Bühne zu adaptieren und haben damit einen "Markt" für Adaptionen geschaffen. Ganz neu ist das übrigens nicht. Auch Shakespeare hat nicht jede Zeile neu erfunden, sondern sich vieler und auch epischer Vorlagen bedient. Nicht nur in diesem Sinne müsste er sich also fragen, ob er sich im Sinne obiger Definition als Dramatiker verstehen darf. Es geht mir aber nicht darum, wann ein*e Dramatiker*in ein*e Dramatiker*in ist, sondern um die Qualitätssicherung von Bühnensprache. Wir brauchen bestimmt keinen Faust in der Rubrik "bestes adaptiertes Theaterstück", aber mehr Sorgfalt, Verantwortung und vielleicht auch Anerkennung im Umgang bestimmt. Und da scheint mir eine Abwertung von Adaptionen im Sinne, das sei überhaupt keine echte Dramatik, wohl eher kontraproduktiv.
Kolumne Wolf: Ideal und Lügendienst
Ideal versus Dienstleistung
Die Berliner Dramaturgie hat sich in ihren Kommentaren ja mitunter etwas verheddert, jedoch dem Satz „Wenn es kein Ideal gibt, gibt es auch keine gesellschaftsrelevante Qualitätsorientierung.“, diesem irgendwie ziemlich deutschen Satz, stimme ich ausdrücklich zu. Und ich hoffe, dass auch David Gieselmann diesem Satz zustimmt, weil einen Pol in der „Schneise zwischen ökonomischen Zwängen und der eigenen Integrität“ markiert.
Ich habe mir in jungen Jahren einen Begriff des Schriftstellers Max Frisch sehr fest eingeprägt: Es gibt einen menschlichen Maßstab, den wir nicht verändern, sondern nur verlieren können.
Das Dumme ist, dass viele, auch sehr laute Menschen diesen menschlichen Maßstab, diesen inneren Kompass verloren oder nie besessen haben, gerade in unserer immer so selbstgerecht hochgelobten Demokratie. Sie begeben sich stets nur in Konkurrenzsituationen, die sie unter allen Umständen gewinnen wollen.
Wer in dieser Situation kein - für sich selbst – Märtyrer und – für die anderen – Narr sein will, muss sich diese Schneise schlagen, ja er muss lernen, sich die Zumutungen, die ihn vom Ideal des menschlichen Maßstabs entfernen, sehr gut bezahlen zu lassen. So ist diese Gesellschaft nun einmal gebaut, je mehr Entfernung sie vom inneren Ideal fordert, je mehr Lügendienst, desto mehr ist sie bereit zu zahlen. Die angesparte Summe ist dann ein Polster, um wieder eine Weile seinem eigenen Kompass zu folgen.
Kolumne Wolf: Problem Form und Inhalt
Problem ist doch auch: Ein gutes Buch ist vor allem deshalb gut, weil Form (Prosa) und Inhalt perfekt korrespondieren. Da wird die Übersetzung ins Theatrale natürlich viel schwerer als bei einem guten Buch, das aber von Beginn an ein noch besseres Stück gewesen wäre. Was die ganzen Stadttheaterdramaturgen aber dramatisieren wollen, ist natürlich immer nur die Hochliteratur – für deren Übersetzung es dann in der Tat Leute braucht, die künstlerisch dem Autor des Originals praktisch ebenbűrtig sind. Ist selten.
Kolumne Wolf: Wie es gehen könnte
Die Beste Bearbeitung, die ich in den letzten Jahren sah, ist sicherlich die Dramatisierung und Durchdringung der Edda mit neuzeitlichen Inhalten von Mikael Torfason. Ein isländischer Autor dessen Namen man sich merken sollte. Ich sah den Abend an der Volksbühne in Berlin. Er lief zuvor in Hannover und ist nun am Wiener Burgtheater angekommen. Sicherlich, wenn sich gute Autoren den Meistern annehmen und sie für sich fortschreiben, kann das gelingen. Die Edda ist so ein Glücksfall und eine Ausnahme. Denn grundsätzlich gilt Beethoven kann nicht Mozart überschreiben und umgekehrt. Aber in der Schrift scheint ja alles möglich zu sein über das die Musik nur leise lächeln kann. Ich persönlich habe nur zwei solcher Dramatisierungen vorgenommen. Einmalig „Kein Ort. Nirgends.“ für das Essener Schauspiel und einmal „Kind unserer Zeit.“ für das Deutsche Theater in Berlin. Ich mag diese Arbeit nicht, auch nicht zur Geldbeschaffung, außer man treibt sie soweit wie Mikael Torfason in der Edda. Da für braucht man eine neue Idee, die eine alte durchdringt.

(...)

Moby Dick wurde zu Lebzeiten von Herman Melville nur dreitausend mal verkauft und in der Rezession häufig verrissen. Um dieses Buch zu schreiben fuhr Melville vier Jahre zur See. Ich glaube nicht, dass er an Broterwerb dachte, als er die ersten Seiten schrieb und natürlich hat er im Sinne eines Studiengang „Szenisches Schreiben“ alles falsch gemacht. Es gibt endlose Beschreibungen der Technik der Waljagd, welche die Handlung nun wirklich nicht dramaturgisch vorantreiben. Und doch zählt dieses Buch neben Stoffen von Cervantes und Goethe zur Weltliteratur. Ich würde ihn nicht für die Bühne bearbeiten wollen, es sei denn ich hätte einen kongenialen Zugang im Themenbereich Klima.

So ganz verstehe ich das Jammern des Kritikers nicht, solange es so gute Beispiele wie die Edda
gibt. So wie ich überhaupt die Schriftstellerei zum Broterwerb anzweifle und nicht recht daran glaube, dass dies ein Ausbildungsberuf sei. Was einigen Autoren fehlen könnte, kann doch jeder guter Lektor vorsichtig korrigieren. Ansonsten darf man das Geschäft der Bearbeitung ruhig den Dramaturgen und Literaturwissenschaftler überlassen. Moby Dick ist nicht dazu geschrieben worden, um die Kassen der Mittelmäßigen aufzufüllen. Sorry.
Kolumne Wolf: falsches Beispiel
Werke wie Edda, Odyssee, Ilias haben aber auch nicht nur einen Autor. Sie haben durch die Jahrhunderte, ja, Jahrtausende, den literarisierten Sagen-Schatz einer Region für uns zum Mythos angereichert und es ist - das soll die Begabung und die Fähigkeit von Autor*innen, die solche Mythen für die Bühne durchdringen und heutig bearbeiten, keinesfalls schmälern! - leichter, daraus eine eigene, spielbare Bühnenfassung zu machen als aus einem Roman. Die Edda ist ja kein Roman und es ist daher unfair, das Beispiel als Vergleich heranzuziehen mit Roman- oder Filmadaptionen.
Kolumne Wolf: zu Wolf und Strauß
Siehe "Gattungsbewusstsein" vom 11. September 2019: https://www.kultura-extra.de/extra/notizen.php#2639
Kolumne Wolf: praktizierbar
@13

Vorausgesetzt Theater würde Mythen, Filme und Romane nicht unterschiedslos als Material begreifen, hätten sie eventuell sogar recht. Da dem Theater aber allerdings mittlerweile alles Material ist eben nicht. Die Edda von Torfason fällt da positiv heraus, weil er mit einem Mythos oder aus einem Mythos heraus eine neue Geschichte erzählt, nämlich die eines Alkoholikers und Vater.

Den selben Versuch startete er auch mit der Odyssee. Aber der zweite Versuch einer solchen Dramatisierung wurde nicht wirklich verstanden und angenommen, was auch etwas mit der Inszenierung und der Akustik der Volksbühne zu tun hat. Grundsätzlich aber hat Torfason den mythologischen Stoff nicht einfach als Material genommen, sondern ihn auf anderen Ebenen fortgeschrieben. Dies wäre für das Theater auch mit Filmen und Romanen praktizierbar.
Kolumne Wolf: Frage zur "Edda"
@12: Ist die Edda, auch die Fassung, nicht vor allem mit und aus dem Ensemble des Schauspiel Hannover entstanden?
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