Kolumne: Als ob! - Michael Wolf wirbt für die berufliche Neuerfindung eines alten Schreibprofis
Spielmacher gesucht
von Michael Wolf
23. Oktober 2019. Es gibt viele Argumente gegen Adaptionen: Sie dienen als Publikumsköder, setzen nur auf Wiedererkennung eines prominenten Originals, versperren jungen Dramatikern den Zugang zu großen Bühnen und so weiter. All das stimmt, ist aber noch kein Grund, sie mittels einer Quote für Gegenwartsdramatik von den Bühnen zu verbannen, wie es die Lektoren des Fischer Theater Verlags kürzlich rührend hilflos in der FAZ vorschlugen. Anstatt ihr Produkt attraktiv zu bewerben, fordern sie die Einführung der Planwirtschaft, ein ästhetisches Argument gegen Adaptionen bleiben sie schuldig.
Schlechte Adapteure
Ich halte es für dünkelhaft und altmodisch, Stücke gegen Adaptionen auszuspielen. Letztlich handelt es sich bei beiden Gattungen um Text, und der ist längst nur noch ein Element des Theaters neben vielen anderen wie Video, Körperlichkeit, Objektkunst, installativen Zugängen und so weiter. Es sollte nicht um Formate gehen, sondern um Qualität. Nicht Adaptionen sind also das Problem, sondern dass sie zu oft von den Falschen verfasst werden. Dafür braucht das Theater Experten, so wie es auf Bühnen- und Kostümbildner, Choreographen, Videokünstler, Musiker und Beleuchter angewiesen ist. Deren Aufgaben übernehmen Regisseure in der Regel nicht selbst, schustern aber bedenkenlos ihre Fassungen zusammen. Ein Beispiel: Ständig höre ich Schauspieler Prosa im Präteritum sprechen, beziehungsweise dagegen ankämpfen, denn niemand redet in dieser Zeitform. Wird sie auf der Bühne verwendet, ist alles Organische dahin, jedes Verb reißt den Sprecher aus der Situation, verweist auf das Originalmedium Buch.
Nicht besser wird es, wenn Regisseure beflissentlich die Dialoge eines Romans aneinanderreihen. Gesprochen klingen sie künstlich, sie sind fürs stille Lesen gedacht, nicht für eine Stimme, einen Körper, nicht zum Füllen eines Raums. Auch ergibt ein Kapitel keine Szene, ein Erzähler keine Figur, eine Handlung keine Dramaturgie.
Profis ranlassen
Natürlich kann eine Adaption dennoch gelingen, aber dafür muss man um diese Unterschiede erst mal wissen, benötigt ein Handwerk, Kenntnis literarischer Verfahren, Sensibilität für Rhythmus und Klang, Erfahrung in der Produktion eigener Texte und nicht nur der Verschneidung fremder. An all dem mangelt es vielen Regisseuren. Das ist kein Vorwurf. Es ist ein komplexer Job, sie müssen mannigfaltige Fähigkeiten mitbringen. Die wichtigste besteht vielleicht darin einzuschätzen, welche Aufgaben sie besser anderen überlassen. Und diese anderen können nur Autoren sein. Vielleicht braucht das Theater keine Dramatik, aber es braucht Dramatiker.
Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.
In seiner letzten Kolumne empfahl Michael Wolf das Nichtinszenieren als neue Regietugend.
Presseschau
FAZ-Theaterkritiker Simon Strauß (27.10.2019) nutzt eine Besprechung zu Luk Percevals Adaption von Jon Fosses Erzählwerk "Trilogie" um auf die in dieser Kolumne angestoßene Diskussion um Epik und Dramatik zu reagieren: "Mag sein, dass der Text beim Theater heute in der Tat mitunter nur noch eine Rolle unter vielen spielt, aber deswegen gleich die ganze Gattungsunterscheidung über Bord werfen? Was auf diese Weise nämlich gestärkt wird, ist das große undifferenzierte 'egal'". Gegen das "egal", das vor allem die "Qualität" und die "ästhetische Setzung" in den Blick rücke, stellt Strauß seine Fosse-Rezension: Das Erzählwerk biete eine "berührende Geschichte", aber "wenn die Figuren, die sie beschreibt, dann auftreten, wenn sie Bewegungen machen und Handlungen ausführen, die ihnen die Erzählerin vorgibt, dann verliert das Ganze schmerzhaft an Spannung und Ausdruckskraft. Durch die reale Ausführung wird die geheimnisvolle Erzählung plötzlich profan." Der Frankfurter Gastspiel wirke "wie ein demonstrativer Widerspruch gegen die Egal-Haltung der Gleichmacher, wie ein strahlender Beweis für die Eigenart der Texte. Was man verliert, wenn 'die Formate' keine Rolle mehr spielen, ist hier deutlich zu spüren. Es geht um die Vielfalt der Erzählungweisen, die unterschiedliche Wiedergabe von literarischen Werten und nicht zuletzt ums Ganze: nämlich um Wirkung durch Eigenart. Nur eine Welt, in der die Sonderbaren, das Unterschiedene als höchstes Gut geachtet wird, ist eine künstlerische Welt."
Auch der Dramatiker David Gieselmann antwortet in einem Gastbeitrag für nachtkritik.de auf Michael Wolfs Kolumne.
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Das Problem ist: Dass das Theater bestimmte andere Stoffe haben möchte als DramatikerInnen vielleicht gerade aus ihrem ganz persönlichen Leben und ihrer eigenen Erfahrung damit gefischt haben. Und dass das Theater auch so gerne Stimmen, die es für Publikum pädagogisch "passend" findet und lieber nicht zu publikumspäadagogisch nicht abgesegneten Stoffen passende, eigene Stimmen von DramatikerInnen...
Ja, es sollten, wenn Adaptionen gemacht werden, erfahrene Schreibprofis das machen. Das werden dann trotzdem eher schlechtere, also unqualifiziertere, DramatikerInnen sein, die sich darauf beauftragt einlassen.
Weil halt bessere, also qualifiziertere, DramatikerInnen eben keine Adaptionen machen, sondern eigene Stoffe bearbeiten in einer Sprache, die sie selbst und nicht das Theater oder Verlage für diese Stoffe passend finden. Oder alternativ vorübergehend lieber Romane oder Gedichte als Stücke schreiben, wenn sie eine Sprache gefunden haben für einen eigenen Stoff, der ihrer Meinung nach zum Theater und seinem aktuellen Publikum gerade nicht passt. Wohlgemerkt: ihrer eigenen DramastikerInnen-Meinung nach nicht passt- nicht der Meinung des Theaters oder der Meinung der Verlage nach.
Zur ökonomischen Einordnung, Berliner Dramaturgie, möchte ich gerne Folgendes anmerken: Ich bin nun in der recht komfortablen Situation als Dramatiker von meinem Schaffen leben zu können. Das versetzt mich aber nicht in die Situation, bei Adaptionen, die mir angeboten werden, müde abzuwinken - im Gegenteil: Eben weil ich das nicht tue, kann ich ja von meiner Arbeit leben. (Kürzlich erst habe ich 800 Seiten Abenteuer des braven Soldaten Schwejk für ein mittelgroßes Stadttheater für die Bühne adaptiert, und damit im Grunde auch einen Trend unterstützt, den ich eigentlich fragwürdig finde - siehe oben. Das der dortige Regisseur sich dann nicht für meine Fassung begeistern konnte, steht auf einem anderen Blatt und hat jetzt nur entfernt mit unserem Thema zu tun). Die Tatsache jedenfalls, dass ich auch Adaptionen zusage, heißt nun wirklich nicht, dass ich nicht an Stoffen und Stücken schreibe, in der ich meine eigene Autorenstimme einbringen will und nach meinen Stoffen und Geschichten suche - ich habe halt weniger Zeit dazu. Wer als Autor*in eine Adaption zusagt, ist nicht per se schlechter und unqualifiziert, liebe Berliner Dramaturgie. Gruß David Gieselmann
Es lässt sich doch denken, dass ein/e Dramatiker/in jemand ist, der/die, wenn denn seine/ihre unbeauftragten Theaterstücke inszeniert werden, davon auch dann leben kann, wenn er/sie eben k e i n e Adaptionsaufträge annehmen muss.
Er/Sie muss dann nicht "müde" abwinken, weil ihn das nicht interessiert oder er das Geld für solche Arbeiten nicht benötigt, sondern hat eben dafür, für, vieleicht durchaus geistig anregende, Fremdaufträge, keine Zeit.
Es lässt sich - gerade mit Praxiserfahrung doch denken, dass ein/e Autor/in jemand ist, der/die notfalls vom - schönstenfalls- literarischen Schreiben von unter andererem eigener Dramatik, leben kann.
Und deshalb kann man auch denken, dass im Unterschied dazu ein/e DRAMATIKER/IN jemand ist, der/die notfalls von der Veröffentlichung nur seiner/ihrer eigenen Dramatik leben kann.
So wie ein/e EPIKER/IN jemand ist, der/die als Autor/in notfalls von der Veröffentlichung nur seiner/ihrer Epik leben kann.
Das wird dann auch nur jemand schaffen, der/die am b e s t e n für die Epik qualifiziert ist. Und zwar unabhängig davon am besten qualiffiziert ist, ob veröffentlicht oder nicht.
Man darf davon ausgehen, dass in Zeiten, in denen der Markt über Veröffentlichung und Verbreitung bestimmt, der Markt nicht gleichzeitig zuverlässig die Qualität bestimmen kann. Und zwar, weil er nach Absatzchancen über Veröffentlichung und Verbeitung einer Arbeit entscheidet.
Die Absatzchancen, die VOR einer solchen Entscheidung beurteilt werden, richten sich nach der größtmöglichen und weitreichendsten Vermittelbarkeit von AutorInnen-Stoff und -Stimme.
Und damit richtet sich eine Verlags-Theater-Veröffentlichungs-Entscheidung entweder nach breitem Konsens mit Publikum per se oder zumindest nach leicht, also mit n i e d r i g s t e m Arbeitsaufwand zu erreichendem Konsens mit Publikum.
Ein/e Autor/in, der/die auch u.a. Dramatik schreiben kann, macht das im Einverständnis mit dem Marktmechanismus mit.
...Und ein/e Dramatiker/in nicht. Er/Sie ist in der Lage, den ideologischen Marktmechanismus im Theater und Verlagswesen zu ZEIGEN, mithin vorzuführen und dadurch auch zu ändern. Und zwar aus philosophischen Gründen. Für eine/n Dramatiker/in ist eben dies eine zwingende, innere Notwendigkeit - Freundlichen Gruß zurück
Warum ziehen Sie sich den Schuh an? Sie sind doch ein Autor, der im Wesentlichen von seinem Stückeschreiben leben kann.
Nach der Definition, die sich laut Berliner Dramaturgie und auch nach Ihrem darüber Nachdenken offenbar denken - und daher nunmehr diskutieren lässt, wären Sie damit ein hauptsächlich Dramatik schreibender Autor. Und lediglich kein bestmöglicher Dramatik schreibender Autor. Also lediglich kein Dramatiker in dem Sinne, den ich für diesen Begriff als Ideal des/der Dramatik schreibenden Autor/in vorschlage. Und d a m i t könnten Sie nicht mehr in den Spiegel schauen? -
Es könnte doch auch sehr erfüllend sein für ein Theaterverlagslektorat zum Beispiel oder für eine/n Intendanten/in, sich in ein ihm/ihr vorgelegtes Stück eines/r Dramatikers/in reinzuwursteln, das ihn/sie zunächst mal nicht mit seinem/ihrem Herzblut angesprungen hat.
Fragen Sie zum Beispiel einmal Nils Tabert, der Sie doch - zumindest am Beginn Ihrer Karriere - betreut haben dürfte, ob das nicht möglich sein könnte.? Nicht nur für Autoren/innen, sondern auch umgekehrt für Lektoren/innen oder Intendant/innen?
Es ist so: Wenn es kein Ideal gibt, gibt es auch keine gesellschaftsrelevante Qualitätsorientierung.
Da der Begriff Dramatiker/in seit mindestens zwei Jahrzehnten von Verlagen und von Theatern als absatzgenerierende Stücke-Werbung benutzt wird, das Ideal also durch Begriffsinflationierung zerstört worden ist, ist in der Frage der Dramatik durchaus die Qualitätsorientierung verloren gegangen.
Ich würde sagen, ich könnte Ihnen - zumindest einen - Namen hierzulande nennen. Aber warum sollte ich das tun? Es wird ein Mann oder - selbstverständlich! - eine Frau sein, der/die in der Lage ist, eine "Berliner Dramaturgie" auf wirkungsvolle Art und Weise zu verfassen. Warum auch nicht? Es gibt ja auch eine "Hamburgische Dramaturgie" zum Beispiel...
Die Berliner Dramaturgie hat sich in ihren Kommentaren ja mitunter etwas verheddert, jedoch dem Satz „Wenn es kein Ideal gibt, gibt es auch keine gesellschaftsrelevante Qualitätsorientierung.“, diesem irgendwie ziemlich deutschen Satz, stimme ich ausdrücklich zu. Und ich hoffe, dass auch David Gieselmann diesem Satz zustimmt, weil einen Pol in der „Schneise zwischen ökonomischen Zwängen und der eigenen Integrität“ markiert.
Ich habe mir in jungen Jahren einen Begriff des Schriftstellers Max Frisch sehr fest eingeprägt: Es gibt einen menschlichen Maßstab, den wir nicht verändern, sondern nur verlieren können.
Das Dumme ist, dass viele, auch sehr laute Menschen diesen menschlichen Maßstab, diesen inneren Kompass verloren oder nie besessen haben, gerade in unserer immer so selbstgerecht hochgelobten Demokratie. Sie begeben sich stets nur in Konkurrenzsituationen, die sie unter allen Umständen gewinnen wollen.
Wer in dieser Situation kein - für sich selbst – Märtyrer und – für die anderen – Narr sein will, muss sich diese Schneise schlagen, ja er muss lernen, sich die Zumutungen, die ihn vom Ideal des menschlichen Maßstabs entfernen, sehr gut bezahlen zu lassen. So ist diese Gesellschaft nun einmal gebaut, je mehr Entfernung sie vom inneren Ideal fordert, je mehr Lügendienst, desto mehr ist sie bereit zu zahlen. Die angesparte Summe ist dann ein Polster, um wieder eine Weile seinem eigenen Kompass zu folgen.
(...)
Moby Dick wurde zu Lebzeiten von Herman Melville nur dreitausend mal verkauft und in der Rezession häufig verrissen. Um dieses Buch zu schreiben fuhr Melville vier Jahre zur See. Ich glaube nicht, dass er an Broterwerb dachte, als er die ersten Seiten schrieb und natürlich hat er im Sinne eines Studiengang „Szenisches Schreiben“ alles falsch gemacht. Es gibt endlose Beschreibungen der Technik der Waljagd, welche die Handlung nun wirklich nicht dramaturgisch vorantreiben. Und doch zählt dieses Buch neben Stoffen von Cervantes und Goethe zur Weltliteratur. Ich würde ihn nicht für die Bühne bearbeiten wollen, es sei denn ich hätte einen kongenialen Zugang im Themenbereich Klima.
So ganz verstehe ich das Jammern des Kritikers nicht, solange es so gute Beispiele wie die Edda
gibt. So wie ich überhaupt die Schriftstellerei zum Broterwerb anzweifle und nicht recht daran glaube, dass dies ein Ausbildungsberuf sei. Was einigen Autoren fehlen könnte, kann doch jeder guter Lektor vorsichtig korrigieren. Ansonsten darf man das Geschäft der Bearbeitung ruhig den Dramaturgen und Literaturwissenschaftler überlassen. Moby Dick ist nicht dazu geschrieben worden, um die Kassen der Mittelmäßigen aufzufüllen. Sorry.
Vorausgesetzt Theater würde Mythen, Filme und Romane nicht unterschiedslos als Material begreifen, hätten sie eventuell sogar recht. Da dem Theater aber allerdings mittlerweile alles Material ist eben nicht. Die Edda von Torfason fällt da positiv heraus, weil er mit einem Mythos oder aus einem Mythos heraus eine neue Geschichte erzählt, nämlich die eines Alkoholikers und Vater.
Den selben Versuch startete er auch mit der Odyssee. Aber der zweite Versuch einer solchen Dramatisierung wurde nicht wirklich verstanden und angenommen, was auch etwas mit der Inszenierung und der Akustik der Volksbühne zu tun hat. Grundsätzlich aber hat Torfason den mythologischen Stoff nicht einfach als Material genommen, sondern ihn auf anderen Ebenen fortgeschrieben. Dies wäre für das Theater auch mit Filmen und Romanen praktizierbar.