Unendliche Weiten

von David Gieselmann

30. Oktober 2019. Natürlich wäre es toll, wenn Buch-Adaptionen besser wären, und wenn mehr davon von Autor*innen verantwortetet würden – nicht von Dramaturg*innen oder Regis-seur*innen. Und am erfreulichsten wäre es natürlich, wenn sie besser wären, WEIL sie von Autor*innen stammen. Das würde dann nämlich beweisen, dass Menschen, die Theater schreiben, das besser können – in diesen Punkten gebe ich Michael Wolf durchaus Recht, der in seiner Kolumne mehr Autor*innen-Adaptionen forderte. Aber dennoch glaube ich, ein wesentliches Problem des durchschnittlichen Stadt-Theater-Spielplans wäre dadurch nicht gelöst – wenn es sich nicht sogar verschärfen würde: dass das Gespür dafür, was das Theater am besten erzählen kann, erodiert.

gieselmann davidDavid Gieselmann © privatDenn die Adaption eines Romans oder durchaus auch eines Filmes macht einen Schritt der Autor*innenschaft obsolet: die Suche nach Geschichten, die sich durch das Theater und nur durch das Theater erzählen lassen. Nehmen wir als ein Beispiel einmal nicht die in diesem Zusammenhang oft aufgeworfene Frage, warum Lady Anne in "Richard III" mit dem Mörder ihres Mannes mitgeht, sondern ein deutlich jüngeres Stück, das für mich sehr wichtig war auf meiner Suche, wie ich Stücke schreiben will: "Feuergesicht" von Marius von Mayenburg. Die Eltern, die darin von ihrem Sohn Kurt, der Hauptfigur, ermordet werden, verhalten sich in keiner Weise rational beschreibbar falsch, es sind nette Eltern.

Dennoch wird in dem Stück als plausibel behauptet, dass Kurt sie töten möchte. Jede intelligente Antwort auf die Frage, warum er dies dann auch in die Tat umsetzt, ist zum Scheitern verurteilt – eine Antwort lässt sich nur mit Schauspieler*innen auf der Bühne finden. Dieses Stück hat mir vor Augen geführt, dass das Schreiben von Stücken paradoxerweise das Verfertigen von etwas explizit Unfertigem ist. Ein gutes Theaterstück ist ein unfertiges Kunstwerk.

Die Vision der Regie

Eine Bühnenadaption ist zumindest schon mal ein fertiges Kunstwerk gewesen, ein Buch eben, und es braucht nicht wirklich die Bühne für seine Verfertigung. Natürlich kann es durch Gewichtung, Fokussierung und geschicktes Aussparen gelingen, auch in einem Buch Fragen zu finden, die sich nur durch das Theater beantworten lassen, und genau dies, so würde ich behaupten und bin mit Michael Wolf einer Meinung, können Autor*innen im Zweifelsfall sicherlich besser. Dennoch erzählen auch sie dann eine Geschichte, die von jemand anderem schon einmal erzählt wurde, die sie nicht ursprünglich erfinden und erzählen, und deren theatralische Form sich meist im Wesentlichen aus den Visionen der Regisseur*innen speist. Diese Regisseur*innen wiederum glauben ihrerseits, diese ihre Visionen befähigten sie, selber schreiben zu können, und sie bräuchten sich nicht mehr an Autor*innen-Ideen abarbeiten.

Die Folge sind Regie-Handschriften, die nicht mehr im Umsetzen geschriebener Szenen bestehen, sondern in bühnenadaptierten, an sich aber prosaischen Erzählformen. Das ewige Adaptieren ist in diesem Sinne auch eine Filterblase, in der sich deren Macher gegenseitig bestätigen, welche tollen Bücher sie lesen und wie eigen sie diese auf der Bühne umsetzen können. Aber es ändert nichts daran, dass man sich dann immer an etwas schon Dagewesenem misst, und man lässt sich seltener bis gar nicht mehr auf die Verrücktheit ein, etwas zu machen, das, bevor man es anfängt, überhaupt nicht da war. Würde die Zeit und Energie, die Autor*innen und Theaterbetriebe in Roman-Adaptionen stecken, in bessere verzahnterer Zusammenarbeit an originären Stoffen investiert, könnten beide Kräfte davon profitieren. Beide wären nämlich Urheber*innen von Stücken und Geschichten und nicht "Übersetzer*innen" von Prosa.

Spin 9 560 philipp ottendoerfer uAus "Spin", dem letzten Stück von David Gieselmann in der Bielefelder Inszenierung von Christian Schlüter © Philipp Ottendörfer

Zudem gräbt sich das Theater durch die Inflation von Büchern und Filmen auf seinen Bühnen auch selber das Wasser ab, wenn sie aus rein ökonomischen Überlegungen, dass potentielle Zuschauer*innen zumindest schon den Buchtitel kennen und dann eher ins Theater gehen, entsprechende Adaptionen auf den Spielplan setzen. Denn Stücktitel kann man ja auch kennen und wegen ihnen ins Theater gehen. Dafür muss man aber diese Stücke dann auch inszenieren, nachspielen und Hypes zulassen. Denken wir noch einmal zurück an die Theaterzeit als "Feuergesicht" auf den Spielplänen stand – das war ein Titel, wegen dessen man ins Theater wollte. Die Menschen wollten auch ein Stück von Mark Ravenhill sehen, das "Shopping & Fucking" hieß. Oder sie gingen ins Theater, weil das Stück an diesem Abend von Sarah Kane geschrieben war.

Das Theater kann erfinden, warum traut man es ihm so selten zu? Das Theater kann zudem aus sich heraus auch Grund genug für Zuschauerinnen und Zuschauer sein, hinzugehen – aber Bücher und Filme verstopfen die Spielpläne, und da ist es dann auch egal, wer sie adaptiert.

 

David Gieselmann ist 1972 in Köln geboren und in Darmstadt aufgewachsen. Er studierte von 1994 bis 1998 Szenisches Schreiben an der Hochschule der Künste Berlin und inszenierte zu der Zeit erste eigene Stücke in der freien Theaterszene Berlins. Am Londoner Royal Court Theatre wurde 2000 sein Stück Herr Kolpert uraufgeführt, das auf zahlreichen deutschen Bühnen sowie u.a. in Skandinavien, Italien, Griechenland, Frankreich, Polen, Australien und den USA nachgespielt wurde. Gieselmann hat mehr als 20 Stücke geschrieben, zuletzt "Spin" im Auftrag des Theater Bielefeld, mit dem ihm eine achtjährige Zusammenarbeit verbindet. David Gieselmann lebt mit Familie in Hamburg.

 

Mehr zum Thema:

David Gieselmann antwortet mit diesem Text auf die letzte Kolumne des nachtkritik.de-Redakteurs Michael Wolf.

Auch der FAZ-Kritiker Simon Strauß antwortete auf Michael Wolf. Zur Zusammenfassung seiner Thesen.

Angestoßen hat die Debatte der Fischer-Theater-Verlag mit einem Text in der FAZ. Darin kritisieren die Lektor*innen Adaptionen und forderten eine Quote für Gegenwartsdramatik.

 

 

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Kommentare  
Adaptionen vs. Stücke: Das Drama lebt
Das Nachdenken über zeitgenössische Dramatik und ihren Stellenwert ist essentiell. Wie kann zeitgenössische Dramatik wieder groß gemacht werden - stolz, selbstbewusst und begehrenswert? Dabei sollte es nicht darum gehen, unterschiedliche Textformen gegeneinander auszuspielen, sondern alle Möglichkeiten des Dramatischen mitzudenken. Wir als Theaterverlag haben unlängst in der FAZ dazu Stellung bezogen: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/warum-mehr-zeitgenoessische-dramatik-auf-die-buehnen-muss-16415573.html
Adaptionen vs. Stücke: lebende Schreckgespenster
„Shopping&Fucking“ ist von Mark Ravenhill und nicht von Sarah Kane. Das ist schon sehr missverständlich formuliert.

Zu dem glaube ich nicht an Sätze, wie „Das Theater kann erfinden.“ Denn so ist das Theater heute nicht aufgestellt. Die Autoren sind ausgelagert und sozusagen nicht im festen Budget eingepreist. Erfunden wird immer noch außerhalb des Theaterbetriebes. Es gibt kaum Schreibwerkstätten innerhalb der Betriebe, in denen bewusst Theaterstoffe neu erfunden werden. Da hat sich trotz jahrelanger Arbeit von Verlagen und Autorengruppen kaum etwas verändert. Die Gründe sind einfach zu benennen. Überlastung und fehlende Kapazitäten. Wer soll diese Arbeit innerhalb des Betriebes auch noch leisten. Es gibt weder ausreichend Autorenstellen noch Betreuungskapazitäten für Autoren. Jede Theaterprobe wird mannigfaltig betreut. Sie wird angekündigt, vorbereitet und von Assistenten, der Technik und Dramaturgen betreut. Deshalb kann dort soviel szenisches Material erfunden werden. Es gibt keine vergleichbare Situation für Autoren am und innerhalb des Theaters. In der Praxis kann das Theater keinen neuen Stoffe erfinden. Dafür ist keine finanzierte Arbeitszeit vorgesehen. Versucht man als Autor einen Dramaturgen frühzeitig in die Entwicklungsarbeit zu verwickeln, stößt man hauptsächlich auf Überforderung. Das Theater, so wie es heute aufgestellt ist, kann im Bereich Text kaum etwas Neues erfinden, weil dieser Arbeitsvorgang so gut wie nicht im Alltag eingetaktet ist. Hier liegt die Hauptursache für die mangelnde Etablierungsmöglichkeit von neuen Titeln. Sie werden dem Theater immer noch von außen zugefügt. Und diese Hinzufung macht neue Titel immer noch irgendwie fremd. Sie sind nicht aus der Mitte des Teams entstanden. Titel sind meistens auf Einzelpersonen zurückzuführen. Schon allein dieser Umstand macht sie für den Betrieb fremd, denn sie beinhalten damit auch etwas, dass der Betrieb eigentlich abgeschafft hat, ein lebendes Genie oder Ausnahmetalent. So etwas wird eigentlich nur noch als Schauspieler oder Schauspielerin akzeptiert. Regie und Text, sogar Ausstattung sind Teamarbeit und aus einem Team heraus entstanden. Früher war das nur eine Arbeitsmethode unter anderen, heute ist es schon eine ethische und auch politische Haltung. Autorenschaft, die alleinverantwortlich zeichnet, ist ein Auslaufmodell. Von daher sind Erfindungen kaum zu erwarten, da sie politisch gar nicht gewollt sind. Sie müssen erst alle Relativierungsprozesse des Betriebes durchlaufen, um Anerkennung zu finden. Der Abreibungseffekt bis zum Endprodukt ist dann meistens so hoch, dass Qualität auf der Strecke bleibt. Das wie etwas gemacht wurde, steht aus politischen Gründen im Vordergrund, nicht die Qualität am Ende. Entweder ist ein Arbeitsvorgang zu autoritär, zu patriarchalisch, zu egomanisch oder schlicht einfach zu genial, um hingenommen zu werden. Erst in der Abnutzung seiner Qualität durch Kollektivierung liegt seine eigentliche momentane Beglaubigung. Die Qualitätsmängel sind schon in der Struktur mit eingebaut. Der Roman steht dagegen ziemlich souverän da. Er kenne in der Hauptsache nur einen Urheber. Solche Strukturen sind im Theater nicht mehr vorgesehen. In dem Sinne kann das Theater eben nicht mehr Erfinden. Sarah Kane und Mark Ravenhill wären heute eine Art Schreckgespenster. Oh Gut, die gibt es ja auch noch! Was machen wir bloß mit denen?!
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