Franziska Linkerhand - Deutsches Theater Berlin
Große Erzählung
von Nikolaus Merck
Berlin, 2. November 2019. Natürlich zählt Franziska Linkerhand von Brigitte Reimann zu den großen deutschsprachigen Romanen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Woran die DDR scheiterte – fehlende Demokratie, falsch patentierter Antifaschismus, mangelnder Gemeinsinn, Partei- und Starrsinnsherrschaft – hat Brigitte Reimann in ihrem postum veröffentlichten Hauptwerk getreulich verzeichnet und das Wie des Scheiterns in Männerherrschaft, Brutalität, Bürokratismus, fehlender Solidarität herzhaft ausgemalt. Die Schriftstellerin starb 1973 mit 39 Jahren an Krebs, an ihrem Buch arbeitete sie bis zuletzt.
Reiche Geschichte
Wenn das Deutsche Theater zum 30. Jahrestag des Mauerfalls zu diesem Stoff greift, ist dies erst einmal wohl getan. Die Probleme folgen dann. Das Buch ist reich an Erzählhaltungen und Perspektiven, überreich an Details, Geschichten und Figuren – wie bringt man solches auf die Bühne, ohne das Gewebe zu zerreißen und so das Wesentliche des Buches, die Vitalität, die Unbedingtheit, die Schonungslosigkeit zu verfehlen?
Daniela Löffner hat sich in ihrer Fassung fast keine Extravaganzen erlaubt. Leider. Sie reiht die Hauptstationen des Buches aneinander. Die Wundpunkte, die bei der ersten Veröffentlichung 1974 zu politischen Streichungen führten, sind ebenso fast alle versammelt: Selbstmord, Stalinismus, Vergewaltigung in der Neubau-Siedlung, in der recht eigentlich der neue sozialistische Mensch erscheinen sollte. Bloß zeigt sich, dass alles was im Buch spannend klingt und atemlos, reich bebildert, poetisch, kitschig oder scharf, auf der Bühne, wenn es an der Rampe aufgesagt wird, dauert. Lange dauert. Löffner lässt erzählen und aus der Erzählung ins Dialogische springen und bei Bedarf wieder zurück.
Erzählen mit Bildern
Zu würdigen steht das Videobild. Immer wieder greifen die Schauspieler*innen zur Kamera oder hebt und senkt sie sich an der mittleren Traverse. Die Großaufnahmen von Händen, Gesichtern, delikaten Posen mit Zigarette (geraucht wird, als gelte es den Zigarettenkonsum der ebenfalls in den sechziger Jahren spielenden Serie "Mad Men" zu toppen), erscheinen ausgebleicht, sepiafarben, kostbar cadriert auf der großen Papierrolle, die den Hinter- und Untergrund der Spielfläche bildet (Bühne: Wolfgang Menardi). Die Videobilder sind die eigentlich kunstvolle Erzählebene im ersten Teil und es ist, als versuchte die Inszenierung die ikonischen Fotografien der Brigitte Reimann nachzuempfinden.
Vor der Pause spielt Kathleen Morgeneyer die Titelheldin, die aus dem Büro des Meisterarchitekten Reger in den Städtebau nach (Halle-)Neustadt wechselt, als eine mädchenhafte, leicht quengelige Franziska, die einen Haarfimmel kultiviert (Haare binden, Haare öffnen, Haare werfen, durchs Haar fahren – meine Güte). Marcel Kohler gibt Bruder Wilhelm latent gereizt und abgenervt, die restlichen Figuren sind Karikaturen. Der erste Teil mit seinem Theatertheatergetöne und der quälend ausgespielten Vergewaltigung Franziskas durch ihren Ehemann (Elias Arens) lässt Schlimmes befürchten für nach dem Pausenwein. Dabei ist die Geschichte von Kriegsende, Zerwürfnis mit den Eltern, zu frühe Heirat mit eingebautem Klassengegesatz, gar nicht mehr besonders DDR, sondern könnte in weiten Teilen genauso gut im Westen spielen (sieht man einmal von der Republikflucht von Vater und Mutter Linkerhand ab).
Die kluge Synthese
Nach der Pause gewinnt der Abend sichtbar an Fahrt und Selbstbewusstsein. Der Regisseurin sind spielerische Szenen-Lösungen eingefallen, Morgeneyer bekommt Boden unter die Füße und ihr Ton wird erwachsener und fester, Peter René Lüdicke lockert mit volksbühneskem Krähen als Stadtarchitekt Schafheutlin die beamtenselige Spielweise auf der Bühne etwas auf, vor allem aber zieht Maren Eggert als versoffene Sekretärin Gertrud, die Franziska verzweifelt liebt, die Szene mächtig an. Nun gibt es Gesang, Schlägerei, der Marmorengel auf dem Friedhof (Elke Petri) wird lebendig und spricht Sätze der Reimann, und plötzlich ertönt auch ein Soundscape (Matthias Erhard) für den Plattenbau mit Kindergeschrei, Bohrmaschinenlärm und Tschaikowski.
Hier wird nun aber auch deutlich, dass es wenig ertragreich ist, heute und hier die ganze "Franziska Linkerhand" geben zu wollen. Der Kritiker glaubt, es wäre vielleicht klug gewesen, einzelne Motive aus der großen Romanerzählung herauszuheben und konzentriert zu verfolgen. So bleibt am Ende, nach Ben Trojanowitschs (Felix Goeser) großem Opfer-des-Stalinismus-Monolog, nur das Allgemeine: "Es muss sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen" – und man denkt an andres als Architektur, denkt an die generelle Organisation der Gesellschaft und fragt sich, ob man heute, ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen dieses Buches, in dieser Hinsicht wirklich voran gekommen ist?
Franziska Linkerhand
nach Brigitte Reimann, in einer Fassung von Daniela Löffner
Regie: Daniela Löffner, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Carolin Schogs, Licht: Cornelia Gloth, Musik und Sounddesign: Matthias Erhard, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Elias Arens, Maren Eggert, Felix Goeser, Katrin Klein, Maike Knirsch, Marcel Kohler, Peter René Lüdicke, Helmut Mooshammer, Kathleen Morgeneyer, Elke Petri.
Premiere am 2. November 2019
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
Zur Verwendung der Videotechnik schreibt Irene Bazinger von der FAZ (4.11.2019): "Gegen die überdimensionale filmische Präsenz ist der kleine Mensch im realen theatralischen Sosein machtlos – wie die Regisseurin gegenüber dem zu starken Roman." Kathleen Morgeneyer lasse die Hauptfigur, "als habe sie der Begriff „Jammer-Ossi“ besonders inspiriert, stets nervtötend quengeln und greinen". Bazinger schließt: "Man bekommt höchstens eine biedere, trockene und oberflächliche Inhaltsangabe, die der narrativen wie formalen Vielfalt des Originals, an dem das Stück sich messen lassen muss, bedauerlicherweise nie gerecht wird."
Man könnte diese Geschichte heute nur noch historisch lesen, was es nicht einfacher mache, sie auf die Bühne zu hieven, schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (3.11.2019). "Leider versucht Löffner nichts, um entweder einen pointierten thematischen Zugriff daraus zu filtern oder ein Bewusstsein für die historische Lücke mitzuinszenieren. Als wäre zwischenzeitlich nichts passiert, kondensiert sie das Buch frag- und motivlos auf drei Spielstunden."
"Daniela Löffner hat die Schlüsselszenen des Romans auf die Bühne gebracht, kann aber die atmosphärische Dichte und multiperspektivische Komplexität dieses literarischen Gesellschaftsporträts im Theater nicht reproduzieren", so Eberhard Spreng vom Deutschlandfunk (3.11.2019). "Je länger der milde dahinplätschernde Abend dauert, desto mehr bedrängen den Zuschauer einige Fragen: Warum sieht die Geschichte um die ehrgeizige Architektin so aus, als spiele sie im Westen?" Oder: "Warum wird hier Reimanns Roman nicht weitergedacht in die Gegenwart?"
"Es ist ein schwieriges, kaum lösbares Unterfangen, diesem Buch, seinem Furor und seinem sensiblen Trotz, seiner Vielstimmigkeit und seinem verzweifelten Mut im Theater gerecht zu werden. Doch auch im Scheitern ist dieses Unternehmen noch durchaus sehenswert", schreibt Bernd Noack von Spiegel Online (3.11.2019). Kathleen Morgeneyer gebe stets eine feste wie schwankende, verlorene wie aufbrechende Person, "die sich zwischen Anpassung und Aufruhr einen Weg gesucht hat, der nachvollziehbar war, ungekünstelt und lebenswahr".
Katharina Granzin schreibt in der taz (6.11.2019): Die trotz aller Rückschläge und Hindernisse "ungebrochene Kraft dieser Frau" sei "in praktisch jeder Szene zu spüren; Morgeneyer leuchtet regelrecht". Dass dieses Strahlen "recht angestrengte, fast künstliche Züge" trage, treffe "mitten ins dunkle Zentrum von Franziskas immer wieder vom Scheitern bedrohten Lebensentwurf". Es sei eine Stärke von Löffners Bühnenfassung, "immer wieder mit einfachen Mitteln und in klaren Bildern (…) Verschiebungen oder Doppelungen der Perspektive zu zeigen". Doch schiebe sich der Roman "mit seiner schieren Masse immer wieder vor eine stringentere Dramatisierung". Zur Pause sei erst ein Drittel geschafft, das gehe "zuungunsten" der "gesellschaftspolitischen und ästhetischen Fragen" sowie der Liebesgeschichte Franziskas mit Ben. Ein "solider Theaterabend mit Längen".
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In Schlüsselszenen wird ihre Leidensmiene per Live-Video auf die ansonsten fast leere Bühne von Wolfgang Menardi projiziert. In diesen Momenten kommt der Erzählfluss bewusst fast ganz zum Stillstand, die Inszenierung zoomt mit den Mitteln des Licht- und Sounddesigns auf diese zentralen Augenblicke heran.
Es spricht für sich, dass trotz der enormen Länge von vier Stunden auch nach der Pause fast alle Plätze besetzt blieben, auch wenn die Handlung in der letzten Stunde etwas ausfranst und z.B. der lange Video-Monolog von Felix Goeser als Franziskas letzter Liebhaber deutlich straffer erzählt werden könnte.
Neben Morgeneyer sind aus dem Ensemble vor allem Maren Eggert als Alkoholikerin Gertrud und Maike Knirsch als Wirtin Frau Hellwig hervorzuheben. Sie bekommen den nötigen Raum für ihre Frauenfiguren, die zum Teil ganz beiläufig sehr Kritisches über die Zustände in der damaligen DDR zu sagen haben.
Die Romanadaption ist handwerklich gut gemacht und löst die Probleme zahlreicher Rückblenden und vor allem die oft abrupten Perspektivwechsel mitten im Satz, mit denen Reimann experimentierte, geschickt. Tonband-Einspielungen mischen sich mit live auf der Bühne gesprochenen Sätzen. Mal doppeln sie sich, mal wechseln sie sich ab oder gehen fließend ineinander über.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/11/03/franziska-linkerhand-deutsches-theater-berlin-kritik/
Und verliert sich darin, auch durch seine Langsamkeit, sein fehlendes Timing, die bestenfalls skizzierten Konflikte. Die Charaktere bleiben Schablonen und so vergehen auch die behaupteten Leidenschaften und Visionen an eigener Blässe. das ist besonders auffällig bei der Liebesgeschichte zwischen Franziska und Ben, die so fragmentarisch präsentiert wird, dass sie nie auch nur einen Hauch an Wahrhaftigkeit gewinnt. So verliert die Geschichte aber auch ihre Fallhöhe, dümpelt sie dahin wie ein dröger VHS-Vortrag über die Unmöglichkeit individueller Freiheit in der DDR. So wird aus dem großen Gesellschaftsentwurf des Romans ein zäher Aufsatzentwurf, aus der Tragik der Scheiternden, ein schulterzuckender Bericht über eine allzu Naive, die eher zufällig in den eigenen Niedergang stolpert. Als Beitrag zum 30-jährigen Mauerfall-Jubiläum konzipiert hält dieser Abend die Vergangenheit auf Distanz, zieht er mehrere Scheiben Milchglas ein zwischen Heute und Damals, kommen diese ebenso wenig zusammen wie das Heute und das Morgen, das Kathleen Morgeneyer mit reichlich Pathos am Ende von der Rampe visioniert. Die Erinnerung, die dieses Vergangenheit herbei erzählt, bringt sie nicht näher, sie bleibt ein Scahtten, ein vergilbtes Foto, eine vergessene Geschichte. Aufgeschrieben in edlem Schwarz-Weiß. Kalt, abweisend, weit weg. Ein Fall für die Ablage. Oder gleich fürs Archiv.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/11/03/ein-fall-furs-archiv/
Davon ist das DT jetzt Galaxien fern.