Aufmucken? Verstören!

von Lara-Sophie Milagro

12. November 2019. Als im Sommer letzten Jahres Nicht-Weiße von Nazis durch die Straßen von Chemnitz geprügelt wurden und die Presse ernsthaft darüber debattierte, ob nun "Jagd", "Hetze" oder "Hetzjagd" der angemessene Ausdruck dafür sei, stand man als (wie auch immer) in diesem Land beheimateter Mensch wieder einmal vor der Frage: Was tun? Wie etwas dagegen setzen, wirkungsvoll Widerstand leisten, auch und gerade als Kunstschaffende?

Kunst als Politik und politische Bildung

Während ein Großteil der Theatermacher*innen irgendwo zwischen Ratlosigkeit und Schockstarre festzusitzen schienen, fand Philipp Ruch, Leiter des Zentrum für Politische Schönheit (ZPS), eine deutliche Antwort: die Kunstaktion "Soko-Chemnitz", die vor fast genau einem Jahr an den Start ging. Das ZPS täuschte eine Öffentlichkeitsfahndung nach (vermeintlichen) Teilnehmern der Ausschreitungen in Chemnitz vor, indem es deren Bilder im Internet veröffentlichte und zu ihrer Identifizierung aufrief.

17 NAC Kolumne Visual Milagro V3Ruch wurde daraufhin von der Bundeszentrale für politische Bildung, zu deren Bundeskongress er für März 2019 eingeladen worden war, auf Weisung des Innenministeriums wieder ausgeladen. Begründung: Aktionen wie "Soko Chemnitz" trügen dazu bei, "eine weitere Polarisierung der politischen Debatte voranzutreiben und einer Spaltung der Gesellschaft Vorschub zu leisten". Ob man Ruch vielleicht sogar dazu beglückwünschen kann, dass ihm so die Teilnahme an einer Diskussion mit dem Titel "Bitte schön aufmucken! Kunst als Politik und politische Bildung" verwehrt blieb, sei dahingestellt.

Viel ist darüber diskutiert worden, ob Kunst politisch sein kann, muss, sollte. Dabei gehört es doch eigentlich seit jeher zum künstlerischen Selbstverständnis, gesellschaftlich Stellung zu beziehen. Erwin Piscator bezeichnete das Theater in Anlehnung an Schiller als "moralische Anstalt" und definierte die Bühne explizit vom politischen Anspruch her. Und auch heute, im sogenannten postkolonialen Zeitalter, im Spannungsfeld großer Migrationsbewegungen und einer weltweit erstarkenden Rechten, scheint – selbst bei der Bundeszentrale für politische Bildung – nicht mehr in Frage zu stehen, ob, sondern einzig wie gesellschaftspolitische Auseinandersetzung in der Kunst stattfinden muss.

Diskussionen ums Nürnberger Christkindl

"Kunst muss verstörend sein" umschrieb die weltweit gefeierte Performancekünstlerin Marina Ambramovic einmal ihr Credo, "wenn sie nur politisch ist, ist sie wie eine Zeitung, am nächsten Tag schon veraltet." Aber womit kann man Menschen 2019 in Deutschland mittels Kunst noch verstören, im Sinne von: sie zum Überdenken, Umdenken, Infragestellen, Einfordern von (politischer) Veränderung bewegen? Der Rechtsruck der letzten Jahre habe dazu geführt, so Philipp Ruch, "dass schon gar keinem mehr auffällt, dass Rechtsextremismus etwas ist, was nicht Teil der demokratischen Debatte ist." Wahre Worte, wenn man bedenkt, dass jüngst die Facebook-Gemeinde ganz ungeniert darüber debattierte, ob nicht die diesjährige Wahl der 17-jährigen Schülerin Benigna Munsi zum Nürnberger Christkindl gegen "deutsche Traditionen" verstoße. Oder gerade gut 24% der Wahlberechtigten in Thüringen einem Mann ihre Stimme gegeben haben, der vom "Denkmal der Schande" spricht und damit das Holocaust Mahnmal meint.

Diese 24% als unbelehrbar abzutun oder sie zum Gegenstand von Ironie und Satire zu machen, mag berechtigt sein und zur Spielfreude der Darsteller*innen beitragen. Das allein bringt uns als Gesellschaft aber nicht voran, jedenfalls dann nicht, wenn man das Theater nicht ausschließlich als einen Exklusiv-Club der 76% begreifen will, die ihr Kreuzchen an der vermeintlich richtigen Stelle gemacht haben.

Revolutionäres Publikum

"Ein revolutionäres Theater [kann] nur für ein revolutionäres Publikum gemacht werden. (…) Daraus lässt sich lernen, dass man mit einem Theater nie Publikum revolutionieren kann", sagte Martin Wiebel 1968 dem SPIEGEL, damals noch Dramaturg an der Freien Volksbühne in Berlin (West). Auf 2019 übertragen hieße das: Diejenigen, die bereit sind, sich durch politisches Theater zum Umdenken animieren zu lassen, haben eigentlich schon umgedacht, und die anderen kommen erst gar nicht, sondern diskutieren lieber weiter online den Fall Nürnberger Christkindl.

Bleibt also nur die Entscheidung, entweder nur mit sich selbst oder mit Rechten zu reden? Oder wäre es nicht viel produktiver, wenn die Revolutionäre nach einer eventuellen Mit-Verantwortung dafür fragen würden, dass die 24% in Thüringen das wählen, was sie wählen? In diesem Sinne ist eines der wichtigsten politischen Signale, das in den letzten zehn Jahren vom deutschen Theater ausgegangen ist, bestimmt: dass – wenn auch zaghaft – damit begonnen wurde, Besetzungen und Geschichten diverser und gleichberechtigter zu denken.

Das falsche Signal

Natürlich lauern auch hier zahlreiche Fallen, allen voran die Vereinnahmung des Diversitäts-Konzepts durch genau die Strukturen, die es doch eigentlich aufbrechen wollte. Die allseits gepriesene Diversität wird so schnell zur Alibi-Veranstaltung, nach dem Motto: ein, zwei Farbtupfer im Ensemble übertünchen die Tatsache, dass alles andere beim Alten bleibt. Ob die bloße Anwesenheit einzelner Frauen, PoC, LGBTQs oder Menschen mit Handicap in künstlerischen Schlüsselpositionen von langer Dauer sein und langfristig dazu führen wird, repressive Strukturen innerhalb der Kulturinstitutionen selbst zu verändern – also im besten Sinne politisch zu wirken – wird sich zeigen.

Politisches "Aufmucken" muss auch im Theater mehrgleisig stattfinden und ein Wandel der Besetzungspraxis und internen Strukturen ist Teil davon. Gleichzeitig muss es aber auch über künstlerische Inhalte und Formen eine klare Positionierung gegen Rechts geben. Sonst kommt es zu Szenarien wie in Altenburg-Gera, wo ein "Bürgerforum" im Oktober 2016 zum Boykott des Theaters aufrief, nachdem Schauspieler*innen öffentlich Partei für Flüchtende ergriffen hatten. 2017 dann, verließen vier Schauspieler*innen mit Wurzeln unter anderem in Griechenland, der Türkei und Burkina Faso das Ensemble, auch weil sie sich in ihrem Alltag immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sahen. Angesichts solcher Vorkommnisse, war Ruchs Ausladung durch eine staatliche Institution sicher das falsche Signal.

 

Lara-Sophie Milagro ist Schauspielerin, in der Leitung des Künstler*innen Kollektivs Label Noir, Berlinerin in der fünften Generation und fühlt sich immer da heimisch, wo Heimat offen ist: wo sie singt und lacht, wo sie träumt und spielt.


In ihrer letzten Kolumne widmete sich Lara-Sophie Milagro unvermuteten Gesichtern in den Reihen der Rechten.

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