Misogyne Störgeräusche

von Mirja Gabathuler

Basel, 16. November 2019. "Ein wunderbarer Tag für einen Museumsbesuch!" ist ein Satz, den man auf einer Theaterbühne nicht unbedingt erwarten würde. In Sibylle Bergs Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2", uraufgeführt am Theater Basel, fällt er gleich zu Beginn.

Portioniert in Plexiglas-Vitrinen

Prächtiges Wetter sei es, "um in die Vergangenheit zu stromern" und "mit angenehmem Schauer vergangene Lebensformen, ausgestorbene Tiere und Menschen" zu besichtigen, verkünden die acht Schauspielerinnen und Schauspieler. Und laden aus einer fiktiven Zukunft zur Museumstour ins 21. Jahrhundert. Das Objekt der Neugierde: das prototypische Paar der Gegenwart. In sieben Gärten tobt sich dieses im Verlauf des Abends aus – Vorspielgarten, Liebesgarten, Missionarsgarten, Kindergarten, und so weiter.

Lysistrata 560 SandraThen uFünf Prototyp-Frauen (vorn) und drei Prototyp-Männer (hinten) im Museum des 21. Jahrhunderts © Sandra Then

Als Schauplatz dieser Stationen einer Beziehung ist auf der Bühne eine Art Diorama für Flirts und Familienbildung eingerichtet. Eine idealtypische Wohnung, portioniert in engen Plexiglas-Vitrinen: Schlafzimmer, Esstisch, Küche, Klo – allerorts spriessen Plastikblumen und Spiessigkeit.

Nicht nur das Mobiliar ist den 1960ern entliehen: Die fünf Prototyp-Frauen namens Lysistrata (nach der Titelfigur der Komödie von Aristophanes) tragen Pillbox-Hütchen und Dauerwelle, die drei Prototyp-Männer namens Bernd steil betonierte Haartollen. Die Gesichter sind mit einer dicken Schicht greller Schminke versiegelt, die Körper in fleischig rosanen bis synthetisch silbernen Funktionsanzügen verpackt – was herausragt, steckt in bunten Strümpfen. Wie Retro-Schlümpfe sehen sie aus. Irgendwie toxisch.

Geschlechterkampf und Konsumterror

Längst ungeniessbar geworden sind die Rollenbilder, die von ihnen durchexerziert werden. Die Frauen sind aufs Schön- und Stillsein konditioniert und fortdauernd damit beschäftigt, ihre Körperteile im "Zustand optimaler Begattbarkeit" zu drapieren. Die Männer geben die genital-getriebenen Alphatiere, die ihre Komplexe durch Rudelbildung kompensieren und unablässig ungefragt die Welt erklären. Jede Begegnung zwischen Mann und Frau festigt dieses Bollwerk der Binaritäten. Es herrscht Geschlechterkampf, Konsumterror, Körperkult, konstante Krise vor dem Spiegel – und postpubertärer Krampf im Bett.

Da wird in der Küche zwanghaft Stangengemüse geschält, pardon, gehobelt, während sich im Schlafzimmer Oralverkehr leichter mit der Dauerfixiertheit auf Smartphone-Screens vereinbaren lässt. Der Vereinigungswahn findet seinen Höhepunkt in einer akrobatischen Vortäuschungsnummer, bei der jeder seine Leistung und Lust akribisch selbst vermisst. Kinder werden aus Mangel an Alternativen gezeugt, und so was wie Liebe gibt es nur in schmissigen Balladen. Für Zwischentöne in dieser holzschnittartigen Museum der Gegenwart sorgen vier Musikerinnen und Musikern. Orgasmen übersetzt in Operngesang – das hat man auch schon gehört, aber kaum so gut im Ton getroffen wie hier.

Lysistrata1 560 SandraThen uGnadenlose Bespiegelung: Linda Blümchen © Sandra Then

Sibylle Berg, die vor Kurzem den Schweizer Buchpreis erhalten hat, holt in ihrem Stück mit Emphase zur gnadenlosen Bespiegelung eines diffusen Unbehagens der Geschlechter aus. "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" ist im Grundton abgebrüht, absurd – und wahnsinnig komisch. Die Boomerang-Effekte der Gegenwart finden Resonanz; die misogynen Störgeräusche der Ära #metoo, der Ära der wütenden und streikenden Frauen.

In der Inszenierung von Miloš Lolić dominiert jedoch die beissend böse Komik, die sich aus der Übertreibung und Verdrehung von Gender-Gemeinplätzen speist. Die Geschlechterrollen werden im Laufe des Abend schleichend vertauscht. Und den verzweifelt-verunsicherten Bernds dieser Welt bleibt am Ende – nach antikem Vorbild der Lysistrata – nur noch der Sexstreik, um ihre längst an den Nagel gehängte Überlegenheit zumindest noch zu behaupten.

Bissige Parade

Von den Frauen wird dieser Protest noch nicht einmal bemerkt. Und so mündet das anfängliche Paradiesgarten-Hopping im Albtraum-Szenario: Die Männer, die auftoupierten Pinsel, verkrümeln sich aquarellmalend ins selbstgewählte Vorstadt-Exil, um friedlich auszusterben. Die Frauen vermissen sie kaum, sind sie doch damit beschäftigt, sich von mansplainenden Super-Sextoys durchrütteln zu lassen, in Vorständen zu sitzen und die Welt zu retten. Nur wozu noch was retten – das scheint niemandem mehr so richtig klar.

Einerlei: Verdienter Schlussapplaus. Das Tempo stimmt, die Pointen sitzen, selbst da, wo eine Passage zwischendurch kurz holpert, machten die Bernds und Lysistratas auf der Bühne eine wunderbare Figur: als Einzelstimmen – etwa zynisch-abgeklärt wie Carina Braunschmidt oder quirlig-abgedreht wir Eva Bay – und als Kollektiv. Das reisst mit, und sorgt für einen kurzweiligen Abend.

Und so verzeiht frau dieser bissigen Garten-Parade breitwillig, dass sie sich etwas arg im Dickicht der Gender-Klischees vertrabt – und in ihrer zur Schau gestellten Karikaturhaftigkeit nur beschränkt zur ernsthaften Gegenwarts-Diagnose taugt.

 

In den Gärten oder Lysistrata Teil 2
von Sibylle Berg nach Aristophanes
Regie: Miloš Lolić, Dramaturgie: Julia Fahle, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Jelena Miletić, Musik: Nevena Glušica, Licht: Cornelius Hunziker.
Mit: Eva Bay, Linda Blümchen, Carina Braunschmidt, Urs Peter Halter, Anica Happich, Vincent zur Linden, Julia Nachtmann, Moritz von Treuenfels Cristina Arcos Cano / Luis Homedes López (Saxofon), Nicola Hanck (Harfe), Eva Miribung / Anna Faber (Violine) Brunode Sá / Sarah Baxter (Gesang).
Premiere am 16. November 2019
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

"Weil das Stück von Sibylle Berg ist", meint Christian Gampert im BR (online 17.11.2019), "bewegen wir uns nicht, wie in der christlichen Malerei, in lauter Paradiesgärtlein, sondern kapitelweise im Vorspielgarten, Liebesgarten, stellungstechnisch im Missionarsgarten, ja sogar im Kindergarten". Der "mäandernde Zyniker-Pop-Slang" komme "phasenweise sehr lustig daher, über lange Strecken kann er aber auch ziemlich nerven". Aristophanes' Plot, "der Sex-Streik", so der Rezensent, werde von Berg "in eine ziemlich schreckliche Dystopie gewendet, die in der Inszenierung von Miloš Lolić leider sehr aufgedreht-lustig arrangiert ist: die Männer windeln Babies und ziehen sich in Männergruppen zurück – keine Lust mehr auf Sex, 'und die Frauen merken es nicht einmal'". Der Regisseur mache "Unterhaltungstheater mit der dicken Keule".


In Miloš Lolić' Inszenierung, die in einem "Museum vergangener Alltagskultur" spiele, werde "sehr viel und vor allem sehr schnell gesprochen", schreibt Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (18.11.2019), die in dem Abend "etwas von der gut geölten Herbert-Fritsch-Maschinerie" wiedererkennt. Aber Sibylle Berg wolle es nicht beim Witz belassen, sondern sich "in den öffentlichen Diskurs als kritische Beobachterin des Zeitgeists" einmischen, wie ihre Diagnose zeige: "Liebe ist ein ideologisches Konstrukt", was im "Durchgang durch die verschiedenen Gärten" niederschmetternd offengelegt werde.


"Das Zweigeschlechterzeitalter gilt als überwunden, es war halt doch kein evolutionärer Endzustand": Das sei die "gute Nachricht aus der Zukunft", die Sibylle Berg dem Basler Publikum überbringe, findet Stephan Reuter in der Basler Zeitung (18.11.2019). Dabei sei das Stück "weniger zynisch, als man es von der Autorin kennt". Uraufführungs-Regisseur Miloš Lolić mache sich "einen Heidenspaß aus dem Szenario", das mit "rasierklingenscharfen Pointen" aufwarte.

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