Deutschlands schnellster Dramaturg wird Thalia-Chef

von Simone Kaempf

Hamburg, 13. Mai 2007. Nun bekommt das Thalia Theater also doch wieder einen nicht-regieführenden Intendanten. Gerüchte behaupteten zuletzt zwar, dass Stefan Bachmann und Martin Kusej im Rennen um den Posten die Nase vorn haben – beides Regisseure, die auch als Theaterleiter garantiert nicht aufs Inszenieren verzichtet hätten. Aber nun heißt es doch ganz unglamourös: Joachim Lux.

Der überraschende Vorschlag der Findungskommission, die dem Aufsichtsrat des Thalia empfiehlt, mit Lux, zur Zeit  Chefdramaturg am Wiener Burgtheater, über einen Vertrag ab der Spielzeit 2009/10 zu verhandeln, steht ganz in der Erfolgslinie der Khuon-Variante: lieber einen denkenden Strippenzieher an der Spitze des Theaters, einen, der die Entwicklungen des Zeitgenössischen genau im Auge hat und dem genügend Zeit bleibt, die Atmosphäre im Haus wie das Verhältnis zur Stadt zu pflegen, als einen, der auch selbst als Künstler auftrumpfen will. Punkte, die dafür sprechen, dass Lux genau der Richtige ist, das zur Zeit künstlerisch erfolgreichste deutschsprachige Theater zu übernehmen.

Als Intendant wäre Joachim Lux, 1957 in Münster geboren, zwar ein Neuling, aber in knapp acht Jahren am Wiener Burgtheater, seit 2006 als Chef der Dramaturgie, hat er einige Erfahrungen mit einem großen Haus gesammelt. Zumal mit einem, das einen ähnlichen Gemischtwarenladen wie das Thalia abgibt, aber nochmal eine Nummer größer und mit erheblich höherem Etat.

Wien mag für ihn auch in der Hinsicht eine Lehrzeit gewesen sein, seine eigenen Ambitionen als Regisseur ad acta zu legen. Nicht nur aus Wien, sondern zuvor von seiner Arbeit in Bremen und Düsseldorf verfügt er über allerbeste Kontakte zu Regisseuren und Autoren, davon kann man ausgehen. Als Dramaturg hat er zuletzt erfolgreiche Arbeiten wie Jan Bosse "Viel Lärm um Nichts" oder Nicolas Stemanns Inszenierung von Jelineks "Babel" betreut. Breites, abwechslungsreiches Theater wird es in Hamburg mit ihm also garantiert weiter geben.

Unter Journalisten, die mit ihm zu tun hatten, gilt er als der schnellste Dramaturg ("man schreibt ihm noch und er antwortet bereits"), als akribischer Denker und Diskutierer. Bei der Moderation von zahlreichen Podiumsgesprächen hat er durchaus  Geschicklichkeit im Umgang mit allen Beteiligten bewiesen. Und seine intellektuelle Aura mag auch vergangene Woche die Hamburger Findungskommission überzeugt haben, vor der jeder der vier Kandidaten (neben Lux die Frankfurter Intendantin Elisabeth Schweeger, sowie die Regisseure Stefan Bachmann und Martin Kusej) nochmal seine Pläne präsentieren musste.

Lux‘ Handicap dürfte sein, dass man ihn bisher noch nie als einen entscheidungsschnellen Machtmenschen kennengelernt hat, der das Ruder gegen interne Widerstände rumreißen kann, wenn es im Haus nicht läuft. Aber das wäre düstere Zukunftsmusik. An den Beispielen von Friedrich Schirmer am Hamburger Schauspielhaus oder Frank Baumbauer an den Münchner Kammerspielen zeigt sich im Moment, dass selbst jahrzehntelange Erfahrung wenig hilft, wenn gerade der Wurm drin steckt. Die Herausforderung, das Thalia Theater Hamburg weiter als eine der ersten Adressen auf bisherigem Niveau zu halten, scheint bei ihm gut aufgehoben. Welches inhaltliche und ästhetische Programm seinem Auftrag folgt, wird er noch darlegen müssen. Durchdacht wird es sein: hundertprozentig.

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