Wolken.Heim - Deutsches Theater Berlin
Nationalgedöns auf dem Mont Klamott
von Leopold Lippert
Berlin, 29. November 2019. In grässlich grasgrünen Glitzeroutfits, fünffacher Einheitslook, treten sie auf die Bühne. Die Campingstühle werden auf dem Kunstrasenteppich ausgeklappt, das Lächeln im Gesicht ist selig. Drei Frauen, zwei Männer (Edgar Eckert, Lorena Handschin, Holger Stockhaus, Birgit Unterweger, Regine Zimmermann): Sie sind höflich zueinander, sie strahlen einander an. Die Vögel zwitschern Idylle aus dem Off, das Licht ist warm. Und bei dieser ersten Zeile – "Da glauben wir immer, wir wären ganz außerhalb. Und dann stehen wir plötzlich in der Mitte" – möchte man gleich an die Grünen denken, an die Fridays, die jetzt Mainstream sind, an Jamaika, Kenia, und die 21 Prozent bundesweit.
Blut und Boden
Dabei soll es doch um deutsches Blut-und-Boden-Nationalgedöns gehen in den DT-Kammerspielen, wo Martin Laberenz "Wolken.Heim" von Elfriede Jelinek inszeniert, eine 1988 erschienene Collage aus dem durchaus reichen Zitateschatz des deutschen Nationspathos, von Hegel und Hölderlin über Heidegger zur RAF. Das Stück, eine frühe "Textfläche" Jelineks, ist ein Fest für Philologie-Nerds, denn die Autorin macht die Zitate nicht kenntlich und verfremdet sie teilweise auch noch.
Da klingt es zunächst interessant, das pathosgetränkte Herumschwadronieren über die reife Frucht der Zeit, den Samen der Geschichte und das immer wiederkehrende sanft-selbstzufriedene "Wir sind ganz bei uns" als Öko und Eso zu verstehen, als paradoxes Begehren nach dem Garten Deutschland, nach Organischem, Authentischem, Ausgeglichenem. Da passt es auch gut, dass alle paar Minuten ein mehrstimmiges kirchentagstaugliches Liedlein angestimmt wird, über Bäume und Wiesen und so.
Nach Heimwerker-Art
Doch das Bild der Öko-Idylle trägt den Abend nicht, denn hier soll noch Großes gebaut werden (Bühne: Bettina Pommer): Nach und nach schleppen die fünf Schauspieler*innen (von verteilten "Rollen" zu sprechen wäre übertrieben, niemand darf Persönlichkeit entwickeln, die sich über Jelineks Textfläche erheben würde) sperrige Holzteile auf die Bühne, und sogar eine dick verpackte überlebensgroße Statue wird angerollt. Schließlich übernehmen die Bühnenarbeiter und schrauben die vorgefertigten Teile zu einem riesigen Torten-Podest zusammen, das zwar stabil ist, aber doch unfertig, voller nicht richtig abgedeckter Öffnungen. Auch die Statue bleibt unausgepackt, seltsam amorph in der Ecke stehen.
Inzwischen hat sich auch die Stimmung gedreht, und die Selbstgefälligkeit des Beginns ist einer ständigen Unsicherheit gewichen. Die Stimmen werden gepresster, hektischer, und die Blicke panischer. Nach und nach werden die Unisex-Glitzeroutfits gegen schwarze Anzüge und Rauschekleider (konventionell gegendert) eingetauscht, und am Ende macht sich so etwas wie Resignation breit: Als Regine Zimmermann erklärt, "Aber wir bleiben hier, hier sind wir zuhaus", klingt das kaum wie eine stolze Behauptung, sondern wie eine zaghafte Frage, auf die sie die Antwort nicht so recht weiß.
Tapferkeit! Transparenz! Trümmer!
Verlorene Idylle. Unfertige Neubauten also. Leider wird das Unfertige auch sinngebend für die Inszenierung selbst, der eine größere inhaltliche und auch bühnenästhetische Klammer fehlt. Klar, da sind witzige Einfälle – zum Beispiel, wenn der Text weiter verfremdet wird, und etwa die Zeile "Unsere Geschichte ist die…" eine kleine Sequenz lang sehr megalomanisch mit Begriffen wie "der Tapferkeit! der Transparenz! des Humors! der Hochhäuser! der Automobilindustrie! usw." vervollständigt wird. Nur damit dann das tatsächliche Ende des Satzes umso drastischer klingt: "Unsere Geschichte ist die der Toten, bis der Boden endgültig verstummt."
Trotzdem: der Eindruck des Zusammengeschusterten bleibt. Dabei wird symptomatisch, dass die Schauspieler*innen ab der zweiten Stückhälfte zunehmend textunsicher (durchaus passend zur inszenierten Unsicherheit des Textes) werden, und immer öfter auf die Souffleuse angewiesen sind. Das entwickelt spätestens dann eine unfreiwillige Komik ob der vielen doppelten Böden, wenn ein Satz wie "Und worauf stützt sich unsere Sicherheit" laut hörbar eingeflüstert werden muss. Immerhin gibt's zum Schluss noch eine Auflösung: Zum DDR-New Wave-Sound von Silly besingt Lorena Handschin ganz oben auf der großen Sperrholztorte den "Mont Klamott" unter ihr. Dieser Garten Deutschland also: der Weltkriegs-Trümmerberg im Volkspark Friedrichshain.
Wolken.Heim
von Elfriede Jelinek
Regie: Martin Laberenz, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Aino Laberenz, Musik: Polina Lapovskaja, Licht: Marco Scherle, Dramaturgie: Bernd Isele.
Mit: Edgar Eckert, Lorena Handschin, Holger Stockhaus, Birgit Unterweger, Regine Zimmermann.
Premiere am 29. November 2019
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
Katrin Pauly schreibt in der Berliner Morgenpost (online 30.11., 14:53 Uhr) Trotz einiger "Auflockerungen" sei der Abend eine eher "anstrengende Angelegenheit". Das liege nicht nur an "der Komplexität des Textes", sondern auch daran, "dass der Regisseur keine echte inszenatorische Verortung für ihn findet". Die "Idee mit dem Denkmalsockel", der Rohbau bleibt, sei tragfähig genug, "um ein wenig auf den Urnen der Ideologiegeschichte zu turnen", aber "letztlich dann doch insgesamt ein bisschen zu wenig für einen Stoff mit dieser Tiefe und Komplexität".
"Spielerisch gedämpft, nur bewusstlos Sätze jonglierend, lassen sie eine bräsig-schöne Bildungsbürger-Satire frei." Sehr bald aber schwinge der Hölderlin-Hegel-Sound ins Leere, schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (1.12.2019). "Mehr Mut wäre nötig gewesen, um den Text neu, vielleicht kollagiert, in die Mangel zu nehmen und im lauten Heute hörbar zu machen."
"Martin Laberenz fällt zu Jelineks Text wenig mehr ein, als ein zunächst glitzergrün und später schwarz kostümiertes Schauspieler-Quintett in Gartenstühlen vor Kunstrasen zu platzieren", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (online 3.12.2019). Es werde "eher frei schwebend deklamiert als durchdrungen", was sich auch darin zeige, dass "sich die Schauspielerinnen und Schauspieler in der Premiere häufig an die Souffleurin wenden müssen". Immerhin allerdings entstünden so "ganz eigene Verweisungszusammenhänge".
"Eine Aufarbeitung dessen, was das Deutsche des Jahres 2019 ausmacht, ist von diesem Text schwerlich zu erwarten", schreibt Michael Wolf im Neuen Deutschland (4.12.2019), und fragt: "Warum also jetzt dieses Stück?" Regisseur Martin Laberenz jedenfalls bleibe "die Antwort schuldig". Es sei ihm kaum gelungen, aus "aus dem Material ein organisches Ganzes zu schaffen", worauf auch die zahlreichen "Texthänger" in der Premiere hinwiesen. Die Schauspieler schienen nicht nur unsicher, "wann sie was sagen sollen, sondern auch warum sie überhaupt diese Texte sprechen sollten".
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Zum Fremdschämen!!!
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Lieber Herr Ahnstätten, wir glauben, dass derartig vehemente Adressen, die einzelnen Schauspielern das Vermögen absprechen, nichts zu einer sachlichen Debatte beitragen. Diese Attacken auf nachtkritik.de vorgetragen, funktionieren vielmehr wie eine Art Pranger, an den einzelne Schauspieler gestellt werden, die quasi nie alleine für das Gelingen oder Misslingen eines Abends verantwortlich sein können.
Ich sage es gleich, gegen eventuelle Einwände, diese regel würde ja wohl nicht konsequent angewendet: Wir verfahren in solchen Fällen nicht einheitlich, es ist dem Ermessen und Empfinden des jeweiligen Redateurs überlassen, eine Grenze zu ziehen, jenseits der Kritik in Beschimpfung übergeht. Bei Ihrem Kommentar ziehe ich die Grenze.
mit freundlichem Gruß
jnm
Wie überhaupt Fährten, Assoziationsketten nicht nur nicht weiterverfolgt sondern zumeist gar nicht gelegt werden. Mit zunehmender Dauer wird immer deutlicher, dass Laberenz mit dem über 30 Jahre alten Text nichts anzufangen weiß. Er spürt den Verbindungen ins Heute – mehr als offensichtlich, wenn man den Text auch nur überfliegt – nicht nach, verortet die Zitatsammlung in einer fast schrulligen, reichlich harmlos wirkenden kulthaften Esoterik, das Ritualhafte der Verklärung einer nie so existiert habenden Vergangenheit erscheint lächerlich, aber eben auch – inmitten von Kunstrasen und Vogelgezwitscher – eher belanglos, die ideologisierte Aufladung eines Wir-gegen-sie-Denkens, die geistigen, literarischen und intellektuellen Fundamente eines Hasses, der längst wieder an der Oberfläche ist, weit weg. Laberenz lässt den Text lesen, aber nicht in ihn eindringen, ihn befragen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. So bleibt wenig mehr als eine heitere Textprobe mit vielen Fragezeichen. Auf und jenseits der Bühne.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2020/01/28/textprobe-mit-fragezeichen/
Bei seiner letzten Jelinek-Inszenierung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin thematisierte Regisseur Laberenz die vielen Fragezeichen, die Jelineks „Wut“ bei ihm und seinem Ensemble hinterließ, noch in witzigen und geistreichen Szenen, die in einem slapstickhaft-gedehnten „Hä?“ und einem SOS-Ruf gipfelten. Mit dem älteren Text „Wolken.Heim.“ konnte Laberenz offensichtlich noch weniger anfangen.
Etwas mehr als eine Stunde prasseln die Textbrocken auf das Publikum nieder und rauschen schlicht vorbei: ohne einen interessanten Regie-Einfall, ohne eine erkennbare Frage an den Text.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/01/28/wolken-heim-deutsches-theater-kritik/