Kontinuität und Verlässlichkeit!

von Thomas Rothschild

Dornbirn, 3. Dezember 2019. Isabella, gespielt von Isabella Jeschke – die Figuren tragen in diesem Stück die Vornamen ihrer Darstellerinnen –, tänzelt mit weichen Knien in den Vordergrund und kaut Kaugummi. Kirstin (Schwab) leckt ihr die nackte Schulter. Susanne (Brandt) hält sich abseits. Zwei Männer in hochgeschlossenen schwarzen Pullis, karierten Hosen und Sicherheitsschuhen stehen, den größten Teil des Abends stumm, auf flachen Podien und klopfen sich auf die Oberschenkel. Hinten wartet die Wiener Band Dun Field Three auf ihren Einsatz, links und rechts oben sieht man in Zeitlupe klatschende Hände in Großaufnahme. Das Aktionstheater Ensemble landet seinen neuesten Coup.

Auf der Suche nach dem Heil des Einzelnen

Allzu wörtlich sollte man die Bezeichnung "Ensemble" nicht nehmen. Es handelt sich vielmehr um einen Pool von rund zwei Dutzend Schauspieler*innen, aus denen von Produktion zu Produktion eine jeweils andere Auswahl getroffen wird. Die Konstante liefert Martin Grubers Handschrift. Der Regisseur steuert seine Darsteller*innen wie ein Dirigent die Instrumente eines Orchesters. Der Spiel-Raum für Individualismus ist, zumal bei den choreographierten Parallelbewegungen, begrenzt. Das mag manchen (politisch) bedenklich erscheinen. Für das künstlerische Ergebnis muss es kein Nachteil sein.

Heile mich 2 560 c StefanHauer uDas "Heile mich"-Aktionstheater Ensemble in Aktion © Stefan Hauer

Immerhin sind im Gegenzug die Schauspieler*innen an der Erstellung des Textes beteiligt. Diesmal geht es, freilich, wie schon in den vorausgegangenen Stücken, nicht im Sinn einer konsekutiven Handlung, um die Suche nach dem Heil des Einzelnen. Jedenfalls nach dem deklarierten Willen der Macher. Dass er nur Behauptung bleiben könnte, sich den Zuschauern nicht unmittelbar erschließt, wird in Kauf genommen. "Heile mich" impliziert einen Mangel. Worin der besteht, bleibt vage. Wie der Adressat des Imperativs. Er richtet sich, wie die Blicke der Bühnenfiguren, stets auch ans Publikum.

Das Aktionstheater Ensemble genießt längst eine zweite Heimat im Wiener Werk X. Aber es hat nicht vergessen, wo es vor dreißig Jahren gegründet wurde, nämlich im Spielboden im Vorarlberger Dornbirn, einem jener Veranstaltungszentren, in denen man sich anschickte, einer verkrusteten bürgerlichen Kultur im Windschatten der 68er-Revolte Alternativen entgegen zu halten. Und so kehrt es regelmäßig hierher zurück, um weit ab vom österreichischen Wasserkopf seine Premieren zu feiern, ehe es nach Wien übersiedelt, weil der Berg bekanntlich nicht zum Propheten kommt.

Jelinek + Bernhard

Mehr als in den vorausgegangenen Produktionen spielt diesmal Musik eine zentrale Rolle. Martin Grubers Inszenierungen haben seit je musikalische Strukturen imitiert. Diesmal aber gibt Musik im engen Wortverständnis – eine Stilmischung zwischen Alternativ-Rock, Hip Hop und Folk, mit Anklängen an Lou Reed und Brian Ferry – den Rhythmus vor. Auffälligstes Merkmal ist das Stilmittel der Wiederholung. Die Dialoge nehmen sich über weite Strecken aus wie ein Konglomerat aus der jungen Elfriede Jelinek der "Liebhaberinnen" und Thomas Bernhard. Sie sind umgangssprachlich, grammatisch unterkomplex und in der Wortwahl eher ungebildeten Personen zuordenbar. Sie verweisen zurück auf Ödön von Horváths "Demaskierung des Bewusstseins". Sie nähern sich dem Plappern, einer Redeform, die sich verselbständigt und wenig mitteilt. Redundanzen dienen wiederum der musikalischen Form, nicht der Information oder der Kommunikation.

Eine Kostprobe:

"Susanne: Ich habe zur Isabella gesagt: Den nimmst du dir! Habe ich das gesagt, Isabella?

Isabella: Ja, das hast du gesagt, Susanne.

Susanne: Das habe ich gesagt. Habe ich das gesagt, Isabella?

Isabella: Ja, das hast du gesagt, Susanne.

Susanne: Habe ich gesagt. Habe ich gesagt. Habe ich das gesagt, Isabella?

Isabella: Ja, das hast du gesagt, Susanne.

Susanne: Habe ich gesagt. Habe ich gesagt. Das habe ich gesagt."

Und dann, als wäre es ein ungewollt ironischer Kommentar zu derlei Dialogen: "Kontinuität und Verlässlichkeit sind sehr wichtig!"

Das ist eminent bühnenwirksam: Einmal, weil es erst laut gesprochen voll zur Geltung kommt, und dann, weil es sich bruchlos einfügt in Grubers Choreographien – nicht im Sinne einer verdoppelnden Übereinstimmung, sondern einer kontrapunktischen Komposition.

Lässige Bewegung

Das Aktionstheater Ensemble sprengt die Grenzen des überlieferten Sprechtheaters und macht Anleihen beim Tanztheater, wie es sich seit Pina Bausch entwickelt hat, ohne freilich dessen Kunstfertigkeit anzustreben. Und es erzeugt Vergnügen, den drei Frauen bei ihrem Spiel zuzusehen: wenn sich Isabella vorbeugt und mit überzogener Mimik beteuert: "Sieben Minuten beim Bäcker! Da sage ich nur: Fuck off!"; wenn Kirstin ihre Stirn in herrlichem Zorn in Falten legt oder den Song des Trios in Gebärdensprache übersetzt; wenn Susanne angestrengt und mit verschmierter Creme im Gesicht die Ruhe bewahrt.

Heile mich 1 560 c StefanHauer uMit Stinkefinker: Isabella Jeschke und der Musiker Emanuel Preuschl © Stefan Hauer

Zwischendurch vollziehen die beiden Herren auf den Podien einen Stampftanz. Die vorherrschende Bewegung aber ist lässig. Und somit auch ein Einspruch gegen die zackigen Choreographien im täglichen Fernsehballett. Das Aktionstheater Ensemble ist anders. Seine Fangemeinde zwischen Dornbirn und Wien-Meidling, die im Übrigen das Gerücht widerlegt, dass es für das Theaterpublikum keinen Nachwuchs gebe, wird von ihm auch in Zukunft nicht das Heil erwarten, wohl aber eine Kurzweil der anspruchsvollen Art.

Heile mich
von Martin Gruber und dem Aktionstheater Ensemble
Regie: Martin Gruber, Dramaturgie: Martin Ojster, Musik: Dun Field Three.
Mit: Susanne Brandt, Isabella Jeschke, Kirstin Schwab, Andreas Dauböck, Klaus Hämmerle, Dieter Kern, Ernst Tiefenthaler, Emanuel Preuschl .
Premiere am 3. Dezember 2019
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.spielboden.at

 

Kritikenrundschau

In der neuen Arbeit des Aktionstheater Ensembles "entlarvt Gruber die Verdrängungsmechanismen einer Gesellschaft, die auf Erlösung hofft, egal auf welche", berichtet Julia Nehmiz für den Standard (4.12.2019). "Grubers drei Protagonistinnen bewegen sich wie irre um sich selbst. Ein Draußen? Gibt es nicht mehr. Mit enervierender Energie arbeiten sie sich an immer absurderen Dialogen ab."

"Die emotionale Bandbreite, die den Zuschauer" dieses Stücks "frontal trifft, ist kaum zu überbieten", schreibt Lisa Kammann in der Neuen Vorarlberger Tageszeitung (5.12.2019). "Vom Lachen über spannungsgeladenes Schweigen und Depression bis zum Weinkrampf" sei alles dabei. Das Stück führe die Spielerinnen bis an die "Schmerzgrenze", präsentiere "Frauen, die ihre Wunden offen zeigen". Hervorgehoben werden die Musik und die Möglichkeit zur Einfühlung für das Publikum, das langen Applaus gespendet habe.

"Das Stück muss man erleben – mehrfach", urteilt Ursula Fehle in den Vorarlberger Nachrichten (4.12.2019). Wer sich in den Protagonistinnen dieses Stücks nicht wiedererkenne, habe "seine Menschlichkeit bereits gänzlich verloren", heißt es. "Das Stück schließt mit unendlicher Hoffnungslosigkeit und lässt das Publikum in dieser zurück." Hier gelinge ein Theater, "das verstört, bewegt, das zum Nachdenken anregt, Menschen zeigt, wie sie sind und nachwirken". Eine "großartige Leistung des gesamten Ensembles".

 

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