Gescheitertes Schauerspiel

von Janis El-Bira

Berlin, 5. Dezember 2019. Um zu wissen, muss man sich ein Bild machen. So beginnt "Bilder trotz allem", die berühmt gewordene Abhandlung des Kunsthistorikers Georges Didi-Huberman über die so genannten "Sonderkommando-Fotografien". Dabei handelt es sich um vier Fotos, die der griechische Auschwitz-Häftling Alberto Errera vermutlich im Sommer 1944 mit einer geschmuggelten Kamera vom Vernichtungsprozess in Birkenau anfertigte.

Unauflöslicher Widerspruch

Zwei der Bilder zeigen die Verbrennung von Leichen in Gruben, ein drittes entkleidete Frauen auf ihrem Weg in die Gaskammern, das vierte – weil die Kamera auf Hüfthöhe gehalten werden musste – einen Fehlschuss in die Baumkronen. Die Fotos gelten als die einzig bekannten, die das Geschehen im unmittelbaren Umfeld der Gaskammern und die "Entsorgung" der sterblichen Überreste der Ermordeten bildlich dokumentieren. Sie sind, schreibt Didi-Huberman, "vier Stücke Film, der Hölle entrissen". Errera, der kurz nach diesen Aufnahmen bei einem Fluchtversuch getötet wurde, war Mitglied des "Kommandos" für die Aschebeseitigung, das die Knochenreste der Toten nach der Verbrennung zermahlen und in die Soła streuen musste.

logo squashed 1400x653Logo der Aktion © Zentrum für politische Schönheit

Mit seiner nun abgesagten Aktion "Sucht nach uns!" hat das Zentrum für politische Schönheit (ZpS) versucht, vermeintliche Asche der Ermordeten zurückzubringen; sie nicht "der Hölle zu entreißen", sondern der Erde, wo sie – wie es auf der abgeschalteten Webseite der Aktion hieß – "vergessen, verdrängt oder nie gesucht" wurde. Eingelassen in eine Säule vor dem Berliner Reichstagsgebäude sollte sie Mahnung und Versammlungspunkt eines "zivilgesellschaftlichen Zapfenstreichs und Schwurs gegen die AfD" werden. Bildproduktion ist das Kerngeschäft des ZpS und diese "Aschesäule" wäre als von Leichenresten gestützte Achse zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein schier monströses Bild gewesen. Aber hätte es seine Betrachter*innen auch "wissen" lassen?

Zum "Zapfenstreich" ist es nicht gekommen. "Sucht nach uns!" ist gescheitert – und hätte genau genommen schon in seinem Zustandekommen scheitern müssen, noch bevor insbesondere jüdische Organisationen massive Kritik an der Aktion übten. In ihrem Kern nämlich hat die Aktion des ZpS versucht, einen unauflöslichen Widerspruch in der Frage nach der Darstellbarkeit des Undarstellbaren zu durchkreuzen. Die rest- und spurenlose "Beseitigung" der Opfer nämlich, das vollständige Auslöschen jeglicher Art von Andenken bis hin zur Vernichtung der Asche, war wesentlicher Bestandteil des Holocaust.

Das Unvorstellbare schlechthin

Dagegen wollte die Aktion des ZpS ein Zeichen, ein Bild setzen: Georges Didi-Huberman und das ZpS meinen insofern dasselbe, wenn der eine von einer "Maschine der Entbildlichung" durch die Täter spricht, die anderen von "vergessen" und "verdrängen". Die Ambivalenz, an der "Sucht nach uns!" gescheitert ist, scheitern musste, besteht aber genau darin, dass zur Singularität des Holocausts selbst eine tiefe Bilderskepsis gehört: Auschwitz ist das Unvor- und Darstellbare schlechthin. Symbolisieren, "bebildern" lässt es sich nur "trotz allem", hochspezifisch und keinesfalls "mit allem". Didi-Huberman nennt das in Anlehnung an Hannah Arendt und Primo Levi die "zweite Ordnung des Unvorstellbaren" – die erste besteht in der beinahen Vollständigkeit der "Endlösung" selbst.

An dieser Stelle schließen sich zahlreiche Fragen an, die "Sucht nach uns!“ trotz aller guten Absicht offensichtlich nicht zu Ende bedacht hatte. Sie gelten der Authentizität, der Instrumentalisierung und dem Umgang mit den Toten. Authentizität, weil es eben nicht egal ist, wessen Asche hier ausgegraben wurde. Zwar hat das ZpS früh klargestellt, dass sich in der Säule keine "Asche aus Auschwitz" befunden habe, definitiv jedoch "menschliche Überreste". Eine forensische Analyse der Bohrproben – zumal aus Gegenden, die im Zweiten Weltkrieg Orte von Kampfhandlungen gewesen sein dürften – kann aber nicht feststellen, ob es sich bei den Überresten tatsächlich um jene von Holocaustopfern handelt – was das vom ZpS beauftragte Gutachten auch unumwunden zu Bedenken gibt.

Logische Konsequenz

Genau in diesem Knick zwischen Authentizität und Ungewissheit entscheidet sich aber die Frage von Zeugnis und Darstellbarkeit. Die Fotografien Alberto Erreras dürfen deshalb als "Bilder trotz allem" gelten, weil in ihnen, wie Didi-Huberman sagt, das "Verschwinden des Zeugen und die Undarstellbarkeit des Bezeugten aufeinandertreffen". Sie bestätigen die Undarstellbarkeit und widerlegen sie zugleich. Das jedoch ist etwas sehr Anderes als eine Säule, in der sich vielleicht, vielleicht aber auch nicht die Asche der Opfer befindet. Die Ambivalenz des künstlerischen Moments im "Spielen" mit dem Authentischen wurde so vom ZpS für einen hohen, letztlich zu hohen Preis erkauft. Die Frage, ob mit der möglichen Asche (jüdischer) Toter so verfahren werden und ob sie dafür herhalten darf, kümmerlichen Figuren aus der Berliner Politik heimzuleuchten, ist nur logische Konsequenz dieses gefährlichen und hier gescheiterten Schauerspiels mit dem "touch of the real".

Trotzdem wäre es jetzt falsch, dem Zentrum für politische Schönheit die Selbstauflösung zu empfehlen. Man hat, darauf lassen die gestern verbreitete Stellungnahme und die Absage der Aktion schließen, begriffen und nun getan, was für eine Gruppe, die mit ihrer Kunst die Wirklichkeit perforieren will, das Schmerzhafteste sein muss: Das Spiel beendet. Der Sache ist das nur oder besser: allenfalls angemessen. Und doch steckt darin eine gewisse Größe, die im Scheitern die Chance aufs Weitermachen aufgehen lässt: Genauer, schärfer, besser.

 

el bira kleinJanis El-Bira, Jahrgang 1986, studierte Philosophie und Geschichtswissenschaften und arbeitet seither als Journalist mit Theaterschwerpunkt. Er moderiert die Sendung "Rang 1" im Deutschlandfunk Kultur, schreibt u.a. für die Berliner Zeitung und leitet das Theatertreffen-Blog bei den Berliner Festspielen. Seit 2019 gehört er der Redaktion von nachtkritik.de an.

 

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Kommentare  
ZPS-Kommentar: halbgar trotzig
Eins:
Es gibt Objekte aus sterblichen Überresten zum singulären Andenken, mit Asche, oder einer Locke zum Beispiel. Die bemalten Schädel in Hallstatt. Viktorianischer Gedenkschmuck aus Haaren. Darum geht es hier eindeutig nicht, sondern um die Materialität namenloser Toter. Es werden in der allgemeinen Diskussion tausendundein komische Vergleiche gezogen und das Grundsätzliche wird nicht verstanden.
In vielzitierten religiösen Kontexten („Reliquien!“) geht es gerade um die Entmenschlichung (sic). Ein Heiliger ist kein „normaler“ Mensch, sein Leib offiziell kein normaler Toter. Deshalb durften diese Körper überhaupt zerkleinert und an den Meistbietenden verteilt werden. Anderes Beispiel sind die hinduistischen Aghori, die bei den Toten leben und deren Reste nutzen um sich selbst dem Irdischen zu entheben.
Weiterhin hat neben Geistlichen jedes Verfahren mit menschlichen Stoffen immer mit Status zu tun, und zwar explizit dessen, der darüber verfügt. Gehobener Einfluß (z.B. Reliquienbesitz); besondere Ehrfurcht (z.B. Aghori); Macht durch Grausamkeit (Kriegstrophäen); Geltung mit Exotismus (z.B. Mumienpulver; Kuriositätenkabinette); streng limitierter Zugang zu Wissensaneingnung (z.B. Medizin).

Es gibt gute KünstlerInnen, die sich mit dem Holocaust bzw mit dem Vergessen beschäftigen. Susan Hillers „J. Street Project“ wurde -oh Ironie- vor ein paar Jahren im Deutschen Bundestag gezeigt.
Des Weiteren gibt es global ausgesprochen viele gute KünstlerInnen die Bilder zur Entwertung menschlichen Lebens schaffen. Die dazu mit lebenden Körpern, organischem Material, oder -dieses imitierend- mit künstlichem Material arbeiten. Mal subtil, mal schockierend, manchmal über der Grenze des Zumutbaren. Alle schaffen das ohne Asche oder Leichenteile in der Gegend rumzukarren. Ob sich da irgendeiner mal gefragt warum das wohl so sein könnte, oder musste Kunst dringend „neu gedacht werden“.

Zwei:
Das Spiel mit dem Kunstlabel ist das Eine, die Realität weitaus grimmiger. Es ist eine Sache einen unscharfen Vergleich zwischen 1933 und 2019 zu ziehen. Meine Unverzeihlichkeit gründet darin Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen, über Kontakte zu lügen und Fakten zu verdrehen um dem eigenen Anliegen Legitimität zu verschaffen. Interviews abzusagen, seinen Mann nicht zu stehen. Vor allem: die Arroganz den Nachkommen gegenüber. Der schrille Antisemitismus der sich bei manchen Verteidigern findet- unwidersprochen vom ZPS. Eine halbgare Entschuldigung. Der Trotz, das Festhalten. Es haben andere bereits weitaus besser darüber geschrieben: nichts ist gewonnen.
Kommentar ZpS: Instrumentalisierung
Treffender Kommentar. Aber dem ZPS wird wohl doch noch etwas zu viel Kredit eingeräumt: Es zieht sich durch dessen Arbeiten, dass mit der Schändung von Toten, der Instrumentalisierung der Shoah und mit einer beständigen Emotionalisierung und Pathetisierung von Politik gearbeitet wird. Das scheint einen Nerv bei einigen vermeintlich Linken zu treffen. Doch es ist mehr als ein kleiner Fehler, wenn man behauptet, die Asche jüdischer Opfer der Shoah nach Berlin transportiert zu haben. Es ist ein Verstoß gegen das Gebot der Totenruhe und gegen die jüdische Religion. Das ZPS stellt sich so in die Tradition der Mörder, die die toten Körper als Material ansahen, das man nutzen darf, wie es einem passt, zum Beispiel, um daraus Seife zu machen. Und es spekuliert darauf, dass solche Geschmacklosigkeit seine Aktion in die Medien bringen und seinen Marktwert im (Theater-)Kunstbetrieb erhöhen. Wenn es einen Grund für eine Gruppe gäbe, sich wegen fehlendem Talent oder fehlender Fähigkeiten selbst aufzulösen, hier wäre er.
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