Prometheus Unbound - Landestheater Linz
Die Maschine hat das Wort
von Reinhard Kriechbaum
Linz, 14. Dezember 2019. Ein zufällig hingeworfenes Wort aus dem Publikum? "Lotosblume", sagt die Dame spontan. "Stark duften" ist eine nahe liegende Assoziation. An diesem Abend verbreitet diese Blüte ein so betörendes Aroma, dass – auch eine Idee eines Premierengastes – einer "den Dampfkochtopf vergisst". Der erdachten Satzfetzen werden rasch übersetzt ins Englische und eingetippt in eine Wort-Kreativ-Maschine mit dem hübschen Namen "GPT-2".
In dieses Computerprogramm sind schon Wörter eingespeist. Unendlich viele Wörter, in unendlich vielen Sätzen. Angeblich würde ein Mensch, der die zehn Gigabyte Text liest, dafür 1.300 Jahre brauchen – ohne Essens-, Schlaf- und Rauchpausen. Wollen wir die Hochrechnung mal so stehen lassen, auf ein einige hundert Jahre plus minus soll es nicht ankommen.
Grenzen und Chancen
Es geht in dem neuen Projekt "Prometheus unbound" der beiden CyberRäuber – den Berliner Medienkünstlern Marcel Karnapke und Björn Lengers – ja nicht um Menge, sondern darum: Kann die Maschine wirklich von uns so viel lernen, dass sie von sich aus "vernünftig", gar kreativ handelt? Im Journalismus, für nüchterne Meldungen, gibt es das bereits.
Warum aber jetzt der Stücktitel "Prometheus Unbound"? Prometheus hat dem Menschen das Feuer gebracht, und dagegen war Zeus machtlos, obwohl er den Störenfried anketten und peinigen ließ. Wenn man die künstliche Intelligenz so fuhrwerken ließ wie Prometheus – was für Folgen könnte das auf der Theaterbühne haben?
Weiterentwicklung von Sprache
Die CyberRäuber schicken ihr Publikum gerne mit virtuelle Realität produzierenden Brillen ins Theater oder an andere Orte (zuletzt in Romeo & Julia beim Kunstfest Weimar oder für die Oper "Freischütz" in Karlsruhe und Linz). Diesmal, auf der Studiobühne des Linzer Landestheaters, sitzt man analog auf Kissen. Sogar auf dem mit spiegelnder Silberfolie ausgelegten Podest darf man Platz nehmen. "Bühne" nämlich wird es sowieso keine geben, nur Projektionen an zwei Seiten. Da sehen wir, wie ein Satz eingetippt wird in die Suchmaske und wie GPT-2 dann selbsttätig weiterschreibt, Wort für Wort, Satz für Satz.Schauspielerin und Schauspieler (Angela Waidmann, Alexander Julian Meile) bekommen den Text per Kopfhörer eingesagt und rezitieren ihn als spontane Doppelconference, gemeinsam, abwechselnd. Sie agieren mitten im Publikum.
Angeblich läuft das in jeder Vorstellung anders. Um die Kreativ-Optionen und die Spontaneität des Computers einschätzen zu können, müsste man sich die nicht ganz einstündige Performance öfters ansehen. Man durchschaut ja nicht immer gleich, welche Textteile festgelegt sind und wie variantenreich sich der computergenerierte Text entwickelt. Langweilig täte es einem vermutlich auch beim fünften Mal nicht werden. Den Schauspielern gewiss auch nicht!
Dem Projekt sind dadaistische Züge eigen. Kurz werden – ein Beispiel nur – die Vorzüge eines "primären Badezimmers" diskutiert (was mag das sein?), plötzlich kippt die Geschichte in eine Strandszene. Öfters mal scheint die Vorstellungskraft der Künstlichen Intelligenz an ein Ende zu kommen. Dann beißt sich GPT-2 an einem Wort fest, fühlt sich merklich auf sicherem Terrain und dekliniert Phrasen ziemlich redundant durch. Der Computer für Dichtkunst wird zur Katze, die sich in den Schwanz beißt.
Versuchsanordnung
Immer wieder sprechen die beiden Darsteller das Publikum direkt an, erklären die Versuchsanordnung und die Ziele des Projekts. Es geht letztlich um die Frage, ob Künstliche Intelligenz sich als etwas Eigenständiges, ernst zu Nehmendes emanzipieren kann. Könnte sie ein willkommener Partner von Theaterleuten sein, ein ernsthafter Widersacher gar? 55 Minuten reichen bestenfalls zum Anreißen von Fragen. Antworten gibt's vielleicht in Jahren. Ein Job als Wahrsager wäre höchst undankbar, in Zeiten, in denen in der Technik so viel weiter geht.
In die Performance sind auch andere Kunst-Sparten integriert, wo Künstliche Intelligenz ebenfalls eingesetzt wird. Was auf den ersten Blick nach Porträtfotografie aussieht, ist bloß computergenerierte Chimäre. Auch das eigentlich Vertrauen erweckende Gewabere eines Klaviers hat keinen Menschen zum Schöpfer.
Oder doch? Am Anfang der Kette von imaginären "Gedanken" und "Ideen" jeder Künstlichen Intelligenz steht ja der Mensch, Text eingebend, programmierend. Und im Theater stehen am Ende wieder Menschen, das Publikum. Auch virtuelle Realitäten landen also beim Souverän. Da ist der Theaterkunde doch noch König. Wir Könige durften bei der Uraufführung in Linz nachdenklich werden, immer wieder rätseln – und uns gar nicht wenig amüsieren, wenn's GPT-2 allzu bunt getrieben hat mit seiner Kunst des Weiterdichtens.
Prometheus Unbound
Ein Projekt der CyberRäuber in Koproduktion mit dem Landestheater Linz und dem Badischen Staatstheater Karlsruhe im Rahmen des Projektes "social virtuality – Theater in der digitalen Realität"
Inszenierung: Marcel Karnapke, Björn Lengers, Bühne und Kostüme: Angelika Daphne Katzinger, Dramaturgie: Wiebke Melle, Produktionsleitung: Eva-Karen Tittmann.
Mit: Angela Waidmann, Alexander Julian Meile.
Uraufführung am 14. Dezember 2019
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www.landestheater-linz.at
Mehr zu den Cyberräubern: auf der Konferenz Theater & Netz 2017 diskutierten sie mit über die Entgrenzung des Theaters und wie digitale Medien den Theaterraum öffnen.
"Ein spannendes Experiment, das nachdenklich stimmt", urteilt Karin Schütze in den Oberösterreichischen Nachrichten (16.12.2019). "Von den antiken Göttern führt die Geschichte in ein Badezimmer, einer sinnfreien Logik folgend, die jeden Abend eine andere sein wird. So einzigartig wie eine analoge Theatervorstellung." Stimmig seien dazu die Gesichter und Gemälde, die sich im animierten Bühnenbild der Linzerin Angelika Daphne Katzinger unentwegt verwandeln. Manch GPT-2-Pointe führe in skurrile Situationskomik, aber nicht in einen längerfristigen Zusammenhang, so Schütze: "Diese Sinnfreiheit ermüdet, ein schales Gefühl der Leere macht sich breit, gegen das nur eines hilft: die spontane Lebendigkeit, mit der Angela Waidmann und Alexander Julian Meile interpretieren, was uninterpretierbar ist."
"Man ist plötzlich Zeuge von zig vergänglichen Uraufführungen auf einmal. Sicherlich der poetische, ja gespenstische Höhepunkt des Abends", schreibt Andreas Huber im Oberösterreichischen Volksblatt (16.12.2019). Diese KI sei "eine größenwahnsinnige Quasselstrippe … sie ist aber auch eine Träumerin", so ein beschwingter Huber. "Am Ende gehen die beiden Mimen im Chor singend von der Bühne, wie bei einem Begräbnis. Das letzte Wort hat der Mensch, oder doch nicht? Das Publikum applaudierte dem mutigen Konzept."
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