Die gierige Hand Gottes

von Valeria Heintges

Bern, 19. Dezember 2019. Die Fifa, die Fédération Internationale de Football Association, hat ihren Sitz in Zürich und wird seit Jahrzehnten von Walliser Präsidenten geführt, erst von Joseph Blatter, seither von Giovanni Infantino. Sie ist ein Schweizer Verein nach Artikel 60ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches ZGB. Berns Heimatverein sind die Young Boys, die 2018 nach 32 Jahren endlich wieder Schweizer Meister wurden. Und in einem Berner Restaurant haben die Treffen zwischen Bundesanwalt Michael Lauber und Infantino stattgefunden, an die sich beide mysteriöserweise nicht mehr erinnern können.

Unter den TIsch gezogen

Viele Gründe also für das Schauspiel Bern, sich mal näher mit dem Verein auseinanderzusetzen. Christoph Frick, der am Haus schon in "Die Akte Bern" die Schweizer Fichenaffäre mit unserer Offenheit in Social-Media-Kanälen kurzschloss, hat sich der Sache angenommen, und mit seinem Ensemble den Abend "Fifa – Glaube, Liebe, Korruption" entwickelt. An drei Seiten eines fast quadratischen Stücks Kunstrasen sitzen die Zuschauer; über ihren Köpfen, sozusagen über die Bande, dienen große Wände als Videoleinwand, Reklametafeln oder auch als Podium für besondere Auftritte. Die zehn Akteure sind hochmotiviert und hochsportlich, wie sie schon beim Aufwärmtraining beweisen. Sie können brüllen, grölen und auf den Knien über den Boden rutschen, wie es sich für Fussballspieler*innen gehört, und auch ein ordentliches Training simulieren.

FIFA1 560 Janosch Abel uKopfüber ins Loch der Korruption: Ensemble © Janosch Abel

Das müssen sie, denn hier geht es darum, nicht nur die dunklen Seiten des Sports und seiner Vermarktung aufzuzeigen. Es soll auch der völkerverbindende und euphorisierende Effekt des Sports und seiner Großereignisse gezeigt werden. So folgen auf Szenen mit Training, Jubel, persönlichem Erleben solche, in denen die fiesen Machenschaften der Funktionäre und Strippenzieher mehr als deutlich werden. Dann verschwinden die bunten Spielerleibchen unter dunklen Sakkos, weißen Hemden und Krawatten, und die Anzugträger nehmen an der vierten Rasenseite Platz, um sich auf Meetings oder an Pressekonferenzen als Saubermänner zu gerieren (Ausstattung Clarissa Herbst). Ihre Mühe, sich von allen Vorwürfen reinzuwaschen, lautstark von Transparenz, Ethik und Fairness zu faseln und sich dann doch wieder – wörtlich! – unter den Tisch ziehen zu lassen, wird genüsslich persifliert und auch mit derbem Slapstick gefeiert.

Schlipsträger als Teflonpfannen

Zu Beginn ist der Wechsel schnell: Auf den Jubel und die Posen der Spieler vor Publikum und Kameras folgt eine Pressekonferenz, auf der sich die Schlipsträger als Teflonpfannen präsentieren. Auf das Training ein Treffen mit Selbstbeweihräucherung und längst schal gewordenen Worten der Funktionäre. "Sport und Politik dürfen nicht vermischt werden!", faseln die einen, während die anderen, über ein Loch im Bühnenboden verschwunden, koksend die Geldbündel hin- und herreichen, wie die Live-Videokamera von Thomas Bernhard ans Licht bringt.

Ein Goldesel scheißt bündelweise Banknoten; alle herzen die Fussball-Brust einer Blondine und stopfen ihr Scheine in den Ausschnitt. Und Nicola Fritzen als Sepp Blatter, feierlich angestrahlt, ganz allein am Spielfeldrand, geriert sich mit ausgebreiteten Armen als der zu Unrecht Gekreuzigte: "Ich habe gelitten, auch Christus hat gelitten."

FIFA3 560 Janosch Abel u"Sport und Politik dürfen nicht vermischt werden" © Janosch Abel

Später dominieren persönliche Berichte von Schauspielern oder Menschen, mit denen das Ensemble in Recherchen gesprochen hat. David Berger etwa schildert das geld-, zeit- und kräftezehrende Leben eines Young-Boys-Fans. "Die Freundinnen wechseln, der YB bleibt", sagt er. Milva Stark erzählt von ihrer Jugend im Ruhrpott und ihrer Begeisterung für Schalke. Hervorragend, wie sie Herbert Zimmermanns Radiobericht zum "Wunder von Bern" (eben!) wiedergibt; bis zum unvergessenen "Tooooor, Toooooor, Toooooor, Toooor! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!".

Doch so kraftvoll Stark das auch spielt, so wenig kann selbst sie darüber hinwegtäuschen, dass der Abend eines radikalen Rotstiftes bedurft hätte, der jede Szene auf ihren Kern reduziert; damit die Zuschauer nicht immer wieder in immer neuen Varianten vorgekaut bekommen, dass und wie korrupt die Fifa ist, und wie stark der Sport über alle Sprach- und Kulturgrenzen dennoch elektrisieren kann. Dem Zuviel steht zudem ein Zuwenig gegenüber: Kaum ein Wort zum vernachlässigten Frauenfussball; keines zur Homophobie des Sports. Und am unverständlichsten: Nur eine einzige "Jugo!"-Beschimpfung als Kommentar zum Thema Rassismus im Stadion. Dieses Ungleichgewicht gibt dem Abend ein Missverhältnis, das je länger je mehr die guten Ansätze verdeckt und Langeweile Platz macht.

Fifa – Glaube, Liebe, Korruption.
von Christoph Frick & Ensemble. Uraufführung
Regie: Christoph Frick, Ausstattung: Clarissa Herbst, Musik: Patric Catani, Licht: Rolf Lehmann, Video: Thomas Bernhard, Dramaturgie: Adrian Flückiger
Mit: Florentine Krafft, Gina Lorenzen, Daniela Luise Schneider, Milva Stark, David Berger, Nico Delpy, Luka Dimic, Nicola Fritzen/Jürg Wisbach, Gabriel Noah Maurer, Alexander Maria Schmidt.
Premiere am 19. Dezember 2019
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.konzerttheaterbern.ch

 

Kritikenrundschau

Mit einfachen Bildern versuche der Abend seinem (zu) großen Thema gerecht zu werden, bemerkt Andreas Klaeui beim SRF (20.12.2019). Christoph Frick halte dabei "geschickt das Gleichgewicht zwischen harter Recherche und mehr kabarettistischen Elementen", so der Kritiker, aber übers Ganze gebe es keinen dramaturgischen Bogen. "Das wirkt dann schon ein bisschen wie Frontalunterricht, aber immerhin: sehr spannender und unterhaltsamer Frontalunterricht."

"Womöglich hat die Zeit dafür gefehlt, das Tempo der ersten Halbzeit beizubehalten", schreibt Michael Feller in der Berner Zeitung (21. Dezember 2019). Klar sei es nicht ohne, "wenn eine lineare Geschichte fehlt. Aber die Textflächen, die da aufeiander prallen, wirken tatschlich immer flächiger." Dem Eindruck dieses Kritikers zufolge verknüpft sich der FIFA-Strang nie mit der ebenfalls von diesem Abend erzählten Geschichte der Fan-Leidenschaft.

"Schon klar: alles so schmierig hier," schreibt Lena Rittmeyer in der Berner Tageszeitung Der Bund (21. 12.2019). Wo aber dieser Abend Ideen anhäufe, anstatt seine Sicht auf den Punkt zu bringen, gebe es "einzelne Momente, in denen sich die Tragödie des Weltfußballs kunstvoll verdichtet." Auch als Sportbanause werde man durch diese Inszenierung gelegentlich von Schauern ergriffen, wirkt die Welt des Fußballs szenenweise in ihrer dramatischen Körperlichkeit auf der Theaterbühne auf die Kritikerin ansteckend. Leider aber begnüge sich der Abend damit, statt Kritik an den Verhätnissen zu übern, nur für einen Comic-Relief zu sorgen, und die Machtträger lächerlch zu machen.

"Am Ende scheitert das Stück an seinem Stoff, weil es weder eine neue Spielart noch eine neue Reflexion der Realität darstellt", schreibt Samuel Tanner in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag (22.12.2019). Tiefpunkt ist aus Sicht des Kritikers eine Szene, "in der das Ensemble eine FIFA-Funktionärs-Orgie nachspielt. Die Schauspieler fressen Dollarnoten, sitzen wie Hunde da, die Unterhosen braun." Mehr als Moral habe das Stück nicht zu bieten. Die allerdings erschlage den ZUschauer spätestens jetzt.

 

 

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