John Wayne & the Fab Five

von Elena Philipp

Berlin, 15. Januar 2020. Bleibt der bosshafte Erfolg aus? Dann ist man wohl "schlicht und einfach ein Lauch". Oder: "die niederste Form eines Mannes". Mit solchen Slogans, schlicht wie ein Faustschlag, tourt Felix Blume aka Kollegah einnahmenstark durch die Lande. Rezitiert Jonas Dassler aus des Rappers Ratgeber "Das ist Alpha. Die 10 Boss-Gebote", klingt der Gorki-Spieler so abgefuckt wie das Original: "Sex zu haben wird für dich, dank deiner Bosshaftigkeit, so alltäglich und selbstverständlich wie pissen gehen." Nicht wahr. "Das klingt jetzt erstmal alles sehr komplex und theoretisch ist aber eigentlich ganz simpel!" In der Tat. Hoch brandet das Gelächter im Gorki Theater, wenn das Gift toxischer Männlichkeit derart schäumt. Dagegen soll "In My Room" als Antidot wirken.

Von Vätern und Söhnen

Von Vätern und Söhnen erzählt die Stückentwicklung des Autors und Regisseurs Falk Richter mit dem Ensemble. Tief haben die fünf Schauspieler in ihren Biographien gegraben. Ans Licht befördern sie Verdrängtes und Verstörendes über ihre Väter. In (über-)langen Monologen und erstaunlich wenig Dialogen berichten sie von verfehlten Träumen, Traumata und raren Triumphen, von Sprachlosigkeit und (seltenen) innigen Momenten.

InMyRoom1 560 Ute Langkafel uRoll with it, Boys! Jonas Dassler an der Gitarre © Ute Langkafel / Menardi

Türkische Schneemänner – mit Schnurrbart – baute etwa Taner Şahintürk mit seinem Baba, wie er in einem temporeich wechselgesprochenen Erinnerungs-Quintett erzählt, für das sich über der Schwarz-Weiß-Bühne mit Heldensäule, traurigem Luftballonkind am Esstisch und klinisch weißem Rundvorhang eine "Remember"-Leuchtschrift aus dem Schnürboden senkt (Bühne: Wolfgang Menardi). Emre Aksizoǧlu, im rostroten, schmalen Siebziger-Suit wie sein Vater, den Fotos auf Monitoren und einem dreiflügeligen Projektionsaltar im Hintergrund zeigen (Kostüme: Andy Besuch), fuhr mit seinem Erzeuger Schlitten im Sauerland. Und Jonas Dassler geht mit seinem Vater in den Keller zum Musikmachen oder, nachdem sie seine Steuererklärung erledigt haben, Trinken bis zum Vollrausch.

Schweigen ist seine Waffe

Knut Berger findet das alles "ganz, ganz toll". Sein Vater habe dagegen ständig über seine und ausschließlich seine eigenen Gefühle geredet: "Einmal hat er meiner Schwester eine geknallt so richtig krass und dann hat er ganz furchtbar angefangen zu weinen und dann mussten wir uns zwei Stunden lang anhören dass er nicht verstehen könne wieso er das jetzt gerade gemacht hat." Andererseits hatte der Vater lange einen Liebhaber und konnte sich alternative Familienkonstellationen vorstellen. Lebbar waren sie in den damaligen bundesrepublikanischen Verhältnissen nicht, was auch diesen Vater im Schweigen versinken ließ. Das Schweigen ist ein Leitmotiv von "In My Room". Viel Leid hat sich in den hier beschworenen Vaterfiguren angesammelt, und bei nicht wenigen bricht sie sich in körperlicher Unruhe Bahn – oder in Gewalt.

InMyRoom3 560 Ute Langkafel uUnter Vaters Blicken: Das Gorki-Ensemble spielt auf einer Bühne von Wolfgang Menardi. © Ute Langkafel / Maifoto
In Falk Richters autofiktionaler Vater-Sohn-Geschichte, die Jonas Dassler stellvertretend im (wirklich viel zu langen) Eröffnungsmonolog erzählt, existiert ein Kriegsverstörter beziehungslos neben seiner Familie her. Zappt durchs Fernsehprogramm, kratzt morgens das Eis vom Auto und huldigt seinen Helden Johnny Cash und John Wayne. In Filmszenen mit Wayne werden später die Schauspieler hineingeschnitten: "Son of a bitch" dürfen sie den Westernheroen nennen, Daddy niemals, andernfalls landen sie, zusammengeschlagen, im Staub.

Gaulands Schatten

Geschädigt sind sie auf ihre Weise alle. Manchmal sind die Defizite transgenerationell: Bei einer Familienaufstellung, die der pfauenfedergekrönten Benny Claessens einfühlsam, aber bestimmt leitet, sprechen aus dem Großvater von Jonas Dassler aka Falk Richter "die Schatten der Alexander Gaulands". "War alles nicht so schlimm", quittieren die überhistorisch multiplizierten AfD-Mannen aus dem Unterbewusstsein die Kriegstraumata der eigenen Söhne, welche zerrissene Menschenleiber imaginieren und von Schuld geplagt werden, weil sie befehlsgetreu Gleichaltrigen das Leben nahmen. Parolenhaft bis agitatorisch klingen diese AfD-Passagen. Der politisch engagierte Richter macht hier das Stück zu seinem Sprachrohr.

InMyRoom2 560 Ute Langkafel uMit dabei im Monolog-Marathon: Benny Claessens © Ute Langkafel / Maifoto

Vor dem Wegsacken und allzu vielen kritischen Fragen an das Gebotene retten die Songs (Nils Ostendorf), mit denen die fünf gesangs- und instrumentenfesten Schauspieler ihre Vater-Beziehung kommentieren. Jonas Dassler widmet seinem (in der 1. Reihe sitzenden) Vater den Glam-Rock-Titelsong des Abends, Taner Şahintürks Wutrede über den als Gastarbeiter von den Deutschen klein gehaltenen Vater mündet in einen Punksong, und der endlos über sein erloschenes Sexleben jammernde Knut Berger haucht heiser eine Ballade im Stile Howard Carpendales. Zum Glück infundiert Benny Claessens dem überdeutlichen Abend ein bisschen Ambivalenz: Sein Vater, Hafenarbeiter und LkW-Fahrer, chauffierte ihn zu Ballettstunden. Falk Richters Vater hingegen knallte seinen Sohn gegen die Wand, als er von seinem ersten Freund erfuhr.

Fast zweieinhalb Stunden lang rauscht das von Falk & The Formidable Five entwickelte Material durch die Rübe, bis es im Oberstübchen unangenehm zieht. Jeglicher Gedanke hat sich verflüchtigt, denn zum Selbstdenken lässt "In My Room" keinen Raum. Alles steht im Text und 1:1 auch auf der Bühne. Klingt jetzt zwar mächtig Mutti, aber: Sorry, Jungs, der nächste männliche Monologe-Marathon ist echt nicht die Lösung. Ihr sagt’s ja eigentlich ständig selbst im Stück: Wie wär’s mit dem Dialog?

 

In My Room
ein Projekt von Falk Richter & Ensemble
Regie und Text: Falk Richter, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Andy Besuch, Musik: Nils Ostendorf, Video: Sébastien Dupouey, Choreografie: Denis "Kooné" Kuhnert, Dramaturgie: Jens Hillje, Daniel Richter, Christopher-Fares Köhler, Licht: Marco Vitale, Ton: Hannes Zieger.
Mit: Emre Aksizoǧlu, Knut Berger, Benny Claessens, Jonas Dassler, Taner Şahintürk.
Premiere am 15. Januar 2020
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Richter gelinge, mal wieder, eine Punktlandung, schreibt Anna Fastabend in der Süddeutschen Zeitung (16.1.2020). "Denn wo sonst hat man schon mal eine derart lebhafte, vielschichtige und emotionale Auseinandersetzung mit ganz verschiedenen Vaterfiguren erlebt wie an diesem Abend?" Ein "erschreckendes Psychogramm der Spezies Mann" zeichne Richter, arbeite sich sehr persönlich an der Krise der Männlichkeit ab. "Mit berührenden, absurden, tragikomischen, tieftraurigen und beglückenden Anekdoten" erzählten die Schauspieler von ihren Vater-Sohn-Beziehungen und ernteten am Schluss Standing Ovations.

Vergiftet oder gereinigt von toxischer Männlichkeit? Nein, gut unterhalten und weichgespült – "eher gerührt denn geschüttelt" – fühlt sich nach dem Abend Tobi Müller von Deutschlandfunk Kultur (15.1.2020). "In My Room" sei "eine Art Krypta der Erinnerung dieser Familien", von der die fünf Männer erzählten. "Das ist immer wieder sehr rührend, sehr gefühlig." Der Bezug auf Aktuelles hingegen bleibe eher schlicht, etwa wenn es um Rechtspopulismus gehe. Die Inszenierung drehe sich um die Väter und es kämen auch "Klassiker des Mannseins" zur Sprache – das Nicht-Sprechen über Gefühle oder über die eigene Bisexualität. Vermisst hat Müller das Thema biographisches Erbe: "Also, was heißt das eigentlich für einen selbst? Inwiefern ist man selbst verstrickt als heutiger, schwuler oder heterosexueller oder wie auch immer fluider Mann? Wie gibt man die erlebte Struktur weiter?"

Ist's ein "einfühlsamer Nachruf auf all die Väter, die zurückgesteckt haben", oder ist’s eine "eine ziemlich laue, nur individualfamiliäre Söhne-Bekenntnis-Session"? Für Doris Meierheinrich von der Berliner Zeitung (16.1.2020) schlingert der Abend ziellos zwischen der performativen Souveränität, mit fiktiven Identitäten zu jonglieren, und der schauspielerischen Darstellung solcher Identitäten. Die formale Unentschlossenheit zeige an, dass Regisseur und Ensemble "nie wirklich an den Punkt kommen, wo sie wissen, wem oder was genau sie 'In My Room' eigentlich auf der Spur sind: ihren eigenen Vätern mit all den persönlichen Ängsten und Sprachlosigkeiten oder den strukturellen Zwängen, die sie zu den gefühlsarmen Autoritäten werden ließen, die sie wohl sind". Blitzschnell wende sich die Inszenierung "weg von jeder Reflexion auf die Seite des Gefühls". Die Erzählungen blieben folgenlos "in einer nur klagenden Rückwärtsgewandtheit gefangen".

"Von der Besetzung, der Offenheit der Schauspieler und der Unterschiedlichkeit ihrer Geschichten" lebe diese Inszenierung, schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (17.1.2020). "Fast alle leiden unter dem unerfüllten Leben ihrer Väter, unter deren Unglück, unter deren Lebenslügen." Selbst wenn Benny Claessens erzähle, wie er sich für den alten Mann, der sein Vater geworden war, geschämt habe, fühle man mit ihm. Und doch: Das Stück halte "etwas von der steigenden Betriebstemperatur in einem Workshop am Leben". Von einer Analyse wie der des Autor Didier Eribon, den der Programmzettel nenne, "von einer solchen Verknüpfung des Biografischen mit einem größeren Bild, ist der Abend trotz der gelegentlich spürbaren Absicht weit entfernt".

Schonungsfrei und persönlich, aber nicht privat, seien die Vater-Sohn-Geschichten und fast alles "ein My intensiver" als üblicherweise, bemerkt Christine Wahl im Tagesspiegel (17.1.2020): "die Temperatur höher, die Schauspieler noch einen Tick durchlässiger, das Publikum, das später minutenlang stehend applaudiert, konzentrierter und angefasster". "In My Room" fordere das Aushalten von Ambivalenzen ab. Aus den einzelnen Perspektiven  kristallisierten sich Muster heraus, die sich "zu Gesellschafts- und Generationenbildern zusammenpuzzeln" ließen. "Was diese fünf Schauspieler da pausenlose 130 Minuten veranstalten, ist Liebeserklärung und Anklage, Party und Requiem, Tragikomödie und Rockkonzert", so Wahl. "Zumindest in Berlin hat man – von den jüngsten Pollesch-Abenden im Friedrichstadt-Palast und dem DT abgesehen – lange nichts gesehen, das so aus jeder Pore atmet."

 

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