Kampf auf verlorenem Posten

von Dorothea Marcus

Düsseldorf, 16. Januar 2020. "Bürger in das Schauspielhaus – schmeißt die fetten Bonzen raus", riefen wutentbrannte Demonstranten am 16. Januar 1970, während sich im Foyer des Düsseldorfer Schauspielhauses das Premierenpublikum tummelte. "Das Schauspielhaus gleicht einer Festung, hermetisch abgeriegelt durch Barrieren und fast 600 Polizisten", notierte die Düsseldorfer Stadtpost bei der Eröffnung des "riesigen eckenlosen Monumentalkunstwerks". Ganz ohne begleitende Demos erstrahlt es nun 50 Jahre später in neuem Glanz, auch wenn die Fassade zum Teil eingerüstet bleibt.

Reibungslose Renovierung

Aus Kölner Sicht kann man tatsächlich neidisch werden, wie reibungslos die Renovierung und Wiedereröffnung des zweifellos schönen, geschwungenen weißen Großbaus von Bernhard Pfau verlaufen ist. Zur Wiedereröffnung beschwor Landesvater Armin Laschet vor glitzernd gewandetem Publikum die Relevanz von Theater als letztem lebendigen öffentlichen Ort.

Galilei2 560 SandraThen uBurghart Klaußner als Galilei und Lea Ruckpaul als sein Gehilfe ©  Sandra Then

Und ausgerechnet der Eröffnungsabend wirkt wie ödes, aus der Zeit gefallenes Stehtheater. "Das Leben des Galilei" von Brecht zu inszenieren, mag in Zeiten von postfaktischem Populismus und Klimawandel-Leugnung als guter Schachzug erscheinen: Wenn die AfD gegen Wissenschaft hetzt, scheint jenes Stück, das Brecht nach dem 9. November 1938 gegen die faktenfalsche Finsternis der Nazi-Zeit zu schreiben begann, aktueller denn je. Doch die Analogie zu heutiger Klimakrisenleugnung erschöpft sich in Brechts ermüdendem Thesenstück ziemlich schnell.

Im Schatten des Riesenfernrohrs

Lars-Ole Walburg nimmt seinen Auftrag zur Großeröffnung tiefernst: Über Olaf Altmanns Bühne, ein tiefschwarz verbretterter, senkrechter Raum, senkt sich mahnend ein Riesenfernrohr herab. Durch allerlei Lichtwechsel wird es mal zum drohenden Phallus, mal zur leuchtenden Mondscheibe. Das Cello von Matthias Herrmann streicht, kratzt und zupft die jeweilige Stimmung herbei.

In der Lichtscheibe des Teleskops liegt Burghardt Klaußner wie ein Verlorener. Und doch springt der resignierte Wissenschaftler immer wieder fröhlich auf, um etwa seinem Schüler Andrea die neue Welt zu erklären, in der der Mensch nicht mehr das Zentrum des Universums ist.

Galilei3 560 SandraThen uBeherrscht der Mensch die Welt oder steht er doch am Rand und muss sich der Natur unterordnen? Die Pest kündigt sich an in "Das Leben des Galilei" © Sandra Then

Lea Ruckpaul ist in blauem Punkte-Pullunder, Blondschopf und kurzen Hosen ein niedlicher, aufrechter Schüler und bleibt, später in langer Hose, Galileis größter Verbündeter, um für die kopernikanische Weltsicht zu kämpfen. Geisterhaft aus dem Nichts auftauchend defilieren Schüler, Gelehrte, Großherzoge, Kleriker, warnen, leugnen, beschwören und bedrohen Galilei, von seiner Forschung abzulassen: erst die ängstliche Haushälterin in blauem Kleid (Rosa Enskat), die direkt anschließend an der Rampe ein Eisler-Lied schmettert, dann der reiche Schüler Ludovico (Jonas Friedrich Leonhardi).

Analogie Klimakrisenleugnung

Die Gelehrten in Florenz stehen in einem symbiotischen Grüppchen mit steifen Halskrausen zusammen und tun als verknöcherte Clowns alles, um nicht ins Teleskop blicken zu müssen, auch wenn Lea Ruckpaul noch so flehentlich drauf deutet. Dann setzen sie sich Totenkopfmasken auf, die Pest kündigt sich an, Galilei forscht weiter – Burghardt Klaußner hat sogar einen kurzen, grandios verkrächzten Auftritt als Sänger.

Hinten auf der Bühne läuft sich in weißblonder Perücke und schwarzem Anzug wie die Clanchefin einer Netflixserie der Großinquisitor (Tabea Bettin) warm, der Galilei schließlich mit Hilfe des Papstes in buntem Ornat  (Thomas Wittmann) aus dem Forschungsverkehr ziehen wird.

Es wirkt fast müßig, einzelne Szenen nachzuerzählen, die stets Galileis Wissenschaft entweder angreifen oder verteidigen, bis zum Schluss der erwachsene Andrea seine verbotenen Schriften außer Landes schmuggelt. Walburg ist nicht viel mehr eingefallen, als sie redlich und reichlich öde nachzustellen, pittoresk untermalt vom Live-Cello und von Lichtwechseln, die scharfe Schattenrisse an die steilen Wände malen.

Stocksteife Halskrausen

Mal steppt Lea Ruckpaul als zweifelnder Mönch Brechts Regieanweisungen nach, mal rennt sie atemlos um die Bühne herum die Sonnenumlaufbahn der Erde nach. Mal tanzt Cennet Rüya Voß in Glitzerkleid als Galileis Tochter mit ihrem neuen Verlobten eine kleine Einlage, mal singt ein Balladensänger in Ballettkleid (Thomas Wittmann) ein angestrengt warnendes Lied – dennoch ist das Ganze ein stocksteifes Blasen-Theater, wirkt wie die Simulation eines groß deklamierten Theaterabends. Eine aktualisierende Erinnerung an heutige Gesellschaftslagen ist nicht nötig, so einfach ist es, die Analogie selbst zu ziehen: Klimakrisenleugner und Wissenschaftsgegner sind doof, aber wir guten Theaterzuschauer wissen das natürlich.

Es liegt in Zeiten des digitalen Kontrollverlusts einiges Potential im Galilei-Grundthema: Wenn damals Kleriker warnten, dass für den Menschen das Gefühl nicht gut sei, auf einem unbedeutenden Steinklumpen zu hausen, ist das ja nicht ganz falsch und wird in Zeiten von KI als Frage eher noch drängender. Doch um heutige Grenzen von Wissenschaft und Technik zu diskutieren, ist Brechts Stück einfach nicht ausgerichtet – das müsste dann schon der Regisseur leisten. Aber egal, das Publikum jubelt frenetisch, und draußen ist weit und breit kein Demonstrant zu sehen.

 

Leben des Galilei
von Bertolt Brecht mit Musik von Hanns Eisler
Regie: Lars-Ole Walburg, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Ellen Hofmann, musikalische Leitung: Matthias Hofmann.
Mit: Burghart Klaußner, Tabea Bettin, Rosa Enskat, Glenn Goltz, Janko Kahle, Jonas Friedrich Leonhardi, Lea Ruckpaul, Cennet Rüya Voß, Thomas Wittmann, Cello: Matthias Herrmann.
Premiere am 16. Januar 2020
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.dhaus.de

 


Kritikenrundschau

"Die Vermenschlichung des Helden durch Burghart Klaußner, der eine Fülle an Zwischentonfällen mobilisiert, dient der Abmilderung des Formelhaften, drastischer gesagt: camoufliert die schlechte Abstraktion des Thesendramas", schreibt Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.1.2020). "Das Programmheft reklamiert für das Stück Aktualität in der Zeit der Klimadebatte. Indem die Regie auf jede Anspielung verzichtet, behandelt sie die Aktualität als evident – und erliegt damit dem objektivistischen Denkfehler hinter der Monumentalisierung des Fernrohrs", heißt es in der Kritik. "Prognosen über das Weltklima können nicht dieselbe Gewissheit beanspruchen wie astronomische Beobachtungen, und die Verdunkelung der Aussichten der Menschheit, die der Konsens der Klimaforscher beschreibt, ist selbst ein Ergebnis der wissenschaftlichen Zivilisation."

Walburg erzähle Galileis Stationen nach und lasse die Befürworter und Gegner manchmal wie Witzfiguren paradieren. "Ansonsten wirken die zwei Stunden wie sprödes Gedanken- und Steh-Theater aus vergangenen Jahrzehnten", schreibt Michael-Georg Müller in der Westdeutschen Zeitung (17.01.2020). Klaußner vermöge nur selten, die Regie-Schwächen zu übertünchen. "So bleibt die Frage, ob der Brecht-Text für uns heute dafür taugt, die Grenzen von Wissenschaft und Technik zu diskutieren."

Ob und wie man das Stück heute auf die Bühne bringen solle, darüber finde Lars-Ole Walburgs solide Inszenierung keine wirkliche Antwort, findet Martin Krumbholz von der Süddeutschen Zeitung (19.1.2020). "Es ist die schauspielerische Klasse und Autorität von Burghart Klaußner, die dem Abend ein gewisses Format gibt."

Walburg setze auf konzentriertes Schauspielertheater, Bezüge in die Gegenwart suche er nicht, schreibt Dorothee Krings von der Rheinischen Post (18.1.2020). Die Inszenierung habe etwas Statisches. "Brechts gewichtige Sätze verfehlen ihre Ziele nicht, doch wirkt das alles brav und zahm."

 

 

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