Die Hamletmaschine - Burgtheater Wien
Nimm das, White Supremacy!
von Andrea Heinz
Wien, 17. Januar 2020. Wenn jemand die "Hamletmaschine" auf die Bühne bringt, dann weiß man schon: Jetzt wird es politisch. Und wenn bei "Regisseur" Oliver Frljić steht, dann weiß man außerdem: Jetzt wird es wieder provokant. Der aus Bosnien stammende Frljić gilt ja immer noch als extrem arger Radikal-Regisseur, aber spätestens nach diesem Abend, der auch sein erster am Wiener Burgtheater ist, muss man sagen: Geht so. Radikal ist da eher noch, wie so ein Premieren-gestähltes Publikum wie das Wiener das an sich abperlen lässt, freundlich klatscht und nach Hause geht. Dabei war doch alles da: Trockensex in sämtlichen Varianten und Formen, etwas, das sich als Vergewaltigung deuten lässt, wüste Publikums- und Österreich-Beschimpfung, Schändung von Flaggen und, eh klar, viel Kunstblut.
All die glorreichen Revolutionen…
Aber worum ging es denn eigentlich? "Die Hamletmaschine", Heiner Müllers so rätselhafter, brutaler, unfassbar verzweifelter Text, hat als Referenzrahmen die DDR, und die gibt es nicht mehr. Frljić nimmt sich stattdessen Europa zur Brust, das bereits im Text in Ruinen lag, aber immer noch da ist. Der Kadaver von Hamlets Vater, der auf der kargen, nur mit zwei von roten Vorhängen geschlossenen Toren und einem Thron-artigen roten Plüschsessel ausgestatteten Bühne des Kasinos zu Grabe getragen wird, ist hier ein lebensgroßes und auch sonst recht authentisches Kunststoffschwein. Dieses Schwein soll wohl, weil wir ja in Österreich sind, das alte Habsburgerreich sein. Es erklingt immer wieder die Melodie der Kaiserhymne (aufgemerkt: es ist dieselbe, auf die heute die deutsche Nationalhymne gesungen wird), und recht bald taucht auch eine große Österreich-Flagge auf, mit der allerlei Schindluder getrieben wird.
Und all der Glanz zu Staub: Marcel Heuperman mit Thron und Sarg © Matthias Horn
Irgendwann zieht Max Gindorff dann eine Flagge mit dem Habsburger-Wappen aus dem Sarg, an die der Reihe nach allerlei andere europäische Flaggen genäht sind, eine Flaggenwurst quasi, die einfach nicht enden will. Aus dem Kadaver des Vielvölkerstaates werden, nicht selten durch Revolutionen und Unabhängigkeitsbestrebungen, Nationalstaaten. Aber nur weil am Anfang von etwas mal Träume von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit standen , wird deshalb noch lange nicht alles gut (siehe Ostdeutschland). Darauf möchte Frljić vielleicht hinaus, wenn er die Schauspieler*innen – Demagogen-mäßig brüllend natürlich – Reden von Wladimir Putin, Victor Orbán und Marine Le Pen vortragen lässt. All diese Länder mit ihren glorreichen Revolutionen und Umstürzen – und was ist aus ihnen geworden?
Kopulationen mit Kunststoffschwein
Wohin aber mit dieser Einsicht? Wie weiter mit dieser Frage? Und was ist mit der Rolle des/r Intellektuellen, um die es Müller letztlich ging? Wie positioniert er/sie sich, was können sie, was können wir tun? Der Abend wirft dringende Fragen auf, ist aber dann zu beschäftigt mit Lärm und Provokation, um wirklich Zusammenhänge herzustellen oder eine Aussage zu machen. Und so wirkt das Ganze recht schnell recht fahl und müde. Wenn die ungarische Schauspielerin Annamáría Láng sich zum Beispiel mit einem Bindfaden an den Thron-Sessel näht, und das Publikum aufgefordert wird, "die Ungarin" zu befreien.
Die Zuschauer*innen ignorieren die Aufforderung stoisch, kurz darauf ist Láng auch ohne Hilfe wieder frei und alle tun so, als wäre nichts gewesen. Außerdem weisen die allesamt weißen Burgschauspieler*innen, deren Chef ein weißer Mann ist, das Publikum darauf hin, dass hier ja nur Weiße sitzen, die sich außerdem ein Ticket fürs Burgtheater leisten können. Nimm das, White Supremacy! (Aus gegebenem Anlass ein kleiner Hinweis auf die unterstützenswerte Aktion Hunger auf Kunst und Kultur).
Blutbesudelt, machtverschmiert: Branko Samarovski, Marcel Heuperman, Max Gindorff, Marta Kizyma, Annamáría Lang © Matthias Horn
Was man sagen muss: Die Schauspieler*innen (Marta Kizyma, Annamária Láng, Marcel Heuperman, Max Gindorff und der wunderbare Branko Samarovski) sind großartig. Besonders hervorzuheben die Leistung Marcel Heupermans, der es schafft, seinen großen Monolog am Ende so zu halten, dass man fast vergisst, dass er die ganze Zeit nackt ist, alle möglichen Sex-Praktiken mit einem Kunststoffschwein durchexerziert und sich zuletzt beherzt und ausgiebig die Eier drückt. Man hätte das Schwein und all das aber auch einfach weglassen können. Ein bisschen mehr Konzentration hätte dem Abend überhaupt gut getan. Das wäre dann fast schon wieder provozierend gewesen.
Die Hamletmaschine
von Heiner Müller
Regie: Oliver Frljić, Bühne und Kostüm: Igor Pauška, Kostümmitarbeit: Maria-Lena Poindl, Licht: Norbert Gottwald, Dramaturgie: Sebastian Huber.
Mit: Marta Kizyma, Annamária Láng, Marcel Heuperman, Max Gindorff, Branko Samarovski.
Premiere am 17. Januar 2020
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
Norbert Mayer lässt in der Presse (online hinter paywall 18.1.2020, 14:05 Uhr) erst einmal "zwei steinalte Herren" auftreten, die sich über die Inszenierung unterhalten: "Saumäßig fad war's", urteilt der eine. Auch wenn er den Branko Samarovski "grandios" und "berührend" fand."Wie's no unser [Offiziers-]Kasino war, unterm Kaiser, ist's lustiger gewesen." So schreibt Mayer. Frljić habe den von Heiner Müller auf "höchstens 50 Minuten" Aufführungsdauer taxierten Text auf 75 Minuten "aufgeblasen". Es gehe ihm um Europa 2020, "düster rezipiert wie der Kalte Krieg". Der Text werde, "postdramatisch aufgeladen", mit "großem Pathos vorgetragen". Der Regisseur wolle offenbar auch als "reifer Mann" durch "provokantes Theater" auffallen. Was misslinge. "Das Publikum macht einfach nicht mehr mit." Das Ensemble gebe "in der Entäußerung" zwar alles, aber diese "Abarbeitung an Müller" lasse "kalt".
Im Standard schreibt Ronald Pohl (online 19.1.2020, 13:13 Uhr) über die Inszenierung des der "notorisch krawallsüchtigen Regisseurs Oliver Frljić": "Der Kroate" besitze die "unheilvolle Tendenz, zeichentheoretische Fragen durch den möglichst unverfrorenen Zugriff auf verschwiegene Körperpartien" beantworten zu wollen. Diesmal treffe er damit ins Schwarze. Er nehme Müller "beim Wort". Und enttarne das "von Prätention nicht ganz freie (wiewohl herrliche) Versgeklingel" des Autors als "Deckbehauptung". Geschützt nämlich werde "durch das Vorgaukeln von hoher Politik" die Ausbeutung des Körpers der Frau. Frljić besetze mit "instinktiver Richtigkeit" den "blinden Fleck aller Repräsentation".
"Sehr frei nach Heiner Müller“ bringe Oliver Frljić seine Interpretation der 'Hamletmaschine' zur Uraufführung, schreibt Martin Lhotzky in der FAZ (22.1.2020). "Leider in einer Art, die man seit Jahren für ausgestorben gehalten hat und die man mit dem altgedienten Kalauer 'Blut und Hoden' zusammenfassen kann. Mehr Worte möchte man darüber gar nicht verlieren."
In der New York Times (online 23.1.2020) schreibt A. J. Goldman: "... this “Hamletmaschine” has an engaging intensity that owes much to the actors’s quick-witted performances, but it goes off the rails toward the end."
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