Bombardierst du den Kindergarten?

von Cornelia Fiedler

Köln, 8. Februar 2020. "Hitler versteckt sich in einem Kindergarten. Bombardierst du den Kindergarten?" Sechs Spieler*innen schwärmen mit Mikrofonen bewaffnet in die Publikumsreihen aus. 27 Kinder seien dort, hilft Ines Marie Westerströer bei der Entscheidungsfindung, und Hitler. Man würde also 27 Kinder töten, könne aber anderthalb Millionen retten – gemeint sind die in der Shoa ermordeten Kinder. Eine Antwort bleibt aus. Das ist verstörend, liegt aber vermutlich – oder besser: hoffentlich – daran, dass die Mikros immer weggezogen werden, bevor Zuschauer*innen antworten können. Dennoch ist gerade diese Szene symptomatisch für Maya Arad Yasurs neues Stück "Bomb", uraufgeführt von Lily Sykes in Köln: Es wirft moralische Fragen auf, entzieht sich aber deren Beantwortung.

Blutige Kunst-Biennale

Alles beginnt mit einer blutigen Performance auf irgendeiner Kunst-Biennale: Eine Frau steht in einem Glaskasten und reißt nach und nach ihre langen Haare aus. Sie klebt sie sich mit Wachs an die Arme, bis daraus schwarze Flügel zu entstehen scheinen. "Ich bin Ikarus", lautet der Titel. Im Depot 2 des Schauspiels Köln ist dieses Kunstwerk, das entfernt an Marina Abramovics "Art must be beautiful" erinnert, nicht zu sehen. Es wird lediglich vom Ensemble beschrieben und interpretiert, das auf Plastikhockern im Kreis um eine große Atompilz-Silhouette auf einem weißen Drehpodest sitzt (Bühne: Eva Veronica Born).

Bomb1 560 Birgit Hupfeld uBeim Atompilz: Das Kölner Ensemble spielt auf einer von Eva Veronica Born entworfenen Bühne © Birgit Hupfeld

Zentral für den gesamten Plot, den die Spieler*innen aus der Betrachtung dieses (unsichtbaren) Kunstwerk entwickeln, ist die etwas abgedroschene These, Künstlerin Naomi müsse darin wohl ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Kindheit aufarbeiten. Wie in einem Drehbuch-Workshop spinnen die drei Frauen und drei Männer auf der Bühne nun mehrere eng verwobene Geschichten rund um Naomi und einen nicht näher benannten Krieg.

Die sechs überbieten sich mit immer neuen dramatischen Wendungen und Höhepunkten, verwerfen einige, malen andere in schillernden Farben aus: Ein Junge muss miterleben, wie sein Vater, ein Porträtfotograf, bei einem Bombenangriff getötet wird – ein Kollateralschaden im Antiterrorkampf heißt es. Ein Mädchen hat entsetzliche Angst um ihren Vater, der zur Armee einberufen wurde, sie reißt sich in der Schule die Haare aus. Ein Vater entgeht nur durch Zufall dem Tod, er kehrt traumatisiert und emotional völlig erkaltet zurück. Ein Pilot steht dreimal vor der Frage, einem Befehl zu folgen, oder seinem Gewissen.

Mit dem Siegerticket des Berliner Stückemarkts angereist

Als Inspiration diente der Autorin, die 2018 mit ihrem Drama "Amsterdam" den Stückemarkt beim Berliner Theatertreffen und damit diesen Werkauftrag in Köln gewonnen hat, ein realer Vorfall aus dem Jahr 1982: Ein israelischer Pilot weigerte sich damals, ein Schulgebäude im Libanon zu bombardieren. 2013 recherchierte der libanesische Künstler Akram Zaatari diese Geschichte und entwickelte daraus seine Arbeit "Letter to a Refusing Pilot".

Yasur lässt nun, unterbrochen und konterkariert durch andere Stimmen, andere Perspektiven, ihren Piloten namens Eatherly drei Einsätze fliegen. Bombardieren soll er zunächst ein Fahrzeug mit Terrorverdächtigen an Bord, dann eine Schule, in der angeblich ein Munitionslager ist, dann einen feindlichen Konvoi, der sich zu spät als einer der eigenen Leute entpuppt. Regisseurin Lily Sykes inszeniert das in einem Wechsel aus schnellem, oft emotionalem Erzählen, angedeuteten Szenen und poetischen Bildern.

Bomb3 560 Birgit Hupfeld uInes Marie Westernströer © Birgit Hupfeld

Yasur schreibt lebendig, klar, berührend, stellenweise lustig (Übersetzung von Matthias Naumann). Ihre Charaktere sind ambivalent, deren Geschichten komplex verschränkt. Aber Yasur will etwas Allgemeingültiges über Krieg und Moral erzählen, indem sie ihr Stück weder historisch noch lokal verortet. Mit dieser starken Abstraktion bremst sie sich selbst aus. Es macht nun einmal einen Unterschied, ob, sagen wir mal, die Wehrmacht einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beginnt, oder ob die Rote Armee das Deutsche Reich vom Nationalsozialismus befreit. In "Bomb" heißt es lapidar: "Niemand ist sich überhaupt sicher, worum dieser ganze Krieg geht." Man kann konkrete politische Zusammenhänge außen vor lassen, um allgemein Menschliches zu erzählen, klar. Dann bleiben am Ende aber die eher einfachen Thesen übrig. Die des heutigen Abends lautet: "Etwas ist abgefuckt an diesem Krieg."

 

Bomb. Variationen über Verweigerung
von Maya Arad Yasur
Deutsche Übersetzung von Matthias Naumann
Regie: Lily Sykes, Dramaturgie: Lea Goebel, Bühne: Eva Veronica Born, Kostüm: Jelena Miletić, Licht: Jürgen Kapitein, Komposition: David Schwarz, Live-Musik: Ioan Hamza, David Schwarz.
Mit: Nikolaus Benda, Campbell Caspary, Laura Friedmann, Justus Maier, Birgit Walter, Ines Marie Westernströer, Ida Marie Fayl abwechselnd mit Ruth Grubenbecher.
Premiere am 8. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde, 40 Minuten

www.schauspiel.koeln

Kritikenrundschau

"Sämtliche Figuren, einschließlich der Kritikerinnen auf der Bühne, haben Schwierigkeiten mit dem Erkennen: Was ist Vorstellung? Was ist Wahrheit? Was ist Fakt? Was Fiktion? (...) Ist die zu bombardierende Schule ein Terroristennest oder voller Kinder? Diese Unschärfe im Blick ist unglaublich spannend und eigentlich auch sehr aktuell. Aber sie rauscht nur so vorbei", so Christiane Enkeler vom Deutschlandfunk (9.2.2020).

"Die Geschichte ist schon sehr heftig, sie ist aber auch sehr konstruiert", so Dorothea Marcus auf Deutschlandfunk Kultur (19.1.2020). Sie erkennt in dem "eine Mischung aus zynischer und tragikomischer Erzählung darüber, dass Krieg eine zwanghafte Notwendigkeit im System des Menschen ist". Und weiter: Lily Sykes verstehe es, die Schauspieler mit sehr einfachen Mitteln tief in diese Schicksalserzählung hineinzuversetzen.

"Lily Sykes arrangiert ein mal kleineres, mal größeres Tohuwabohu, um der Unmäßigkeit von Kampfhandlungen jeglicher Art etwas entgegenzusetzen – um ihre Akteure dankenswerterweise aus dem vorherrschenden Duktus von Mauerschau und Botenbericht zu befreien", schreibt Axel Hill von der Kölnische Rundschau (10.2.2020).

'Bomb' wirke wie ein Puzzle, "das nur so lange fasziniert, wie man es zusammenlegt, in seiner vollständigen Form jedoch als Kitschmotiv aufstößt, inklusive eines auftretenden Kindes, das ein T-Shirt mit Zielscheibenmotiv trägt: Krieg ist böse, huch!", schreibt Christian Bos vom Kölner Stadt-Anzeiger (10.2.2020). Der Text werfe nur allseits bekannte Fragen auf, statt den Nötigungen des Krieges neue Erkenntnisse abzutrotzen. Letztlich seien hier alle dazu gezwungen, "ihren Text im immer gleichen Anklageton und im theatralen Äquivalent des Frontalunterrichts vorzutragen".

 

 

 

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