Alte Bundesrepublik, neue Bundesrepublik

9. Februar 2020. Der Schauspieler Volker Spengler ist tot. Das melden diverse Medien, darunter der Deutschlandfunk. In den letzten Jahren war Spengler vor allem als markanter Spieler der Berliner Castorf-Volksbühne ein Begriff. Der Beginn seiner Schauspieler-Karriere jedoch reicht tief in die alte Bundesrepublik zurück.

1939 in Bremen geboren, fuhr Spengler zunächst zur See, bevor er von 1959 bis 1962 in Salzburg und Wien eine Schauspielausbildung absolvierte. Nach Anfängen an Privat- und Boulevardbühnen wurde er von Fritz Kortner 1968 ans Berliner Schillertheater geholt. In den 1970er Jahren wurde der Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder auf Spengler aufmerksam. Spengler spielte in Fassbinder-Filmen wie "Mutter Küsters Fahrt zum Himmel" (1975), "Die Ehe der Maria Braun" (1978), "Berlin Alexanderplatz (1980) oder "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (1982). Besonders mit seiner Darstellung der Transsexuellen Elvira Weißhaupt in Fassbinders Film "In einem Jahr mit 13 Monden" (1978) fand Spengler große Beachtung. In den 1970er Jahren wirkte Volker Spengler außerdem in vielen legendär geworden Arbeiten der Choreografin Pina Bausch am Wuppertaler Tanztheater mit, denen die schwerblütige Melancholie seiner Körperlichkeit stets eine sehr eigene Prägung gab.

Als Film- und Fernsehschauspieler erfolgreich, blieb Spengler in den 1970er bis 1980er Jahren in der alten BRD weiterhin ein gefragter Theaterschauspieler, u.a. am Schauspielhaus Bochum und dem Schauspiel Frankfurt. Hier arbeitete Spengler u.a mit Einar Schleef zusammen. Seit 1989 wirkte er in Filmen von Christoph Schlingensief mit, darunter "100 Jahre Adolf Hitler" und "Die letzten Tage von Bottrop".

Nach der Wende kam Volker Spengler im Gefolge von Peter Palitzsch ans Berliner Ensemble, wo er auch noch zum Ensemble gehörte, als er längst prägendere Rollen an Frank Castorfs Volksbühne übernahm. Dort arbeitete er nicht nur mit Frank Castorf sondern regelmäßig auch mit René Pollesch sowie in den letzten Jahren mit Vegard Vinge und Ida Müller zusammen.

Am 8. Februar ist Volker Spengler wenige Tage vor seinem 81. Geburtstag in Berlin verstorben.

(sle)

 Nachrufe auf Volker Spengler gibt es u.a. von Petra Kohse in der Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung, von Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung und von Rüdiger Schaper im Berliner Tagesspiegel.

mehr meldungen

Kommentare  
Volker Spengler: Erinnerungen
1) 1990. In den Franfurter Kammerspielen verkörpert Volker Spengler den Korbes in Tankred Dorsts gleichnamigem Stück. Dorst wollte darin einen durch und durch bösen Menschen zeichnen, ein echtes Ekel. Und in Dietrich Hilsdorfs Inszenierung wird Spengler zu einem solchen, überlebensgroß. Eine archetypische Figur. Die seltsame, schneidend-hohe Stimme, die aus diesem massigen Körper dringt, dringt einem ins Mark. Die böse Pointe bei Dorst ist, dass der Korbes auch nach seiner gleichsam biblischen Bestrafung (er erblindet über Nacht), zu keinerlei Läuterung bereit ist. Spengler spielt das mit beängstigender Intensität. Ich habe später beim Theatertreffen noch Norbert Schwientek in dieser Rolle erlebt, aber mein Korbes blieb immer Spengler.

2) 1991. Ich wohne mittlerweile in Berlin-Wedding, und rätselhafterweise wird dort eine Veranstaltung in der Neuen Nazarethkirche am Leopoldplatz plakatiert, in der drei meiner Frankfurter Heroen auftreten: Margarita Broich, Martin Wuttke und Volker Spengler. In einer Off-Produktion von Klaus Emmerich führen sie - quasi an der Öffentlichkeit vorbei - ein Stück von Philipp Kreuzer (wer ist das? was ist aus ihm geworden?) auf: "Ave Atlantis". Spengler spielt darin die Mutter, und wieder böse böse böse. Sitzend, mit dem Text ringend, aber so giftig, dass man es - anders als den Inhalt des Stücks - nicht vergisst.

3) 1996. Ich besuche mit einem Freund eine Vorstellung von Heiner Müllers "Germania 3" im BE. Vorher sind wir in der Kantine. Als mein Freund auf Toilette ist, setzt sich Volker Spengler - der in der Inszenierung u.a. den Rosa Riesen spielt und daher die Schlussworte hat - ohne zu fragen zu mir an den Tisch. Klar, er hat Heimrecht. Als mein Freund zurückkommt, bietet Spengler kurz an, sich zurückzuziehen, aber ich fühle mich ohnehin viel zu geehrt, und er bleibt. Mein Freund und ich setzen unser Gespräch fort (in dem es irgendwie um Ideen geht), und irgendwann schneidet Spengler hinein: "Die Ideeeeee! Die Hauptsache ist doch die Ideeeeeee!" Mein Freund ist irritiert. Spengler fragt, ob wir nach der Vorstellung noch da seien, da könne man doch weiterdiskutieren. Ja. Ich erkläre meinem Freund, der den Mann mit den wässerigen Augen für einen Obdachlosen (!) hält, dass dieser gleich mit auf der Bühne stehen werde. Nach der Vorstellung sitzt Spengler an einem anderen Tisch, aber jedes Mal, wenn ich für ein neues Bier zur Theke gehe, ruft er mir vergnügt zu: "Und? Was macht die Ideeeee?"

4) 2014. Es ist das letzte Mal, dass ich Spengler auf der Bühne sehe. In Frank Castorfs "Solness"-Inszenierung. Ich schreibe die Nachtkritik. Es ist - eher mehr als weniger - ein Verriss. Doch Spengler ist wie immer - mit allen Texthängern - gespenstisch präsent. Ich erwähne ihn nicht. Unverzeihlich!

Und, lieber Volker, was ist nun mit der Ideeee?
Volker Spengler: Schneekönigin
Was? Volker Spengler ist tot? Ich erinnere ihn in Fassbinders "In einem Jahr mit 13 Monden", ein tieftrauriger Film. Schon damals fragte ich mich, wie Spengler diese Rolle so authentisch spielen konnte. Ausserdem erinnere ich ihn absurderweise nur noch in einer Theaterszene, die sich mir absurderweise irgendwie besonders einprägte. Es war "Meine Schneekönigin" von Castorf. Und zwar diese Szene, in welcher Spengler, dieser körperlich und stimmlich massige Schauspieler, im Schmetterlingskostüm den nackten Hintern von Fritsch mit einem Bügeleisen plättet.
Volker Spengler: Danke
Ich werde keinen Ui vergessen. Ich saß meist ganz vorne. Beim Applaus, das "Bravo" wenn Volker Spengler auf die Bühne kam, meist von mir und anderen begeisterten Spengler "Fans". Dann nickte er, hob die Hand zur Geste: "Danke, aber ich mache doch meinen Job!" Davon konnte ich einfach nicht genug kriegen, von dieser zurückhaltenden, bescheidenen Geste eines großartigen Schasuspielers. Dann war er lange nicht mehr auf der Bühne. Ich habe ihn vermisst. Endlich sah ich ihn wieder. Im Film "Schönheit und Vergänglichkeit". Lieber Volker, deine Auftritte auf den Theaterbühnen werde ich nie vergessen. Deine Auftritte in den Filmen bleiben mir. Ein ganz großer Schauspieler verlässt die Bühne. Danke für alles.
Volker Spengler: Korbes
Die Korbes Inszenierung im Kammerspiel des Schauspiel Frankfurt mit Volker Spengler in der Titelrolle ist auch mir unvergesslich. Unbeschreiblich die Verkörperung eines Brutalos in seiner eigenen Hilflosigkeit. Wer diesen Korbes auf der Bühne Fleischwurst essen sah, so wie Volker Spengler das spielte, der wird es nie vergessen.
Danke Volker Spengler.
Volker Spengler: Death is not the End
... ein so wunderbarer und geiler Schauspieler
Kommentar schreiben