Bumm Bumm im Terrarium

von Christian Muggenthaler

Würzburg, 13. Februar 2020. Kristin sitzt ganz ruhig in der Küche auf ihrem Stuhl und wartet auf ihren Verlobten, der ihr einen Tanz versprochen hat beim Mitsommernachtsfest. Sie sitzt da, wie schon zu Beginn des Stücks, eine geraume Weile, völlig unbeeindruckt von dem Bumm-Bumm-Bumm der Tanzmusik aus dem Hintergrund, der wie eine orgiastische Parallelwelt ihren Verlobten Jean und die gemeinsame Herrin verschluckt hat und sie später halbnackt ausspuckt. Diese Kristin, in der feinen Unbewegtheit ihrer stoischen Gradlinigkeit sehr präzise dargestellt von Julia Baukus, ist der Kiel in August Strindbergs halbpanischer Untergangsvision des Konservativen, im Kammerspiel "Fräulein Julie".

Sie ist jene Figur, die in ihrer Bravheit und dem gleichzeitigen Stolz darauf, im Gesellschaftssystem den ihr zugeordneten Platz bestmöglich auszufüllen, die alte Ordnung verdrusslos verkörpert. Hier also die Frau, die weiß, wo sie hingehört, nicht rebellisch ist und schon gar nicht revolutionär.

Oben und unten, Mann und Frau

Ihr gegenüber die Titelheldin, die ohne große Überlegung anrennt gegen unsichtbare Trennungslinien, einfach nicht wahrhaben will, dass es ein Oben gibt und ein Unten, das Prinzip Mann und das Prinzip Frau, die sich in der alten Strindbergwelt eingerichtet haben. Sie, die alles durcheinanderbringt und demzufolge völlig logisch am Schluss verschwinden muss: ein Messerstecher-Ende. Sie beginnt ein Techtelmechtel mit dem Lakaien Jean, der zunächst voll sozialem Stolz auf dem Standesunterschied besteht und, ist der erst einmal horizontal durchbrochen, die Dame als Leiter für einen ersehnten Aufstieg nutzen will. Und wenn das nicht geht, ist sie eben eine Hure. Oder irgendwie hysterisch. Oder beides.

FraeuleinJulie1 560 Nik Schoelzel uFräulein Julie, ihr Stiefel und der Knecht: Hanna Müllers Inszenierung in Würzburg  © Nik Schölzel

Immerhin bemerkt auch Strindberg, dass das alles so einfach nun auch wieder nicht ist – und legt einen bemerkenswerten Kampf zwischen Jean und dem Fräulein Julie hin, jagt sie durch Statuskämpfe, Analysen, Lügen, Verletzungen, rhetorische Rüpeleien. Insofern ein psychologisch feinsinnig komponiertes Stück, ein naturalistisches, beißwütiges Psycho-Duett, das vom Blatt zu spielen eine große darstellerische Kunst erfordert.

Spiel mit der Unterordnung

Und insofern ist die Würzburger Inszenierung von Hanna Müller überaus stimmig: Die Studio-Bühne im Haus bietet die nötige intime Nähe, die Ausstattung (von Verena Salome Bisle) zeigt naturalistische Kargheit. Auf der ansonsten nackten Bühne gibt es nur einen Kühlschrank und zwei Stühle. Das Licht kommt, starke Hell-Dunkel-Kontraste zeichnend, von einer Seite. Das Handlungsfähig-Trio wird sehr grell ausgeleuchtet, sehr deutlich hingestellt, sehr direkt ausgestellt: ein Terrarium ohne Rückzugsmöglichkeiten fürs Reptil.

Johanna Meinhard und Alexander Darkow bewältigen dieses züngelnde Hass- und Liebe-Pas de deux zwischen Menschen, die zwar sexuell kompatibel zu sein scheinen, die aber sonst nichts verbindet außer die Wut, permanent missverstanden zu werden, ausgesprochen sehenswert. Zwischendurch kann man einer neuen Sportart zusehen: dem gesprochenen Ringkampf im Sitzen, in dem der punktet, der sein Gegenüber am übelsten verletzt. Schön. Nur wirkt dies alles in seinem Naturalismus auch recht weit entfernt. Museal.

FraeuleinJulie2 560 Nik Schoelzel uAm Boden: Johanna Meinhard als Julie, Alexander Darkow als Jean © Nik Schölzel

Die Inszenierung bietet feinsten Strindberg, keine Frage, sie bietet aber keine richtige Antwort auf die Frage, was eine Gesellschaftsanalyse aus dem Jahr 1888 für das Jahr 2020 bedeutet? Das lässt sich zur Not schon auch selbst zusammenklauben: Dass da so viel sich nun auch wieder nicht geändert hat, dass Gesellschaft stets nach Unterordnung zu lechzen scheint, dass für Frauen und Männer eine andere Sexual-Moral zu gelten scheint.

Mehr Überzeugung

Hier aber hätte man auch einen inszenatorischen Zugriff erwarten können, der den Rahmen des Textes sprengt und sich in Richtung Aktualität vortastet. Ansatzpunkte gibt es in ihm genug. Techno-Beats (Musik: Adrian Sieber) reichen nicht, wenn ansonsten von einer aristokratisch gefalteten Gesellschaft geflötet wird; diese Spielvorgabe lässt sich schließlich genau so gut übersetzen. Dazu aber hätte es einer Überzeugung bedurft, einer Dringlichkeit, warum dieser Stoff gerade jetzt gerade hier gezeigt werden muss, vielleicht auch ein Zerstörungswerk am Strindbergschen Ordnungssystem, eines Hammers, der das gut gebaute Terrarium dann auch wieder zerschlägt.

Dafür ist "Fräulein Julie" in Würzburg dann doch zu sehr vom Blatt gespielt, weshalb auch die sehr guten Darsteller das letzte Quäntchen Überzeugungskraft nicht hinbekommen – zwangsläufig, wenn diese beim größeren Zugriff aufs Ganze nicht deutlich wird. Der Inszenierung fehlt die große Geste. Die Details der Darstellung beherrscht sie fein.

Fräulein Julie
von August Strindberg
Regie: Hanna Müller, Bühne und Kostüme: Verena Salome Bisle, Dramaturgie: Katharina Fröhlich, Musik: Adrian Sieber.
Mit: Johanna Meinhard, Alexander Darkow, Julia Baukus.
Premiere am 13. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.mainfrankentheater.de

 

Kritikenrundschau

"Die Inszenierung ist wohltuend frei davon, uns in die Entstehungszeit zurück oder allzu tief in die Psyche der Figuren hinein zu führen", schreibt Joachim Fildhaut in der Mainpost (14.2.2.2020). Sie führe "den Reaktionär Strindberg recht geschickt vor". "Vielleicht kam das Stück aber auch nur deshalb auf den Spielplan, weil sein Titel bekannt ist, so dass man dafür nicht allzu aufwendig um Zuschauer werben muss. Eben die sind dieser Inszenierung und vor allem ihren explosiven historischen Denkanstößen sehr zu wünschen."

 

 

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