Der Elefant im Raum

von Steffen Becker

Stuttgart, 29. Februar 2020. Besser hätte man es nicht inszenieren können: Am Tag der Pressekonferenz zur Uraufführung von "Weltwärts" verkündet das Bundesverfassungsgericht, dass Sterbehilfe nicht grundsätzlich verboten werden darf. Noah Haidles Stück über einen assistierten Suizid gewinnt dadurch stark an Aktualität. Praktischerweise sitzt in der Pressekonferenz des Theaters mit dem evangelischen Landesbischof auch gleich ein Repräsentant, dessen Haltung zu dieser Frage als relevant zu gelten hat.

Ableben bei der Garten-Party

Aber bereits das Presse-Gespräch offenbart ein Problem, an dem später auch die Inszenierung leiden wird. Alle Beteiligten wollen nichts Falsches sagen und flüchten erstmal in Berichte, die ihre Berechtigung belegen sollen, sich hier überhaupt zum Thema zu äußern. Der Bischof redet von Sterbebegleitung, die er in früherer Funktion geleistet hat. Regisseur Burkhard C. Kosminski vom Tod seiner Mutter. Und eine Schauspielerin über die Krebserkrankung ihrer Schwester. Man ist sich einig, dass das Thema schwierig ist.

Weltwaerts 3 560 DavidBaltzer uNoch einmal feiern und dann sterben: die Welt-Bühne von Florian Etti  © David Baltzer

Das Stück von Noah Haidle aber unternimmt nicht einmal den Versuch, diese Herausforderung anzunehmen. Angekündigt wird ein "leidenschaftliches Plädoyer für einen offensiven Umgang mit dem Sterben". Doch bleiben Text und Inszenierung an der Oberfläche – und flüchten bald in Slapstick und Holzhammer-Symbolik.

Anne, eine Frau in ihren Dreißigern (gespielt von Therese Dörr) plant ihr Ableben im Rahmen einer Gartenparty. Eine intime Feier. Für die Bühne reichen denn auch etwas Kunstrasen, Tisch, weiße Plastikstühle – und eine große runde Projektionsfläche für die Videopsychedelik, die das Thema Jenseits offenbar erfordert.

Erste Lacher

Unterstützt wird die Protagonistin von ihrer Mutter (Anke Schubert), einer Hebamme (sic!). Hinzu kommt ihr Onkel (Elmar Roloff), ein Krishna-Darsteller und Zahnarzt (irgendein Doktor muss ja den Totenschein unterschreiben, haha). Aus der ersten Zuschauerreihe stört ein misanthropischer Nachbar (Klaus Rodewald) – ausstaffiert als White Trash in Gammler-Klamotten – und mit dem Wunsch, sich in die Zeremonie hinein zu wanzen. Seine konstante Demütigung sind als erste Lacher angelegt.

Dann wäre da noch die vorher nicht eingeweihte Zwillings-Schwester (Josephine Köhler in zerrissenen Strumfhosen, weil: die Figur hat grade 'ne schwierige Zeit!). Und natürlich die Tochter. Die ist sieben Jahre alt, spricht aber wie eine Philosophin: Das soll wohl die Weisheit des Kindes sein, das in den großen Fragen klarer sieht, weil es noch nicht im Klein-Klein des Erwachsenen-Lebens feststeckt. In der Inszenierung wirkt es dennoch deplatziert. Zumal die beiden Darstellerinnen sichtlich Mühe haben mit einem komplizierten Text, dessen Sinn sie womöglich gar nicht erfassen.

Weltwaerts 1 560 DavidBaltzer uKleine Leute, große Fragen:Aniko Sophie Huber und Therese Dörr (vorn),Elmar Roloff,  Peer Oscar Musinowski und Klaus Rodewald, (hinten)   © David Baltzer

Auch sonst ist wenig stimmig in "Weltwärts". Phasenweise kippt das Stück Richtung Comedy: Ein Polizist crasht die Party. Der Musiklehrer (Gábor Biedermann) kommt zur Taktprobe für Annes letztes Geigensolo (sie spielt sehr schlecht). Und gesteht ihr noch schnell seine Liebe (auch da: schlechtes Timing, haha). Die ernsten Momente bleiben in der Luft hängen. So fällt der Mutter mittendrin ein, dass sie das nicht kann – obwohl sie zusammen mit der Tochter bereits in anderen Fällen bei Suiziden assistiert hatte. Daraufhin verschwindet sie von der Bühne. Zum Ende ist sie einfach wieder da – ohne dass ihr innerer Konflikt weiter groß beleuchtet wird.

Die Zeit nutzt Regisseur Kosminski lieber für Theatralik: beschriebene Blätter wehen zu Boden, Uhren stehen und ticken im Hintergrund, ein Gong kündigt das nahende Ende an. Zwischendurch treten die Figuren aus dem Rund der Drehbühne an ein Mikro. Sie singen Save me von Queen oder verlesen ein Manifest zur Legalisierung von Sterbehilfe. Wahrscheinlich ist derlei Pathos als Tribut an die amerikanischen Wurzeln des Stücks zu werten. Aber es ist einfach zu dick aufgetragen.

Gegengift zur Gleichgültigkeit

Obwohl sich alles um den Tod dreht, wirkt er in der Inszenierung trotzdem wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Man erfährt fast nichts von der Vorgeschichte der Sterbe-Entscheidung. Wie fühlt sich Annes Erkrankung an? Welcher innere Kampf ging dem Entschluss zu sterben voraus? Angst vor dem Tod versus Angst vor dem Fortleben? All das spielt kaum eine Rolle  – obwohl es für die Zuschauer*innen doch mutmaßlich entscheidende Fragen wären, sich eine Meinung zum Thema zu bilden.

Stattdessen reduziert das Stück seine Sterbende auf die Rolle einer Dompteurin, die nicht mit Gefühlen, sondern gegen absurde Unterbrechungen ihrer Transmigrations-Zeremonie kämpft. So seltsam teilnahmslos spielt Therese Dörr ihre Figur dann auch. Die sicher anrührend gemeinten Tränen der Zeremoniengäste wirken daher am Schluss eher wie ein weiterer Slapstick. Einerseits, weil alle anderen Figuren überdreht gezeichnet und gespielt sind. Aber auch weil das Schicksal von Anne in dieser Form nicht zu Herzen geht. Soll sie doch endlich den Medikamentencocktail im Champagnerglas schlürfen!

Als Gegengift zu dieser Gleichgültigkeit empfiehlt sich die Lektüre der Besucherumfrage des Schauspiels zu Fragen des Sterbens und des Sterben-Wollens. Sie bietet die spannenderen Antworten als das Stück.

 

Weltwärts
von Noah Haidle
Deutsch von Barbara Christ
Uraufführung
Inszenierung: Burkhard C. Kosminski, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Lydia Kirchleitner, Musik:Hans Platzgumer, Video: Sebastian Pircher, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Therese Dörr, Aniko Sophie Huber, Rebekka Roller, Anke Schubert, Josephine Köhler, Elmar Roloff, Gábor Biedermann, Peer Oscar Musinowski, Klaus Rodewald.
Premiere am 29. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

 

Kritikenrundschau

"Oft unterhaltsam, manchmal anrührend, oft kitschig" sei der Abend, schreibt Nicole Golombek in den Stuttgarter Nachrichten (2.3.2020). Stets bleibe die Regie demselben Rhythmus verpflichtet, wage kein längeres Schweigen oder Innehalten. "Ambivalenz, Zweifel, also Kunst, haben an diesem Abend im Staatsschauspiel keinen Platz auf der Abschiedsparty." Gut gespielt schnurre das Märchen vom glücklichen Tod vor sich hin.

"Der Tod als Freund: Noah Haidle macht aus dieser These sein Schreibprogramm. Dem Sterben nimmt er die Schwere, indem er es dem Kreislauf von Werden und Vergehen einverleibt und daraus Trost zieht", schreibt Roland Müller in der Stuttgarter Zeitung (2.3.2020). "Voll flinker Soap-Dialoge sei diese Tragikomödie, die sacht überzeichneten Figuren lappten mal ins Groteske, mal ins Mythologische." Man müsse seiner "leicht esoterischen Tour vom Diesseits ins Jenseits" nicht unbedingt folgen. "Burkhard Kosminski aber nimmt überzeugt an dem Trip teil." Von Florian Ettis Bühnenbild zeigt sich Müller beeindruckt.

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